Das zweite Jahr in Folge rettet Tom Cruise im Kino die Welt, um die Kinos der Welt zu retten. 2022 hatte «Top Gun: Maverick» nach der Pandemie Hollywood aus dem Sumpf gezogen, nun soll es der inzwischen siebte Teil von «Mission: Impossible» richten. Erste Prognosen rechnen mit einem Rekordstart für Hauptdarsteller Cruise. «Dead Reckoning» ist zweigeteilt, der Nachfolger soll im Juni 2024 folgen – sofern es der derzeit drohende Doppelstreik der Drehbuch- und Schauspielgewerkschaft in Hollywood zulässt.
Bisher schwächelt der Blockbustersommer: Der fünfte Teil von «Indiana Jones» schnitt global nur mässig an den Kassen ab. Der Superheldenfilm «The Flash» wurde – begleitet von Skandalen um seinen Hauptdarsteller Ezra Miller – zum Debakel. Greta Gerwigs «Barbie» und Christopher Nolans «Oppenheimer» stehen erst in den Startlöchern.
Die ursprünglich auf zwei TV-Serien basierende «Mission: Impossible»-Reihe hat sich seit dem ersten Teil im Jahre 1996 längst von einem anderen, dem berühmtesten Geheimagenten der Welt, emanzipiert. Ethan Hunt ist kein James Bond, der aus Pflichtbewusstsein für Krone und Königreich ins Feld zieht.
Die Einsatztruppe rund um Hunt mit dem klangvollen Namen Impossible Mission Force (IMF) ist ein Agenten-Start-up: divers, unkonventionell, disruptiv. Und völlig ohne erotische Ambitionen. Ihr Reiz liegt stets, der Titel verrät es, in der Bewältigung des scheinbar nicht zu Bewältigenden. Ein grosses Illusionstheater, in dem spioniert, maskiert und infiltriert wird.
«Es ist unmöglich, uns zu finden», behauptet die Crew des U-Boots «Sewastopol» in der Eingangsszene des neuen Teils. Doch wir wissen: Sobald hier der Unmöglichkeit das Wort geredet wird, ist es mit ihr auch schon vorbei. Und bald wird das scheinbar unsichtbare Hightech-Gefährt gefunden, die Insassen treiben tot im Wasser. Bilder, die frappant an das Unglück der «Titan» im Juni erinnern.
Auch anderes Gegenwärtiges schwingt durch den Film: ein Krieg, der nicht mehr kalt, sondern heiss geführt wird, mittendrin eine künstliche Intelligenz, die «Entität» genannt wird. In einem Lernmodus, der ChatGPT wie einen Abakus aussehen lässt, greift sie nach der Herrschaft über die digitale Welt. Um die Entität zu stoppen, braucht es einen goldenen Schlüssel, bestehend aus zwei Teilen, die zusammengeschoben ein Kreuz ergeben – nur eine von bergeweise christlichen Anspielungen.
In den ebenso konfusen wie etwas redundanten ersten zwei Stunden dieses tatsächlich 164 Minuten laufenden Mega-Films stellt sich vor allem die Frage: Wer zur Hölle besitzt gerade die Hälften des Schlüssels? Kaum hat man die Übersicht gewonnen, wer warum in wessen Auftrag operiert, werden schon wieder andere Allianzen geschmiedet, neue Messer gezückt. Es ist nicht zwingend notwendig, hilft aber, die vorherigen beiden Teile, ebenfalls inszeniert von Christopher McQuarrie, gesehen zu haben.
Für einen Actionkracher wird viel geredet, taktiert, erzählt. Mit Worten lässt sich wohl überdecken, dass eine abstrakte KI als Gegenspieler noch blasser ist als der menschliche Widersacher Gabriel (Esai Morales). Das altbekannte IMF-Team rund um Luther (Ving Rhames) und Benji (Simon Pegg) ist hingegen so eingespielt, dass sie trotz der ernsten Tonlage des Films die Zahl der Lacher hoch halten.
Richtig stark ist das Frauentrio: Diebin Grace (Hayley Atwell), Waffenhändlerin Alanna (Vanessa Kirby) und Agentin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson). Sie glänzen nicht nur mit hintertriebenem Charme, sondern lassen auch durch ihre Schlagkraft jegliches Machotum alt aussehen.
«MI: 7» erscheint wie ein langer, extrem aufwendiger (geschätzte Kosten: 300 Millionen Dollar) Zaubertrick, bei dem das Publikum zunächst mit netten Plänkeleien bei Laune gehalten wird. Etwa mit einer ausufernden Verfolgungsjagd durch Rom. Oder einem Verwirrspiel mit Gesichtserkennung am Flughafen. Es ist, als ob der Film auf den ganz grossen Knall wartet.
Der kommt am Schluss. Allerdings ergibt er sich nicht organisch aus der Handlung. Kurz sinniert ein zerknitterter Ethan Hunt, der in vielen Szenen aussieht, als plagten ihn schlimme Zahnschmerzen, sogar noch, ob er diese Aktion wirklich bringen soll. Es wirkt, als sei der ganze Film um diesen einen Stunt, der im Vorfeld bereits als einer der krassesten der Filmgeschichte angekündigt wurde, herumgebaut worden.
Die Situation: Der Orientexpress, der fröhlich durch die österreichischen Alpen pfeift, muss von Hunt erreicht werden. Und ausgerechnet das IMF-Team, das sich sonst spontan zu den exklusivsten Orten einschleichen kann, hat diesmal keinen Zugriff. Die Maschine, mit der die nützlichen, lebensechten Gesichtsmasken produziert werden, die überall Zutritt erlauben, streikt.
Natürlich lautet der naheliegendste Plan: Hunt muss auf einem Motorrad von einem Berg aus mit dem Fallschirm auf den Zug springen. Dieser Stunt ist sensationell. Und nach wenigen Sekunden vorbei. Tom Cruise ist dafür 500 Mal aus dem Flugzeug gehüpft und hat 13'000 Sprünge auf dem Motorrad absolviert. Nach mehr als 100 Jahren kehrt das Kino also wieder an seinen Ursprungspunkt zurück, zu den Attraktionen.
Der toughste Slapstickkomiker der 1920er-Jahre war Buster Keaton. «The Great Stone Face» übernahm alle seine waghalsigen Stunts selbst. Das Publikum musste spüren, dass da der eigene Schweiss floss, das eigene Leben auf dem Spiel stand. Keatons bekanntester Film «The General» (1926) ist eine Kaskade wahnwitziger Zug-Stunts.
Auch das Finale von «Dead Reckoning – Part One» wartet mit einem Eisenbahnabsturz nebst Brückensprengung auf. Es ist nicht nur eine Hommage, sondern auch der Triumph von Handarbeit und Willenskraft über aufwendige, aber oft seelenlose Computereffekte.
«Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins» läuft jetzt im Kino.