Am 17. Oktober 2016 strahlten die ARD, SRF und ORF gleichzeitig «Terror – Ihr Urteil» aus. Eine Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks des deutschen Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach.
Der Plot: Ein Flugzeug wird auf dem Weg nach München entführt, Ziel der Entführer ist, es auf ein Fussballstadion mit 70'000 Menschen stürzen zu lassen. Ein Kampfpilot steht vor dem Dilemma seines Lebens: Soll er das Flugzeug abschiessen und 164 Passagiere töten, um 70'000 zu retten? Er entscheidet sich für den Abschuss und damit die Straftat. Jetzt wird sie vor der Grossen Strafkammer des Schwurgerichts Berlin verhandelt. Und am Ende der Verhandlung stimmt das TV-Publikum über Schuld oder Unschuld ab.
«Terror» sahen 6,88 Millionen Menschen in Deutschland, 285'000 in der Schweiz und 849'000 in Österreich. 80'000 nahmen in der Schweiz am Voting teil, 84 Prozent plädierten für Freispruch, in Deutschland und Österreich gar 87 Prozent. Als «Terror» im Theater gezeigt wurde, waren nur 60 Prozent für einen Freispruch. Jetzt wird das Experiment wiederholt.
Auch «Gott» ist die Verfilmung eines Theaterstücks von Ferdinand von Schirach. Als es früher in diesem Jahr ins Theater kam, waren die Kritiken höllisch vernichtend, und leider bleibt «Gott» auch als Film weit hinter «Terror» zurück. Wir erleben jetzt keine Gerichtsverhandlung, sondern eine Sitzung des Deutschen Ethikrats in Berlin. Und so eine Sitzung ist eine Sitzung ist eine Sitzung.
Richard Gärtner, 78 und seit drei Jahren Witwer, will sterben. Obwohl er gesund ist. Denn durch den Tod seiner Frau hat er jeden Sinn und jede Orientierung verloren. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verweigert ihm das gewünschte Gift. Ebenso seine Hausärztin. Jetzt will er seinen Fall vor dem Ethikrat verhandeln und in die Öffentlichkeit bringen. Seine Hausärztin, eine Rechtsprofessorin, der Vorsitzende der Ärztekammer, ein Bischof, mehrere Mitglieder des Ethikrats und Gärtners Anwalt verhandeln.
Medizin und Kirche meinen in «Gott» ganz klar Nein zur Frage, ob assistierter Suizid grundsätzlich zulässig sei. Der Bischof argumentiert unter anderem damit, dass ein Unterschied zwischen wertem und unwertem Leben, wie es die Nationalsozialisten kategorisierten, geschaffen werde, womit ein ethischer Dammbruch einsetzen würde. Und dass das Christentum nun mal eine Religion des Leidens sei.
Der Vertreter der Ärztekammer ist dafür, psychische Probleme mit Therapien und körperliche Schmerzen im Falle eines bevorstehenden Todes mit Palliativmedizin zu lindern. Die Hausärztin rät unter allen Umständen davon ab, selbst einen Suizidversuch zu unternehmen, die Rate derer, die misslingen und irreparable Schäden zurücklassen, sei zu gross. Die Juristin sagt, dass es keine Rechtspflicht gibt, zu leben. Die Schweiz mit ihren sechs Sterbehilfeorganisationen ist ein grosses Thema.
Weitere Fragen sind: Wem gehört unser Leben? Dem Individuum oder einer grösseren Gemeinschaft? Verstösst derjenige, der sein gesundes Leben selbstbestimmt aufgeben will, gegen seine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber allen, die von ihm abhängig sind? Und darf die Kirche mit ihrer Vergangenheit voller Kreuzzüge, Inquisitionen und Hexenverbrennungen und mit all ihren jüngeren Vergehen gegen Jugendliche und Kinder überhaupt andere vom Sterbenwollen abhalten?
Auch jetzt darf das Publikum nach der Sendung entscheiden, ob Gärtner das Recht hat, seinem Leben mit ärztlicher Hilfe ein Ende zu setzen. Es darf also nicht nur Richter, sondern sogar Gott spielen. Und damit es mit all den Fragen, die der Film aufgibt, nicht alleine gelassen wird, gibt es direkt im Anschluss auf allen Sendern Diskussionsrunden mit Expertinnen und Experten. Auf SRF einen «Club» mit Barbara Lüthi, in der ARD «hart aber fair» mit Frank Plasberg, im ORF diskutiert Peter Resetarits mit Gästen.
Österreich wird dieses Mal nicht mitvoten, denn die Rechtslage in Österreich ist eine andere.
– In Österreich ist assistierter Suizid noch immer ein Verbrechen und wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Dazu gehört schon nur der Kauf eines Bahn- oder Flugtickets für jemanden, der damit in die Schweiz fährt, um die Hilfe einer Sterbeorganisation in Anspruch zu nehmen.
– In Deutschland ist assistierter Suizid wie in der Schweiz legal, aber erst seit Februar 2020. Da befand sich das Team von «Gott» übrigens mitten in den Dreharbeiten und das Drehbuch musste angepasst werden.
– In allen drei Ländern legal sind die passive (der Verzicht auf oder Abbruch von lebensverlängernden Massnahmen) sowie die indirekte (man nimmt in Kauf, dass die vorübergehende Verbesserung der Lebensqualität eines Betroffenen zu seinem Tod führen kann) Sterbehilfe.
– Aktive Sterbehilfe oder Tötung auf Verlangen ist in allen drei Ländern illegal.
Im Gegensatz zu «Terror», wo es um einen zwar fiktiven, aber brisanten Gerichtsfall ging, bleibt die Diskussion vor dem Ethikrat allzu theoretisch. Die Situation um Gärtner wie auch dessen Figur wirken gestellt und unglaubhaft. Gerne würde man Gärtner raten, sich doch einfach mal richtig mit seinen Enkeln zu beschäftigen. Oder in die Schweiz zu fahren. Trotzdem werden natürlich interessante Punkte angesprochen, und Lars Eidinger als Rechtsanwalt, der restlos alles besser weiss und für jedes Argument ein besseres Gegenargument findet, ist klasse.
«Gott»: Mo, 23.11., 20.15 Uhr auf SRF 1, ARD, ORF.
(sme)
Wenn die Kirche der Meinung ist, sie seien eine Kirche des Leidens, dann sollen sie ihr Vermögen, ihre Immobilien, ihren Protz verschenken und leiden, sich jedoch nicht ins Leben andere einmischen.