Ihr neuer Klient heisst «die Schlange». Ihr prominentester heisst «der Schakal», und diesen hat sie auch noch geheiratet. Doch dazu später. Die Schlange ist Charles Sobhraj, der französische Serienmörder, der am 23. Dezember aus dem Gefängnis in Nepal entlassen wurde, angeblich wegen guter Führung und aus gesundheitlichen Gründen, doch natürlich weiss es seine Anwältin besser.
Die gesundheitlichen Gründe, sagt Isabelle Coutant-Peyre kurz vor seiner Ankunft in Paris, seien bloss ein Vorwand gewesen, der wahre Grund sei, dass die nepalesischen Behörden endlich eingesehen hätten, dass der 78-jährige Sobhraj zu Unrecht so viele Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht habe. Denn von allem, was wir über Sobhraj zu wissen glaubten, seien höchstens «30 Prozent» wahr.
Mit «alles» meint sie die BBC-Serie «The Serpent», die noch immer auf Netflix zu sehen ist, die Geschichte eines Mannes, dessen einziger Beruf die Kriminalität war, und der in den 70er-Jahren in Asien, vorwiegend Thailand, mindestens zwanzig Touristinnen und Touristen vergiftete, erdrosselte oder verbrannte. Er reiste mit den gefälschten Pässen der Toten und gefügigen Gefährtinnen durch die Welt, er bestach Gefängniswärter mit Juwelen und war der prototypische, eiskalte, supersmoothe Charismatiker, den die Macher von True Crime Dramas so sehr lieben.
1976 betäubte er in Indien einen ganzen Bus voller Touristen und wurde dafür verhaftet. Als nach zehn Jahren seine Entlassung bevorstand, drohte ihm die Auslieferung nach Thailand und damit die sichere Hinrichtung. Er verlängerte deshalb seine Haft, indem er Wachen und Mitgefangene betäubte, das Gefängnis verliess und sich wenig später wieder einsperren liess. 1997 wurde er erneut entlassen, seine Thailand-Morde galten inzwischen als verjährt, er lebte eine Weile in Frankreich, verkaufte für viel Geld die Rechte an seiner Geschichte und machte dann den Fehler, nach Nepal zu reisen, wo er noch immer wegen zweifachen Mordes gesucht wurde. Und so sass er die letzten 19 Jahre eben erneut im Gefängnis.
Dass Isabelle Coutant-Peyre ihn jetzt gegen die BBC und Netflix verteidigen will, hat seine Logik. Die Anwältin liebt die Superbösen. Sie brauchen bloss das richtige Codewort anzuwenden. Es lautet: Kampf dem westlichen Imperialismus. Sobhraj, der Franzose mit einer vietnamesischen Mutter und einem indischen Vater, deklarierte jeden seiner Morde an amerikanischen oder europäischen Backpackern als Kampf gegen den westlichen Imperialismus.
Coutant-Peyre verteidigte auch schon ein RAF-Mitglied und Attentäter, die in die Anschläge von 9/11 und auf die Redaktion von «Charlie Hébdo» verwickelt gewesen waren. Auch die Familie Gaddafi hat sie schon um ihre Dienste gebeten. Vor allem aber war sie die Anwältin des zum Islam konvertierten venezolanischen Terroristen Carlos, des «Schakals». Also von Ilich Ramírez Sánchez, der nach eigenen Angaben im Namen des palästinensischen Befreiungskampfes für über 1500 Opfer verantwortlich sein will. Für Dutzende von Toten und Hunderte von Verletzten. Coutant-Peyres Kundenkartei kommt aus dem glühenden Kern der Hölle.
1975 ist Carlos der Kopf hinter der grossen Geiselnahme während der OPEC-Konferenz in Wien. Vor Osama bin Laden ist Carlos der meistgesuchte Verbrecher der Welt. Für Coutant-Peyre ist er ein Rebell, ein Revolutionär und Romantiker. Seine Geiseln hatten den Terror verdient. Seine Toten starben aus guten Gründen.
1994 wird er im Sudan verhaftet und an Frankreich ausgeliefert, 1997 stösst sie zu seinem Anwaltsteam. Ihr Kanzleikollege Jacques Vergès hat dies eingefädelt, zu seinen Klienten zählen der deutsche NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie und der Serbe Slobodan Milošević. Als Coutant-Peyre Carlos zum ersten Mal begegnet, schlägt der Blitz ein. Jedenfalls schildert sie dies in ihrer 2004 erschienenen Autobiografie «Epouser Carlos: Un Amour sous Haute Tension» (Carlos heiraten: Eine Liebe unter Hochspannung) so: «Er nahm meine Hand und küsste sie auf die höflichste Weise. In diesem Moment ging eine Welle des Erkennens zwischen uns hin und her.»
Die beiden entscheiden sich 2001, wenige Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center, zu heiraten. Der Fall der Phallussymbole des westlichen Imperialismus beflügelt sie. Und obwohl sie regelmässig die Prozesse mit ihren aussichtslosen Klienten verliert, ist sie sicher, dass ihr jetzt endlich das Wunder gelingen wird, sie weiss nur noch nicht, wann. Sie sieht Carlos ganz klar als zukünftigen Präsidenten Venezuelas. Doch zuerst muss sie sich noch von ihrem Mann und er sich von seiner ersten Frau, der ehemaligen deutschen RAF-Aktivistin Magdalena Kopp, scheiden lassen. Und dann ist da auch noch seine zweite Frau, eine Sudanesin, aber die ist schon lang nicht mehr auffindbar. Carlos ist 52, Coutant-Peyre 48.
Im Jahr 2000 schliesslich «sind die Barrieren zwischen uns gefallen, und die Macht unserer Gefühle füreinander hat sich enthüllt». Ihren drei Kindern ist es egal, wen Maman heiratet, ihre Eltern sind entsetzt. Isabelle Coutant-Peyre ist mit ihren drei Brüdern beim Vater aufgewachsen, einem erfolgreichen Geschäftsmann, sie gebar drei Söhne und arbeitet mit Männern wie Vergès. Das habe sie abgehärtet, sagt sie. Härte kann sie. Und sie radikalisiert sich. Als Antiimperialistin, Antifeministin, Antisemitin. Und immer gegen den französischen Staat. Die französische Journalistin Judith Perrignon, die Coutant-Peyre und Carlos 2001 trifft, bezeichnet die Kettenraucherin als «eine Gerte voller Dornen».
Die Ehe mit einem Inhaftierten, der Jahre in Isolationshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis verbringt, ist, sagt sie, weitgehend sexlos. Natürlich ist es genau dies, was die französische Presse am meisten interessiert. «Ich habe mir die perfekte Antwort ausgedacht. Ich sage, ich habe einen idealen Ehemann, weil er mich die ganze Nacht allein lässt», sagt sie 2004 in einem Interview.
Dafür schreibt er ihr glühende Liebesbriefe, die sie selbstverständlich in ihrem Buch veröffentlicht: «Ich bin neidisch auf die Sonne, die dich bräunt», steht da, «auf den Schatten, der dich umschmeichelt; auf deine Laken, die mich nicht bedecken. Auf deine Beine, die nicht mit meinen verschlungen sind.»
Die beiden sind bis heute verheiratet. Ihre Liebe, heisst es, sei inzwischen allerdings erkaltet. Gut möglich, dass es Charles Sobhraj, von dessen exzellenter körperlicher Verfassung Coutant-Peyre jetzt schwärmt, gelingt, eine neue zu entfachen.
Der Klient, welcher von ihr verteidigt wird, ist schuldig.
und:
"...der in den 70er-Jahren in Asien, vorwiegend Thailand, mindestens zwanzig Touristinnen und Touristen vergiftete, erdrosselte oder verbrannte"
Also in Wahrheit hat er nur sechs Leute getötet!? Und wegen solch einer Lappalie musste der arme Kerl ins Gefängnis? Klarer Fall von Justizirrtum!