Ich war zum ersten Mal im Spital: Tausend Dank an alle, die mich geflickt haben!
Was soll man sagen, wenn man vor Dankbarkeit zerfliesst? Ausser «Vielen, vielen Dank, Sie machen das alle so wahnsinnig toll!»? Ah, man könnte ja vielleicht ein Kompliment machen, denke ich, aber welches? «Schönes Tattoo», sage ich deshalb zu einer der jungen Frauen, die mich vier Tage lang nonstop pflegen, das Tattoo schmückt ihren linken Unterarm, es zeigt Blumen, ich meine, mich an eine Chrysantheme zu erinnern.
Bei einer anderen – sie kontrolliert jeden Abend mit Kältespray, ob ein bestimmter Nerv in meinem Bein nach der Anästhesie wieder richtig funktioniert – kommt mein multipel sedierter Kopf ins Schleudern: Sie gleicht jemandem aus einem Film, bloss wem? Heute weiss ich: Sie könnte die zweieiige Zwillingsschwester der Heldin aus Petra Volpes «Heldin» sein. Mit einem Schuss Jessica Chastain dazu. Aber das fällt mir nicht ein. Soll ich sagen: «Schöne Filzstifte, die Sie da in Ihrer Tasche tragen!»? Alle hier tragen nämlich einen wahren Filzstift-Regenbogen in ihrer Tasche.
Busper in Uster
Ich bin im Spital. Ich bin zum ersten Mal seit meiner Geburt mehr als drei Stunden im Spital, das erzähle ich im Spital allen, sie lächeln bei meinem wahnsinnig guten Witz milde und denken sich vielleicht: «Alte, das hören wir hier jeden Tag!» Mein Knie ist kaputt. Ein bereits nicht mehr existierendes Kreuzband meldete sich während der Ferien aus dem Jenseits, machte einen banalen Sturz am Ende einer leichten Wanderung durchs malerische Schottland zu einem Unfall, schrottete die Menisken und verletzte den Knorpel, jetzt wird aufgebaut.
Die Menisken werden zurechtgeschliffen, ein Stück Sehne wird vierfach gefaltet zum neuen Kreuzband. Dr. P. ist der Arzt meines uneingeschränkten Vertrauens. In Uster. Ich denke «busper in Uster», also das Gegenteil dessen, was ich in nächster Zukunft sein werde. Nämlich sowas wie fünfmal aufgewärmtes und siebenmal gefaltetes Suppengemüse.
Der Ärzteserien-Arzt
Dr. P. ist eine Gelenk-Koryphäe und zudem ganz klar ein klassischer Halbgott in Weiss, sein Aussehen ist gut, seine Laune ist gut, er arbeitet enorm viel, wirkt aber stets so entspannt, als käme er gerade vom Golfen oder von der Yacht, seine Fähigkeiten seien überragend, sagen die Google-Kommentare, die heutzutage nicht einmal mehr vor Ärzten halt machen. Dr. O., meine irrsinnig effiziente Allgemein-Ärztin, die auch MRI-Termine in Rekordzeit einfädeln kann, hat mich an Dr. P. überwiesen. Ich war schon einmal bei ihm, er trat in mein Leben, als mich vor zweieinhalb Jahren das Kreuzband verliess, wir hatten es lustig miteinander und seine Assistentin Frau K. war die beste, ich freute mich direkt darauf, die beiden wiederzusehen.
Auf Uster, wo Dr. P. unter anderem operiert und wo er früher einen freien Termin hatte als in seinem Spital in Zürich, freute ich mich nicht. Jetzt denke ich voller Dankbarkeit und Zuneigung daran zurück und kann sagen: Das Spital war eine gute Erfahrung. Ich hoffe trotzdem, sie so schnell nicht wieder machen zu müssen.
Am Abend nach meiner OP schauen mein Liebesleben (zuhause) und ich (im Spitalbett) gemeinsam das Finale von «Dr. House». Es bleibe dahingestellt, ob es die beste Erfahrung war, die ich in dem Moment machen konnte, doch die Idee schien uns stimmig zu sein.
Propofol
Ich erinnere mich jedoch dankbar an viele Menschen, die viel netter sind als House: An den Anästhesisten, den ich am Vortag meiner Operation zum Vorgespräch traf und der mir mit seligem Blick von Propofol vorschwärmte: «Da sind wir alle so Fan von!» An die Anästhesistin, die mir mit wenigen Griffen eine Infusion legte und vor dem Wegsacken in den Propofol-Schlummer sagte: «Das Schwierigste haben Sie schon hinter sich. Die Infusionen waren das Schlimmste an meinen beiden Geburten!»
Ich erinnere mich an den Spital-Physiotherapeuten, der wirkte, als würde er seine Patienten am liebsten in finnischen Wäldern auf einen von Elchen flankierten Vitaparcours schicken, und der mir innerhalb weniger Minuten das Treppensteigen mit Krücken beibrachte. An die Assistentin von Dr. P., die immer alles so freundlich und mit einem ungemein beruhigenden italienischen Akzent erklären konnte.
Nie, nie, nie Stress zeigen
Und ich erinnere mich an all die Pflegefachfrauen, die immer sofort da waren, wenn ich auf den Knopf über meinem Bett drückte, weil ich in der Nacht nach der OP schon wieder aufs WC musste, aber nicht aufstehen konnte. Daran, wie sie mir behutsam das «Schiffli» unterschoben. Und mir nie, nie, nie ein Gefühl von Peinlichkeit vermittelten, bloss von umsichtiger Professionalität. Und die nie, nie, nie, im Stress zu sein schienen, obwohl vom Flur her das Geräusch schneller Schritte, das Räderrollen eines Bettes oder eines Rollstuhls und die präzisen Anweisungen, die mit einem Notfall einhergehen, ins Zimmer drangen.
Über ein anderes Geräusch freute ich mich: Durch die offenen Fenster drang tagsüber und am frühen Abend nämlich viel Gelächter und angeregtes Reden, da hatten es ziemlich viele Leute ziemlich gut miteinander, und als ich endlich mal die Quelle davon entdeckte, sah ich, dass es sich um den Aussenbereich der Personalkantine und insgesamt um ein gutes Arbeitsklima handeln musste. An dieser Stelle auch noch einen grossen Dank an die Spitalküche!
Weinen, nichts als Weinen
Eine unverzichtbare Freundin, die eine viel schlimmere Knieverletzung und einen sehr viel schwierigeren Wiederaufbau hinter sich hat, stattete mich fürs Spital mit einem schönen Morgenmantel und einer Schlafbrille aus und warnte mich: «Du wirst die ersten Tage sehr viel weinen müssen.»
Was habe ich geweint! Weil mich die vielen Medikamente und die Hilflosigkeit komplett mürbe machten. Weil mir eine Krücke auf den Fuss fiel. Weil es in «Downton Abbey» viel zu viele emotionale Höhepunkte gibt. Weil ich dachte, mein Liebesleben liebt mich bald nicht mehr, wenn ich seine Hilfsbereitschaft so masslos überstrapazieren muss, weil ich weder einkaufen, noch Wäsche waschen noch kochen kann. Weil irgendwas weh tat. Weil alle so lieb waren. Weil mir meine Team-Gschpändli Toggi und Anna und Dani und Peter und Philipp SO einen schönen Blumenstrauss ins Spital schickten! Weil mir meine Chefredaktorin Nadine SO einen schönen Blumenstrauss nach Hause schickte! Wie soll man so viel Schönheit und der ihr inhärenten Vergänglichkeit denn anders begegnen als mit Tränen?
Die Physe und die Psyche
Und ich weinte einen Fluss voll, weil ich bei meinem ersten Physiotherapie-Termin eine Stunde zu früh war. Ich hatte mir das Datum falsch gemerkt. Ich hatte das ganze Wochenende lang geübt, wie ich mit Krücken die kurze, aber steile Strecke zur Physiotherapie zurücklegen könnte, am Samstag den halben, am Sonntag den ganzen Weg, am Montag kam ich völlig erschöpft im Studio an und war zu früh! Physiotherapeut G. schaute mich an – ein heulendes, zwischen den Krücken zusammensinkendes Häufchen Elend – und sagte väterlich: «Na, dein Blutdruck ist wohl gerade etwas niedrig, ich mache dir einen Kaffee.» Mit extra viel Zucker.
Auch G. kenne ich schon, auch er gehörte vor zweieinhalb Jahren zum Team Kreuzband, G. ist ein – mir fällt kein anderes Wort ein als Engel. Aber ein unnachgiebiger. Erst lullt er mich ein mit netten Gesprächen über Ferien in Italien oder neue Bücher und dann kommt, päng, eine Übung, bei der ich denke, nie-, nie- niemals schaffe ich das, weil es so weh tut. Ich sage nur «Velofahren». Und dann schaffe ich es doch. Vielleicht nicht am ersten oder zweiten, aber möglicherweise am dritten Tag. Am liebsten höre ich von G. das Wort «super». Und dann kommt das nächste Hindernis.
Ich denke an Tom Cruise, der sich ungefähr bei jedem Dreh eine derartige Verletzung einholt und ins Spital muss und noch nie ans Aufgeben gedacht hat. Und ich hoffe, dass er alle, die ihn immer wieder geduldig und liebenswürdig und kompetent zusammenflicken, mit Dankbarkeit überschüttet.
Es ist jetzt zwei Wochen her seit meiner Heimkehr aus Uster. Seit einer Woche habe ich nicht mehr geweint. Meist gehe ich jetzt nur noch mit einer Krücke durch die Wohnung. Ich kann dank eines Duschstuhls und einer jener zweifelhaft designten Gummimatten (ich nenne das Modell «squishy pebbles») selbständig duschen. Nächste Woche stehen in der Physiotherapie die ersten krückenlosen Schritte auf dem Programm. Und eines Tages werde ich busper durch Uster schlendern und vielleicht endlich den Spaziergang durch den Spitalgarten machen, von dem ich vier Tage lang träumte.
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