Ein sicherer Hafen: Jazz, der Geschichten erzählt
Ein konzentrierter Auftakt
Wer regelmässig die Reihe Musig im Pflegidach besucht, weiss, dass hier kein oberflächlicher Konzertabend wartet. Entsprechend still ist es, als die drei Musiker die Bühne betreten. Kein Applaus vorweg, kein grosses Aufsehen – nur ein kurzer Blickaustausch, dann setzt Shore sich ans Klavier und beginnt mit „Harbour“.
Zarte Töne, die sich langsam entfalten. Erst rauscht das Schlagzeug leise wie Wind und wird dann zu einem Sturm, der Bass wandelt sanft im Hintergrund. Shore erklärt später, das Stück handle davon, was Sicherheit bedeutet, „was es heisst, einen Hafen zu haben“. Diese Mischung aus Ruhe und Bewegung zieht sich durch den ganzen Abend: ein ständiger Wechsel zwischen Losgelassenheit und Antrieb.
Zwischen Blues und Beschleunigung
Mit „Blues in Blueprint“ von Duke Ellington verbindet das Trio Moderne mit Tradition. Doch statt Nostalgie erfährt man Neues: kurze, abgehackte Klaviertöne, kräftiger Bass, präzise Treffer am Schlagzeug. Der Raum wirkt wie ein kleiner Jazzclub, das Publikum wippt mit, entspannt und doch aufmerksam.
Dann „Tunnels“: Ein Stück, das seinem Namen alle Ehre macht. Julian sagte uns, dass er das Stück nach einer Fahrt durch viele Tunnel komponiert hat. Er hat es perfekt umgesetzt. Während des Stücks rast man durch wechselnde Lichtstimmungen, dicht, beweglich, fordernd. Das Klavier ist schnell, das Schlagzeug laut und der Bass tänzelt dazwischen. Die Musiker sind vollkommen bei sich und gleichzeitig im ständigen Dialog. Das Publikum spürt diese Energie und fühlt auch hier jeden Takt mit.
Kontrolle, Chaos und Spielfreude
Mit „Must Keep Going“ macht das Trio weiter. Ein Katz- und Mausspiel voller überraschender Wendungen. Das Klavier jagt über die Tasten, Schlagzeug und Bass reagieren mit blitzschnellen Antworten. Alles wirkt spontan und trotzdem sitzt jeder Griff. Mednard, sichtbar in seinem Element, spielt mit vollem Körpereinsatz, lacht, tanzt mit dem Groove. Pure Freude zeigt er am Schlagzeug.
„Messenger“ beginnt dagegen geheimnisvoll. Tiefe Basstöne, ein raschelndes Schlagzeug, dann setzt das Klavier ein. Das Ganze wirkt wie der Soundtrack zu einem Film noir. Der Song macht den Höhepunkt des Abends. Der Groove ist unwiderstehlich, das Publikum hält den Atem an.
Ein versöhnliches Ende
Nach minutenlangem Applaus folgt die Zugabe: „Mission“, erneut eine Eigenkomposition Shores. Der Song, ursprünglich einer verstorbenen Person gewidmet, überrascht mit seiner hellen, friedlichen Stimmmung. Statt Trauer dominiert Gelassenheit. Das Klavier klingt weich, fast erzählerisch, der Bass rund, und das Schlagzeug rahmt die Melodie mit leichten Akzenten. Eine Musik, die nicht trauert, sondern das Leben feiert. Es ist ein versöhnlicher Abschluss: hell, ruhig, dankbar. Die Stimmung im Raum ist konzentriert, fast zärtlich.
Kommunikation ohne Worte
Was diesen Abend besonders machte, ist nicht nur das technische Können der drei Musiker, sondern ihre Kommunikation. Jeder Blick, jede Geste hatte Bedeutung, alles war Teil eines Gesprächs, eines, das ohne Worte auskommt. Das Trio spielte nicht für das Publikum, sondern miteinander, und genau daraus entstand die Intensität.
Julian Shore gestaltet seine Stücke mit klarem Kopf und offenem Herzen. Martin Nevin verleiht ihnen Tiefe, manchmal melodiös, manchmal rhythmisch. Und Allan Mednard ist der Funken, der alles in Bewegung setzt: energiegeladen, präzise, doch immer mit Humor. Was sich in den Gesichtern der drei Musiker zeigte, nämlich pure Spielfreude, hat sich schnell im Raum ausgebreitet und das Publikum angesteckt.
Ein Ort zum Ankommen
Am Ende bedankt sich Shore mit einem Lächeln: „My favourite place to play on earth.“ Man glaubt es ihm. Das Pflegidach ist an diesem Abend nicht nur Konzertsaal, sondern Klangraum, Begegnungsort und vielleicht auch das, was Shore in seinem ersten Stück meinte: ein kleiner musikalischer Hafen. Ein Abend, der zeigte, dass Jazz nicht erklären muss, um zu berühren. Er genügt sich selbst, wenn er, wie hier, ehrlich gespielt wird.
