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«Projet Roger», Folge 1: Roger und sein neues Profilbild

Projet Roger Teaserbild bei der Porträtfotografin
Bild: watson
Projet Roger

Roger und sein neues Profilbild

Teil 1.
30.01.2025, 10:0113.02.2025, 08:53
Mehr «Leben»
Sei willkommen zu unserer neuen, völlig fiktiven Serie! In «Projet Roger» geht es um Roger Fässler, einen durchschnittlichen Typ, der in einem durchschnittlichen Büro arbeitet, sich dann aber in eine undurchschnittliche Frau verliebt und, um sie zu beeindrucken, haarsträubende Dinge tut. So stolpert er von einer Extremsituation zur nächsten.
Darum wär's vielleicht gut, wenn du ihn begleitest, fang ihn auf, wenn er fällt, hass ihn, wenn er sich danebenbenimmt, und liebe ihn, wenn er es am meisten braucht.
Denn kämpfen wir nicht alle um Anerkennung der eigenen Leistungen, suchen Erfüllung im Job und ein Zuhause, in dem man abends alle Masken fallen lassen kann, die man sich tagsüber aufs Gesicht geklatscht hat?

Heutzutage sollte man nicht so viel darauf geben, was jemand sagt. Was er tut, ist relevant. Sprich: Wie jemand sitzt. Seine Haltung. Wir sitzen ja quasi nur noch. Wir sitzen im Büro, im Auto, im Zug. Selbst im Flugzeug sitzen wir. Die reinste Sitzkultur. Die Römer sind im Liegen untergegangen, wir werden im Sitzen unseren Thrombosen erliegen.

Immerhin lässt sich das Sitzen als eine Art Tat definieren, zumindest der Akt des sich Hinsetzens. Was danach folgt, ist dann schon eher die Sitzung, quasi das Gegenteil jeglicher Handlung. Und da interessiert dann auch am allerwenigsten, was gesagt wird.

Was für ein Glück also, sitzt Roger, unser Protagonist mit dem schütter werdenden Haar, gerade nicht in einer Sitzung, sondern im Fotostudio von Madame Bodot; auf einem Barstuhl.

«Warum nur?», fragt man sich an dieser Stelle umso dringlicher, wenn man sich Rogers Haltung einmal ein bisschen genauer vor Augen führt. Warum nur hatte er sich bei all den mannigfaltigen Sitzmöglichkeiten, die ihm die Fotografin anbot, ausgerechnet für den Barstuhl entschieden?

Es sah nämlich nicht unbedingt danach aus, als hätte er darin eine gute Zeit. Es sah bloss danach aus, als wollte er die unbedingt haben. Und hier, meine Damen und Herren, nach genau 200 Wörtern, machen wir bereits Bekanntschaft mit Rogers bestimmendstem Wesenszug; der Verbissenheit, mit der er die Dinge anging. Dass er immer wieder versuchte, ihr mit einer Art demonstrativer Entspanntheit zu begegnen, machte die Sache nicht besser.

Und die schmale Beschaffenheit des Barstuhls ebenso wenig. Roger kämpfte mit dessen Armlehnen, in die er sein Gesäss erst mit der einen, dann mit der anderen Backe regelrecht einfädeln musste, nur um dann festzustellen, dass er jetzt wohl für die Ewigkeit dort festsitzen würde.

Das, was er da tat, war kein freies Sitzen, wie man das von Leuten auf Barstühlen sonst so kennt, dieses Lockere, Erhabene auf einem Hochsitz Thronende und vor erbaulicher Unabhängigkeit sanft hin- und her Schwingende. Hier hatte der Stuhl gewonnen und machte zunichte, was sich Roger an Inszenierungsvision zurechtgelegt hatte. Der coole, Single Malt trinkende Barheld, den er für sein Porträt mimen wollte, lag im Klammergriff jener metallenen Armlehnen im Sterben.

Und wer trug die Schuld daran? Offenkundig war es die Unbeugsamkeit seines Naturells, mit der er sich selbst in diese missliche Lage hineinmanövriert hatte. Sein Knochenbau konnte nichts dafür. Nicht einmal sein aussergewöhnlich breites Becken, es war nur der perfekte Sündenbock für einen Mann, der sich angewöhnt hatte, zuverlässig an seinen wahren Unzulänglichkeiten vorbeizubezichtigen. Das Mindeste, was es in jenem Moment tun konnte, war also, Rogers Anklage zuzustimmen, sich schuldig zu bekennen und die Last jenes Sitzfails stoisch für ihn zu stemmen.

Diese elenden Beckenschaufeln. Wie hatte seine Mutter ihn damit überhaupt gebären können? War der Kopf hier wirklich der schwierigste Teil? Das waren Fragen, die Roger seit dem Tag verfolgten, an dem er die enormen Dimensionen seiner Problemzone erfasst hatte.

Schliesslich aber war sein Becken ein Erbstück, das man mit Stolz zu tragen hatte, wie ihm Opa Fässler immer wieder einbläute. Dieser hatte dieselben mahnenden Worte schon von seinem Vater gehört – es war seit Urzeiten die Fässlersche Taktik, jene Region zwischen Bauch und Beinen als Familienjuwel zu propagieren, statt sie zu verleugnen. Bei Roger fruchtete die Taktik allerdings nicht, im Gegenteil, sie lag brach auf dem mageren Boden seines Selbstwertgefühls.

Esther Fässler hingegen begegnete den Unsicherheiten ihres Jungen stets mit Essen. Eigentlich begegnete sie damit überhaupt allem. Seit er denken kann, stand sie in der Küche und machte sich an ihre geschmacksarmen Menüs: Risi-Bisi, Ghackets und Hörnli, es war egal, sie ertränkte alles in einem unfassbar dünnen Sösslein. Genau wie beim Eisberg ragte bloss die Spitze des Kartoffelstocks aus dem Wasser, die restlichen 90 Prozent lagen darunter. «Das liegt daran, dass ich vom Meer komme», war ihre Antwort auf jegliche Form von Kritik an ihren Kochkünsten. Dabei stimmte das nicht einmal. Sie kam vom Bodensee.

Wenn Roger Glück hatte, traf er in den Weiten dieser wässrigen Tunke auf ein Fettauge. Darin hatte sich der ganze, so rar gesäte Geschmack gesammelt. Und zack, schlürfte er ihn gierig weg. Das ist es, was sein Leben, kulinarisch betrachtet, geworden war: die Suche nach Fettaugen. Und hatte er wieder einmal zu viele davon gefunden, ging er ins Fitnessstudio bei einer Kette namens Update. Oder Upgrade. Roger wusste nicht, wie die Bude genau hiess, er wusste nur, dass er daraus als eine verbesserte Version seiner selbst wieder heraustrat.

So wie heute. Dem ersten Tag seiner goldenen Zukunft. Dem Tag, an dem das Bild geschaffen würde, das seiner Vita den nötigen Karriereboost verpasste. Auf dass es bald schon keine Mitarbeiter-Sitzungen mehr für ihn gäbe, sondern nur noch reinste GL-Meetings.

Dafür hatte er auch nach dem Training extra nichts gegessen. Und trotzdem sass er jetzt in diesem Barstuhl fest, hungrig und nach Nüssli verlangend, die ihm in einer anständigen Bar schon längst gereicht worden wären. Stattdessen arbeitete Madame Bodot an der optimalen Ausleuchtung ihres Kunden. Geschäftig bog sie die flexiblen Arme ihrer antiken Leuchten zurecht, die wahllos an irgendwelchen Gegenständen im Studio zu klemmen schienen. Als sie damit fertig war, zeigten alle wie merkwürdig verkrümmte Schlangen in Richtung Roger.

Ihre exquisite Lichttechnik war einer der Pfeiler, auf denen ihr tadelloser Ruf fusste. So sorgte sie für die schummrige Note, die so charakteristisch war für ihre Porträts und mit denen sie es in den letzten Jahren geschafft hatte, zur In-Fotografin der Stadt zu werden.

Ihr Studio strahlte den Geist zwischenkriegszeitlicher Eleganz aus; man hatte den einen überstanden und der kommende würde einen auch nicht mehr umhauen. Die Menschen gingen mit dem Gefühl da rein, dass sie alles überleben konnten. Darum hatte wohl auch Sergio Ermotti seine Porträtfotos bei Madame Bodot machen lassen.

Jetzt aber war Roger an der Reihe, der noch immer versuchte, seinen inzwischen ganz fahl gewordenen Barhelden zurück ins Leben zu holen. Er lehnte sich betont lässig nach hinten, soweit ihm das in seiner festgespannten Position eben möglich war, um seinen Körper in einen Winkel von etwa 130 Grad zur Stuhllehne zu bringen. Ein Winkel, so dachte er sich, aus dem heraus er aller Widrigkeiten zum Trotz, in beinah römisch liegender Manier zu überzeugen vermochte. Als Barheld, als Chef, als Mann.

«On y va», unterbrach die Fotografin seine Gedanken. «On y va», wiederholte Roger mantraartig, während vor ihm sein altes Französisch-Lehrbuch Gestalt annahm, genauer Simone, wie sie darin die Pariser Métro verpasst. Die Türen schliessen sich vor ihrer Nase und die Zurückgebliebene sieht aus, als hätte sich damit die Freundschaft zu René und François ein für allemal erledigt. Diese Dreckskerle sind ohne sie losgefahren. Im Buch heisst es dazu lakonisch: «Simone reste baba.»

Roger wollte nicht zurückbleiben. Und schon gar nicht baba. Dieses Baba wirkte plötzlich so bedrohlich auf ihn, dass er sich schlagartig aus seiner diagonalen Position erhob und in einen heillosen Aktionismus verfiel. Das zweifelhafte Bizeps-Flexen, mit dem das Schauspiel seinen Anfang nahm, wich bald einer Faust, die einen Moment lang aufrührerisch in der Luft hing, bis schliesslich alles in sich zusammenfiel, die Winkel und auch die Muskeln, und der ganze Kampf sich in Rogers Gesicht verlagerte, in dem sonst nicht viel los war; ein Gesicht zum Vergessen eigentlich, eines ohne Spannungspotential, weder in Sachen Straffheit noch in Sachen gelungener Merkmale. Es war vielmehr eines, das in der Migros schon hundert Mal an einem vorbeigezogen ist, so wie die Kartoffeln in der Auslage, man denkt sich Kartoffeln, man denkt sich Gesicht; man nimmt eine Existenz zur Kenntnis.

Roger stöhnte. Die Fotografin fotografierte.

Und da war es. Das Foto, das so viel mehr war als die Kenntnisnahme einer Existenz. Das Foto, das die eine bestimmende Wahrheit, Rogers Essenz, seinen Kern, den Urgrund offenbarte.

Roger in seiner reinsten Rogerhaftigkeit!

Der pure Struggle, der uns, im Glanze einer speckig geschwitzten Stirn, vom schwelenden Unbehagen in Bezug auf den eigenen Körper erzählt, von am eigenen Unvermögen zerschellten Erwartungen, aber ebenso von einem eisernen Willen, einem fast bohrenden Eifer, mit dem er sich Wege bahnt, wo keine sind.

Ein Mann wie ein Holzwurm. Einer, der sich durch verschlossene Türen frisst. Ein Mann mit Biss.

Madame Bodot war es gelungen, einer in der Tendenz doch eher formlosen Materie Gestalt zu geben, ihr den Lebensodem einzuhauchen. Im Grunde hatte sie Roger gerade erschaffen. Roger, das Meisterwerk.

Doch jedes Stück Kunst, ist es erst einmal vollbracht, muss irgendwann raus aus dem Mutterleib, und allein in der Welt bestehen. Zumindest aber auf LinkedIn. Denn das war von Anfang an Rogers Plan. Mit dem neuen Porträt sein Business-Profil frisieren.

Und das tut er nun, zuhause, vor seinem Computer sitzend. Dann wartet er.

Rita vom HR liket es.

Er drückt F5.

Dann wartet er wieder. Fünf Sekunden lang.

Drückt F5.

Sein Magen knurrt, er rebelliert gegen das Hungern, Roger rebelliert gegen das Knurren. Er kann jetzt nicht weg.

F5.

«Géra, komm schon.»

Er tastet nach dem Powerbar-Gel auf seinem Schreibtisch, seine Finger finden und öffnen es, er sperrt den Mund mehr auf als nötig und drückt die C2MAX-Dual-Source-Carb-Mix-Kohlenhydratmischung in sich hinein.

«Mmmh, Passionsfrucht», denkt er, und wird ganz euphorisch, vollauf bereit, sein volles Potential auszuschöpfen. Er haut in die Tasten und schreibt unter sein Bild: «Ready to Ramble!». Dann googelt er den Satz. Schreibt «Rumble». Und ergänzt: «Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen.» Speichert.

F5.

«Sicher liket sie es nicht, weil ich auf dem Bild statt dem TAZ vom Militär ein blaues Hemd anhabe», erklärt er sich die Abwesenheit von Géraldines blauem Daumen unter seinem Post. Dabei würde er für sie sofort auch das Gnägi noch oben drüberziehen! Géraldine stand auf Männer in Uniformen. Und Roger stand auf sie.

F5.

«Los, Géra!»

Rolf liket es – und schreibt darunter:
«Geiles Foto Rotsch !!!!!!»

Rolf wohnt unter Roger und ist arbeitslos.

F5.

F5.

Für immer F5.



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Beine-Wirrwarr im Hause Klumnitz
bild: instagram/heidiklum
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Diese Kamera fotografiert die nächsten 1000 Jahre
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99 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Biene_Maja
30.01.2025 11:05registriert Oktober 2017
Nach dem Lesen des ersten Abschnitts hab ich erst mal meinen Schreibtisch hochgefahren. Wir sitzen echt etwas viel😄
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Serval
30.01.2025 10:37registriert Mai 2021
Herrlich geschrieben, Frau Rothenfluh! Ich mag den Roger schon jetzt - wie eigentlich alles aus Ihrer Feder. Ich würde auch ein von Ihnen geschriebenes Telefonbuch lesen. Vielen Dank und einen schönen Tag, meiner ists :-)
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Eistgleichemcequadrat
30.01.2025 11:33registriert Dezember 2019
Fängt gut an. Freu mich auf nächsten RoDo - Roger Donnerstag!
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