Es ist nicht so, dass ich es je gemacht hätte. Schliesslich will ich mir meine Vorurteile bewahren. Sie in Form von Schreckensbildern in meinem Kopf hegen und pflegen und niemals durch sowas Radikales wie Erfahrung zerstören.
Fantasie reicht vollauf, mich rein geistig in eines dieser sündhaft teuren Berghotels zu begeben, das es geradezu vorzüglich versteht, mich mit dem Anpreisen seiner Schwefelbäder und Intensiv-Solegrotten, seiner Well-Aging-Anwendungen und Mind-and-Body-Übungen, seiner Lomi-Lomi-Massagen und Erlebnis-Duschen geschickt in seinen Wellness-Bereich zu locken.
Nur, was ist eigentlich, wenn ich diesen Bereich wieder verlasse? Fängt da sofort der Badness-Bereich an? Und warum reicht nicht eine Sauna, warum müssen es immer gleich ganze Sauna-Landschaften sein? Und was bitte heisst das überhaupt? Dass man in das spektakuläre Bergpanorama, das sich vor meinem Fenster auftut, mitten in diese felsige Natur hinein, neben dem pompösen Hotelkomplex auch noch eine Schwitzstube nach der anderen hineingepflanzt hat?
Aber sieh nur, heisst es dann, das sind doch bloss niedliche kleine Blockhäuschen, die sich ganz wunderbar in die Umgebung hineinschmiegen.
Hineinschmiegen. Soso.
Hat irgendjemand mal die Umgebung gefragt, ob das für sie ok ist? Und warum müssen sich gleich so viele an dieser Schmieg-Orgie beteiligen?
Weil, so lerne ich, Sauna nicht gleich Sauna ist. In diesen von aussen so warmherzig scheinenden Holzhüttchen wird nun die Folter in geradezu infamer Vielfalt praktiziert.
Da gibt es die Finnische mit all ihren Untervarianten – hier wird man mit Rauch, Feuer, Salz oder Keloholz malträtiert, während in der Biosauna – ein besonders perfider Name für jenes feuchte Warmluftbad des Grauens – versucht wird, den beissenden Geruch des Angstschweisses, den die Gequälten hierin absondern, mit ätherischen Ölen zu übertünchen. Für den krönenden Abschluss aber sorgt die russische Banja.
Hier wird das Wenik-Ritual begangen.
Gnade mir Gott.
Der Schluck Wodka, den du davor bekommst, wärmt erst wohlig deine Kehle. Dankend nimmst du das Gläschen entgegen, preist es als Gnadenakt, als letzte Geste der Menschlichkeit, bevor du deinem Schicksal zugeführt wirst. Du nippst verhalten daran, versuchst das Unabdingbare hinauszuzögern, doch das Auskosten kostet dich viel, denn deine Seele, ja jede Zelle lechzt, schreit nach jenem lindernden Wässerchen.
Dann merkst du es.
Es war zu wenig.
Der letzte Tropfen verharrt reglos auf deiner Unterlippe, deine Zunge sucht noch nach ihm, während deinem Geist die ganze Niedertracht deiner nun gewonnenen Erkenntnis gewahr wird.
Dieser Winzwodka hat nichts in dir betäubt. Stattdessen hat er deinen Körper erst recht wachgerüttelt. Wie eine zitternde Membran stehst du im Raum, auf heimtückischste Weise dazu bereit gemacht, allen Schmerz, der da kommen wird, bis in die letzte Faser hinein zu spüren.
Wer lässt sich aber auch für hundert Stutz von einem Filzhut-tragenden Möchtegernrussen mit einer Birkenrute versohlen.
Wahrscheinlich Menschen, die aktiv das Wort «saunieren» dafür verwenden. Am liebsten im Zusammenhang mit «Kunst» und damit das an Banalität kaum zu übertreffende Wissen darum meinen, dass man nämlich vor jedem Saunagang duschen und sich abtrocknen muss.
Die Wahrheit aber ist doch: Man legt oder setzt sich blutt auf eine dieser grillähnlichen Holzbanken, die eine Füdlibacke schon bald in einem Spalt hängend, weil das Tüchli immer irgendwann verrutscht. Man kann kaum atmen und dann schwitzt man. Man schwitzt aufs Tüchli, man schwitzt auf die Holzbank, man tropft in die Ritzen und auf den Boden, wo sich deine Perlen mit denen der anderen schwitzenden Menschen vermengen, sie treten aus Stellen, die du nie sehen wolltest, sie laufen zu einer mannigfaltigen Ausdünstungspfütze zusammen, durch die du beim Verlassen der Sauna auch noch hindurchwaten musst.
Doch das Schlimmste ist nicht einmal diese Fusspilz-züchtende, brachial-brutale Schwitzindustrie, sondern der dabei herrschende Entspannungs-Imperativ. Im Ruhe- oder wahlweise auch im stimmungsvollen Lounge-Bereich (Hauptsache Bereich) gern auch mit einem Sprechverbot-Schildchen garniert.
So ein Raum lädt mich nun also zum Entspannen ein. Zum Entschleunigen. Zum Relaxen. Zum Seele baumeln lassen.
Ja, Himmelherrgott!
ICH WERDE SEIT MEINER ANKUNFT MIT DIESEM VERBLÖDETEN WELLNESS-VOKABULAR DRANGSALIERT, DARF NICHT REDEN, MUSS MICH AUF EINE UNBEQUEME HOLZPRITSCHE HAUEN, UMGEBEN VON BADEMANTEL-TRAGENDEN ENTSPANNUNGSULTRAS MIT GESCHLOSSENEN AUGEN, UND MICH VON STINKENDEN, NATURDUFT-INSPIRIERTEN HEUBALLEN VERPESTEN LASSEN, WÄHREND DAS KÜNSTLICH ANGELEGTE UND FARBIG BELEUCHTETE BÄCHLEIN MIT HOLZBRÜCKE UND DIE WANDTATTOOS MIT DEN AUFGEHENDEN LOTUSBLÜTENKNOSPEN, DEN AUFEINANDER GETÜRMTEN STEINEN IM SONNENUNTERGANG UND DEM FÜRS GLEICHGEWICHT DER SEELE WELLENFÖRMIG ZURECHTGERECHELTEN SAND MEINE RETINA VERBRENNEN.
Und bevor das Verwöhn-Programm startet, bevor ich mich bäuchlings auf diese entwürdigende Matratze mit Gesichtsloch (warum heisst das dann eigentlich nicht Lochness?) legen und mich mit Kräuterstempeln schinden lassen muss, wünsch' ich mir nach all den Strapazen bloss noch den wohlverdienten Kreislaufkollaps herbei.
Er möge schnell kommen und mich in die wohlige Bewusstlosigkeit entführen. Nur so lange, bis das alles hier vorbei ist.
Wobei ich zugeben muss, dass ich "Wellness light" (Dampfbad und Solbad) sehr mag. Nicht tagelang, aber ab und zu mal 1-2 Stunden.