Nein, hier geht es nicht um die Qualitätsware des Herzens wie «Love Actually» oder «Drei Nüsse für Aschenbrödel». Und es geht auch nicht um Filme mit wilden Kindern und anderen Komikern. Hier geht es um die sentimentale Dutzendware, die wir gerade antreffen, wenn wir den TV oder Netflix einschalten. Sie ist nicht mehr zu unterbieten. Ein wirklich irrer Irrsinn. Aber er hat so viel System, dass er eigentlich nur von einer AI stammen kann.
Der ganz gewöhnliche romantische Weihnachtsfilm heisst in diesem Fall «Falling for Christmas», «A Castle for Christmas», «Crown for Christmas», «Last Christmas», «Christmas at the Plaza», «Christmas on Ice» und «The Noel Diary». Über «Last Christmas» erfuhr ich im «Guardian», dass erstens Emilia Clarke die Hauptrolle spielt und zweitens die sehr verehrte Emma Thompson das Dehbuch geschrieben hat. Pefekt, dachte ich, ein Drehbuch von einer Drehbuch-Oscar-Preisträgerin. Die Wahrheit war eine andere.
Clarke spielt Kate, die nach einem Unfall einen Dachschaden davongetragen hat, weshalb Michelle Yeoh sie nur noch aus Mitleid in ihrem Weihnachts-Grümscheliladen beschäftigt. Doch dann lernt Kate den sehr süssen Tom (Henry Golding) kennen, der aus unerklärlichen Gründen kein Handy besitzt und karitative Arbeit in der Gassenküche macht. Kate verkuppelt ihre Chefin mit einem skandinavischen Sauerkrautexperten und sammelt singend Geld für die Gassenküche.
Leider realisiert sie, dass es Traummann Tom gar nicht gibt, beziehungsweise, dass es ihn einmal gegeben hat, aber dass das Spenderherz, das Kate nach dem Unfall eingebaut wurde, von ihm stammt. Wieso überhaupt die ganze Liebesgeschichte stattfinden konnte, darf man sich nicht fragen, Kate hat halt mit dem Herzen gesehen. Und wie der Titel schon sagt: «Last Christmas» von Wham! beherrscht den Gehörgang. Aber ich gestehe: Dieses Ende ist irgendwie schräg.
Schlichter erwischt es Erfolgsschriftstellerin Sophie (Brooke Shields) in «A Caste for Christmas»: Sie schreibt romantische Bücher, tötet aus Rache am Ex den schönsten ihrer schönen Helden, muss nach Schottland flüchten, findet dort ein schönes, aber marodes Schloss mit mehreren zugemüllten Zimmern und einem nicht gerade unansehnlichen, aber verarmten Besitzer. Gemeinsames Ausreiten verbindet. Wie das wohl zu Ende geht?
Oder «The Noel Diary»: Bestsellerautor Jake Turner (wie «Page Turner») schreibt romantische Schinken und lebt stilistisch korrekt, da stirbt seine Mutter und er muss sich um ihr süsses, aber marodes und vermülltes Haus kümmern. Schon bald läuft ihm die Tochter seiner ehemaligen Nanny über den Weg, sein Hund vermittelt, es gibt noch ein paar Rätsel zu lösen, doch dann ...
Geil auch «Christmas at the Plaza»: Historikerin Jessica erhält ein Stipendium, um innerhalb weniger Tage die Geschichte der Weihnachtsfeiern im New Yorker Plaza Hotel für eine Ausstellung aufzubereiten. Jessica wählt den naheliegenden Topos der Christbaumspitze. Sie findet alle Christbaumspitzen aus der Geschichte des Plazas ausser einer! Die Suche danach führt in einen abenteuerlichen Weihnachts-Grümscheliladen, und unterstützt wird sie dabei von Christbaumdekorateur Nick, der nicht schwul ist ...
Auch Luxus-Hoteliers-Tochter und Influencerin Sierra Belmont (Lindsay Lohan) liebt ihren doofen Verlobten in «Falling for Christmas» nicht so richtig, das merkt man gleich. Weshalb es gut ist, dass sie bei einem Skiunfall einen Gedächtnisverlust erleidet und in den Armen eines bodenständigen Konkurrenz-Hoteliers und alleinerziehenden Witwers wieder zu sich kommt. Gerade rechtzeitig, um mit ihm und seiner herzigen Tochter Weihnachten zu feiern.
Der alleinerziehende Witwer und Ex-Eishockey-Profi Noah eröffnet in «Christmas on Ice» (Motto: «They found love in a frozen place») kurz vor Weihnachten ein riesiges Eiszenter am Rand einer idyllischen Kleinstadt. Er bedroht damit die Freiluft-Eisbahn von Ex-Eiskunstläuferin Courtney. Zum Glück nimmt Noahs herzige Tochter Eiskunstlauf-Unterricht bei Courtney, und auch er selbst entdeckt den Reiz des Freiluft-Eislaufens wieder ...
In «Crown for Christmas» schliesslich sucht der alleinerziehende Witwer Max eine neue Nanny für seine herzige, aber renitente Tochter. Er findet sie. Blöderweise ist Max König eines kleinen Königreichs in Europa, das aussieht wie Gstaad. Gemeinsames Ausreiten verbindet, eine doofe Beinahe-Verlobte aus Luxemburg stört.
Wir lernen: Alleinerziehende Witwer finden im heterosexuellen 0815-Weihnachtsfilm die richtige Gefährtin, auch wenn sie Lindsay Lohan heisst. Junge Männer und Frauen finden unter ihrem besten Freund, dem Weihnachtsbaum, auf jeden Fall was Besseres als ihre ungenügenden Verlobten. Unfälle führen garantiert zum richtigen Mann, auch wenn sich der bloss als Ersatzherz entpuppt, Hauptsache Herz. Aus vernachlässigten Schlössern und Häusern werden wahre Kleinodien, denen es auf dem Immobilienmarkt prima ergehen wird.
Weihnachtsschmuck ist essenziell. Weil er glitzert, weil man ihn kaufen kann, weil man zu Weihnachten endlich mal alle geschmacklichen Hemmungen im Lamettameer ertränken darf. Ebenfalls essenziell sind Hunde und Pferde. Metaphorisches Eis schmilzt immer. Und besonders gut ergeht es zu Weihnachten Schriftstellerinnen und Schriftstellern – denn ihre besten Geschichten schreibt gerade dann das Leben. Allerdings nur, wenn sie auch zuvor schon erfolgreich waren.
Und so wird Weihnachten zur grossen Orgie für Menschen, die Ordnungsfetischistin Marie Kondo verehren und das Chaos der Realität nicht aushalten: Leichen werden ausgeräumt, Häuser und Leben aufgeräumt, nur Schnee wird selten geräumt.
«Falling for Christmas», «A Castle for Christmas» und «The Noel Diary» laufen auf Netflix.
Weshalb mir Last Christmas nicht gefallen hat. Viel zu traurig für eine RomCom.
Macht Spass. Das ist alles, was zählt. Dramen und unlustige Filme, die einem als Komödien verkauft werden, gibt es mehr als gut. Nein danke, nicht in meiner Freizeit. Schon gar nicht zu Weihnachten.
Ich werde wohl dann einen Weihnachtsbaum aufstellen, draussen, und beim Pflegen meines Pferdes einen Unfall haben. Der Hund, den ich noch so wenig wie Pferd oder Christbaum habe, wird dann Mr Right alarmieren. Geil. Und alles ohne Familienschlauch