Zuerst war er Gartenbauer. Dann wurde er Künstler. Und dann kam die Sache mit dem Sperma. Wobei das jetzt weit plumper klingt, als es ist. Der 1973 in Lausanne geborene Yann Mingard macht nicht etwa Pornografie, nein, er ist ein Archivar dessen, aus dem wir Menschen - und auch der Rest der organischen Welt – gemacht sind: Genmaterial, DNA-Sequenzen, Moleküle, Bausteine eben, die sich in der Natur oder im Labor zusammenfügen zu einem Lebewesen.
Es sind dies die Datenträger unserer Existenz, isolierbar, lagerbar, zur Weiterverwertung gedacht, in Samen- oder Saatenbanken unter Verschluss gehalten. Yann Mingard ist ihnen nachgegangen, diesen Apparaturen und Architekturen, wo die Bausteine von Menschen, Tieren und Pflanzen gewonnen und dann in bedrohlich wirkenden Umgebungen aufbewahrt werden.
Es sind Orte zwischen Gefängnis und Fabrik, zwischen militärischer Festung und Mausoleum, und sie wirken in Mingards Aufnahmen so starr und künstlich, dass man sich unweigerlich fragt: Wenn aus diesen Tanks und Röhrchen irgendwann ein Leben entweichen soll, was ist dann eigentlich Leben? Und wie uneinsehbar und schlussendlich böse sind eigentlich Genforschung und Biopolitik? Ist der Mensch nur noch ein Materiallieferant, der technologisch beliebig optimierbar ist? Wer werden wir sein? Wissen wir, was wir tun? Oder handelt es sich um ein Phänomen, das man weit gelassener betrachten sollte, weil Aufbewahrung auch in vielen Fällen Bewahrung heisst, weil so ein paar Pflanzen- und Tierarten überdauern werden, die sonst keine Chance hätten?
Das Fotomuseum Winterthur widmet sich nun Mingard und seinem ungewöhnlichen Projekt mit dem Namen «Deposit» in einer packenden Ausstellung. Unterlegt werden die Bilder aus den Jahren 2009 bis 2013 mit einem Soundtrack des Australiers Ben Frost, begleitet werden sie von einer Online-Umfrage zum Thema «What Was Life?». Die besten Antworten werden direkt in die Ausstellung eingeschleust.
Wenn Mingard sich nicht um die grosse Frage kümmert, was denn eigentlich von uns wie überdauern wird, ob wir als Frankensteinsche Monster reproduziert werden oder doch nicht einfach als normale Menschen, dann arbeitet er weiterhin als Gärtner. Von Juni bis Oktober werden seine mobilen Gartenskulpturen ganz unbedrohlich an der Lausanne Jardins erblühen. Mit ein bisschen künstlich-künstlerischer Geburtshilfe natürlich.
(phi)