Leben
Schweiz

Ich war zum ersten Mal im Spital: Danke an alle, die dort arbeiten

Ich war zum ersten Mal im Spital: Tausend Dank an alle, die mich geflickt haben!

Unser Gesundheitswesen kann grossartig sein. Und allen, die darin tätig sind, gebührt Respekt, Dankbarkeit und Unterstützung. Ein sehr persönlicher Erfahrungsbericht – aus Uster und Zürich.
21.09.2025, 10:3821.09.2025, 17:09

Was soll man sagen, wenn man vor Dankbarkeit zerfliesst? Ausser «Vielen, vielen Dank, Sie machen das alle so wahnsinnig toll!»? Ah, man könnte ja vielleicht ein Kompliment machen, denke ich, aber welches? «Schönes Tattoo», sage ich deshalb zu einer der jungen Frauen, die mich vier Tage lang nonstop pflegen, das Tattoo schmückt ihren linken Unterarm, es zeigt Blumen, ich meine, mich an eine Chrysantheme zu erinnern.

Bei einer anderen – sie kontrolliert jeden Abend mit Kältespray, ob ein bestimmter Nerv in meinem Bein nach der Anästhesie wieder richtig funktioniert – kommt mein multipel sedierter Kopf ins Schleudern: Sie gleicht jemandem aus einem Film, bloss wem? Heute weiss ich: Sie könnte die zweieiige Zwillingsschwester der Heldin aus Petra Volpes «Heldin» sein. Mit einem Schuss Jessica Chastain dazu. Aber das fällt mir nicht ein. Soll ich sagen: «Schöne Filzstifte, die Sie da in Ihrer Tasche tragen!»? Alle hier tragen nämlich einen wahren Filzstift-Regenbogen in ihrer Tasche.

«Heldin» von Petra Volpe mit Leonie Benesch
Das ist Floria Lind in «Heldin». Restlos alles an ihr ist der Spital-Realität abgeschaut. Bild: filmcoopi

Busper in Uster

Ich bin im Spital. Ich bin zum ersten Mal seit meiner Geburt mehr als drei Stunden im Spital, das erzähle ich im Spital allen, sie lächeln bei meinem wahnsinnig guten Witz milde und denken sich vielleicht: «Alte, das hören wir hier jeden Tag!» Mein Knie ist kaputt. Ein bereits nicht mehr existierendes Kreuzband meldete sich während der Ferien aus dem Jenseits, machte einen banalen Sturz am Ende einer leichten Wanderung durchs malerische Schottland zu einem Unfall, schrottete die Menisken und verletzte den Knorpel, jetzt wird aufgebaut.

Die Menisken werden zurechtgeschliffen, ein Stück Sehne wird vierfach gefaltet zum neuen Kreuzband. Dr. P. ist der Arzt meines uneingeschränkten Vertrauens. In Uster. Ich denke «busper in Uster», also das Gegenteil dessen, was ich in nächster Zukunft sein werde. Nämlich sowas wie fünfmal aufgewärmtes und siebenmal gefaltetes Suppengemüse.

Uster
Unerreichbarer Sehnsuchtsort: An einen Spaziergang im Spitalgarten ist leider nicht zu denken.Bild: sme

Der Ärzteserien-Arzt

Dr. P. ist eine Gelenk-Koryphäe und zudem ganz klar ein klassischer Halbgott in Weiss, sein Aussehen ist gut, seine Laune ist gut, er arbeitet enorm viel, wirkt aber stets so entspannt, als käme er gerade vom Golfen oder von der Yacht, seine Fähigkeiten seien überragend, sagen die Google-Kommentare, die heutzutage nicht einmal mehr vor Ärzten halt machen. Dr. O., meine irrsinnig effiziente Allgemein-Ärztin, die auch MRI-Termine in Rekordzeit einfädeln kann, hat mich an Dr. P. überwiesen. Ich war schon einmal bei ihm, er trat in mein Leben, als mich vor zweieinhalb Jahren das Kreuzband verliess, wir hatten es lustig miteinander und seine Assistentin Frau K. war die beste, ich freute mich direkt darauf, die beiden wiederzusehen.

Uster
Mein Bein.Bild: sme

Auf Uster, wo Dr. P. unter anderem operiert und wo er früher einen freien Termin hatte als in seinem Spital in Zürich, freute ich mich nicht. Jetzt denke ich voller Dankbarkeit und Zuneigung daran zurück und kann sagen: Das Spital war eine gute Erfahrung. Ich hoffe trotzdem, sie so schnell nicht wieder machen zu müssen.

Am Abend nach meiner OP schauen mein Liebesleben (zuhause) und ich (im Spitalbett) gemeinsam das Finale von «Dr. House». Es bleibe dahingestellt, ob es die beste Erfahrung war, die ich in dem Moment machen konnte, doch die Idee schien uns stimmig zu sein.

Uster
Nach Einbruch der Dunkelheit haben sich auch noch Dr. Wilson und Dr. House an mein Spitalbett geschlichen.Bild: sme

Propofol

Ich erinnere mich jedoch dankbar an viele Menschen, die viel netter sind als House: An den Anästhesisten, den ich am Vortag meiner Operation zum Vorgespräch traf und der mir mit seligem Blick von Propofol vorschwärmte: «Da sind wir alle so Fan von!» An die Anästhesistin, die mir mit wenigen Griffen eine Infusion legte und vor dem Wegsacken in den Propofol-Schlummer sagte: «Das Schwierigste haben Sie schon hinter sich. Die Infusionen waren das Schlimmste an meinen beiden Geburten!»

Ich erinnere mich an den Spital-Physiotherapeuten, der wirkte, als würde er seine Patienten am liebsten in finnischen Wäldern auf einen von Elchen flankierten Vitaparcours schicken, und der mir innerhalb weniger Minuten das Treppensteigen mit Krücken beibrachte. An die Assistentin von Dr. P., die immer alles so freundlich und mit einem ungemein beruhigenden italienischen Akzent erklären konnte.

Uster
Gruss aus der Spitalküche.Bild: sme

Nie, nie, nie Stress zeigen

Und ich erinnere mich an all die Pflegefachfrauen, die immer sofort da waren, wenn ich auf den Knopf über meinem Bett drückte, weil ich in der Nacht nach der OP schon wieder aufs WC musste, aber nicht aufstehen konnte. Daran, wie sie mir behutsam das «Schiffli» unterschoben. Und mir nie, nie, nie ein Gefühl von Peinlichkeit vermittelten, bloss von umsichtiger Professionalität. Und die nie, nie, nie, im Stress zu sein schienen, obwohl vom Flur her das Geräusch schneller Schritte, das Räderrollen eines Bettes oder eines Rollstuhls und die präzisen Anweisungen, die mit einem Notfall einhergehen, ins Zimmer drangen.

Über ein anderes Geräusch freute ich mich: Durch die offenen Fenster drang tagsüber und am frühen Abend nämlich viel Gelächter und angeregtes Reden, da hatten es ziemlich viele Leute ziemlich gut miteinander, und als ich endlich mal die Quelle davon entdeckte, sah ich, dass es sich um den Aussenbereich der Personalkantine und insgesamt um ein gutes Arbeitsklima handeln musste. An dieser Stelle auch noch einen grossen Dank an die Spitalküche!

Uster
Noch ein Gruss aus der Spitalküche.Bild: sme

Weinen, nichts als Weinen

Eine unverzichtbare Freundin, die eine viel schlimmere Knieverletzung und einen sehr viel schwierigeren Wiederaufbau hinter sich hat, stattete mich fürs Spital mit einem schönen Morgenmantel und einer Schlafbrille aus und warnte mich: «Du wirst die ersten Tage sehr viel weinen müssen.»

Uster
Die drei schönsten Dinge in meinem Zimmer: Das Dekobild, der Blumenstrauss von meinem liebsten watson-Ressort, mein Bademantel.Bild: sme

Was habe ich geweint! Weil mich die vielen Medikamente und die Hilflosigkeit komplett mürbe machten. Weil mir eine Krücke auf den Fuss fiel. Weil es in «Downton Abbey» viel zu viele emotionale Höhepunkte gibt. Weil ich dachte, mein Liebesleben liebt mich bald nicht mehr, wenn ich seine Hilfsbereitschaft so masslos überstrapazieren muss, weil ich weder einkaufen, noch Wäsche waschen noch kochen kann. Weil irgendwas weh tat. Weil alle so lieb waren. Weil mir meine Team-Gschpändli Toggi und Anna und Dani und Peter und Philipp SO einen schönen Blumenstrauss ins Spital schickten! Weil mir meine Chefredaktorin Nadine SO einen schönen Blumenstrauss nach Hause schickte! Wie soll man so viel Schönheit und der ihr inhärenten Vergänglichkeit denn anders begegnen als mit Tränen?

Uster
Zuhause auch noch dies: Der Blumenstrauss unserer Chefredaktorin.Bild: sme

Die Physe und die Psyche

Und ich weinte einen Fluss voll, weil ich bei meinem ersten Physiotherapie-Termin eine Stunde zu früh war. Ich hatte mir das Datum falsch gemerkt. Ich hatte das ganze Wochenende lang geübt, wie ich mit Krücken die kurze, aber steile Strecke zur Physiotherapie zurücklegen könnte, am Samstag den halben, am Sonntag den ganzen Weg, am Montag kam ich völlig erschöpft im Studio an und war zu früh! Physiotherapeut G. schaute mich an – ein heulendes, zwischen den Krücken zusammensinkendes Häufchen Elend – und sagte väterlich: «Na, dein Blutdruck ist wohl gerade etwas niedrig, ich mache dir einen Kaffee.» Mit extra viel Zucker.

Uster
Schief fotografierter Blick aus meinem Spitalzimmerfenster.Bild: sme

Auch G. kenne ich schon, auch er gehörte vor zweieinhalb Jahren zum Team Kreuzband, G. ist ein – mir fällt kein anderes Wort ein als Engel. Aber ein unnachgiebiger. Erst lullt er mich ein mit netten Gesprächen über Ferien in Italien oder neue Bücher und dann kommt, päng, eine Übung, bei der ich denke, nie-, nie- niemals schaffe ich das, weil es so weh tut. Ich sage nur «Velofahren». Und dann schaffe ich es doch. Vielleicht nicht am ersten oder zweiten, aber möglicherweise am dritten Tag. Am liebsten höre ich von G. das Wort «super». Und dann kommt das nächste Hindernis.

Ich denke an Tom Cruise, der sich ungefähr bei jedem Dreh eine derartige Verletzung einholt und ins Spital muss und noch nie ans Aufgeben gedacht hat. Und ich hoffe, dass er alle, die ihn immer wieder geduldig und liebenswürdig und kompetent zusammenflicken, mit Dankbarkeit überschüttet.

Es ist jetzt zwei Wochen her seit meiner Heimkehr aus Uster. Seit einer Woche habe ich nicht mehr geweint. Meist gehe ich jetzt nur noch mit einer Krücke durch die Wohnung. Ich kann dank eines Duschstuhls und einer jener zweifelhaft designten Gummimatten (ich nenne das Modell «squishy pebbles») selbständig duschen. Nächste Woche stehen in der Physiotherapie die ersten krückenlosen Schritte auf dem Programm. Und eines Tages werde ich busper durch Uster schlendern und vielleicht endlich den Spaziergang durch den Spitalgarten machen, von dem ich vier Tage lang träumte.

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106 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gutemine
21.09.2025 11:25registriert Juli 2018
Ich habe den Bericht gleich an meine Freundin aus dem Team Spital Uster gesendet - Freude machen am Sonntagmorgen!
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Lillyfee78
21.09.2025 11:36registriert November 2021
Ich wünsche Dir weiterhin gute Genesung.
Und so schön, mal so eine Dankbarkeit zu spüren.
Bin selber Pflegefachfrau im Spital und erlebe viel zu oft, wie es viele Menschen nicht schätzen, wenn man trotz allen teils schweren Umständen versucht die Patienten zufrieden zustellen. Dies ist nämlich in der heutigen Zeit-( gerade bei den Erwartungen von Herr Kotyara) manchmal kaum mehr machbar! Zahlt mehr Geld und bessere Bedingungen, stellt mehr Personal wie z.b Assistenzärzte ein. Und nicht die überteuerten Chefärzte & CEO‘s
Sorry musste mal gesagt werden.
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Nestor_Leroy
21.09.2025 11:30registriert Oktober 2024
Ich bin jetzt alt. Und öfters beim Arzt oder war auch schon im Spital. Und jedes mal staune ich über Zahnräder, die da ineinander greifen, damit ich wieder gesund werde. Bis jetzt hat's funktioniert. Da arbeiten viele mit langem Studium, mit viel Einsatz in jungen Jahren brütend über dicken Büchern oder vor blinkenden Bildschirmen, sich gestresst fühlend vor ausgiebigen Prüfungen im Dienste der Wissenschaft, während ich mich anfangs der 70er des letzten Jahrhunderts an den Stränden der Côte d'Azur verlustierte. Die kleine Scham kommt meist bei der Augenärztin, bei der Injektion ins Auge links.
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