El Salvador, Mai 2013. Der Fotograf Giles Clarke verbringt einige Tage Schulter an Schulter mit einer Anti-Gang-Einheit 20 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt San Salvador. Wo genau, wollen wir aus Sicherheitsgründen für die involvierten Personen hier nicht verraten. Die Ortschaft ist aber berüchtigt, weil hier die Front der Gebiete der berüchtigten Gangs Mara Salvatrucha (MS-13) und 18th Street Gang (M18) ausgerechnet über den Hauptplatz verläuft.
Die lokalen Beamten fassen schnell Vertrauen zum charismatischen Briten. Als er einige Zeit auf dem Polizeirevier verbringt, zeigt ihm ein offensichtlich frustrierter Polizist, was vor Clarke noch nie ein Journalist zu Gesicht bekam: 110 Gefangene, eingepfercht in drei Gefängniszellen kleiner als ein Wartehäuschen. Giles Clarke schiesst 40 Minuten lang Bilder. Diese gehen seither um die Welt.
Wir haben mit Clarke gesprochen und ihn gebeten, die 40 Minuten zu rekapitulieren.
Bild: Getty/Giles Clarke
Bild: Getty/Giles Clarke
«Im Innenhof gab es drei Zellen: Eine für MS-13-Mitglieder, eine für M18-Mitglieder und eine – in der Mitte – für Kriminelle ohne Gangverbindung. In jeder der ca. 16 Quadratmeter grossen Zellen befanden sich über 30 Gefangene. Sie können sich den Gestank nicht vorstellen: Es herrschten 35 Grad, sanitäre Anlagen gab es keine, als Toilette diente ein Kübel in der Ecke jeder Zelle.»
Bild: Getty/Giles Clarke
Bild: Getty/Giles Clarke
«Aus ihren T-Shirts stellen die Insassen Hängematten her. Geschlafen wird im Schichtbetrieb. Obwohl jeweils drei Hängematten übereinander hängen, fehlt für die gemeinsame Nachtruhe der Platz.»
Bild: Getty
«Einmal in der Woche erhalten die Gefangenen Besuch von einer Spezialeinheit. Dann werden die Gefangenen mit gefesselten Armen und Beinen aus der Zelle getrieben und mit einem Hochdruckreiniger abgespritzt. In der Zwischenzeit werden die Zellen nach verbotenen Gegenständen durchsucht.»
Gangleader HenryBild: Getty/Giles Clarke
«Henry ist ein führendes Gangmitglied. Er unterschrieb für die M18 im März 2012 ein Friedensabkommen. Als Zeichen schmolzen er und seine Gangmitglieder sämtliche halbautomatische Waffen ein. In einem normalen Gefängnis würde er seine Geschäfte weiter organisieren, in diesem sind seine Flügel gestutzt.»
Gangs in El Salvador
Die Gangs in Zentralamerika, die sogenannten «Maras», haben ihren Ursprung in den USA. Vom Bürgerkrieg geflüchtete Immigranten lernten in den Strassen von Los Angeles das Gangwesen kennen. Als in den 90er-Jahren die USA kriminelle ausländische Jugendliche konsequent zurückschaffte, erwartete die nun gangerfahrenen Delinquenten Arbeitslosigkeit und, dank den Bürgerkriegen, einen leichten Zugang zu Waffen. In der Folge explodierte in Zentralamerika die Anzahl Gangmitglieder. Schätzungen gehen davon aus, dass alleine die Mara Salvatrucha bis zu 100'000 Mitglieder zählt.
Bild: Getty/Giles Clarke
«Einerseits würde jeder dieser Typen für 100 Dollar töten - auf der anderen Seite lasen alle in der Bibel. Ich frage mich, wie man mit dem Widerspruch leben kann – diese Leute sind Produkte ihres Umfelds. In amerikanischen Gefängnissen – ich war in dreien – sieht man weniger Bibeln.»
Bild: Getty/Giles Clarke
«Eigentlich sind diese Zellen zur Ausnüchterung oder für kurze Aufenthalte gedacht. Ich sprach mit Insassen, die bereits seit 18 Monaten darin gefangen waren – ohne, dass ihnen der Prozess gemacht wurde. Ein Insasse hatte nur ein Bein. Er war seit sechs Monaten im Gefängnis, weil er gegen die Kürzung seiner Rente protestierte.»
Bild: Getty/Giles Clarke
«Am nächsten Tag wollte ich weitere Aufnahmen machen, aber man liess mich nicht mehr hinein. Die Stimmung war gekippt. Ich musste quasi fliehen und war am Ende froh, die Bilder zu retten, die ich bereits geschossen hatte.»
Bild: Getty/Giles Clarke
«Die Bilder schickte ich dem UN-Sonderberichterstatter für Folter. Einen Monat später erhielt ich einen Brief, dass er sich der Sache annehmen würde.»
Giles Clarke
Der britische Fotograf Giles Clarke arbeitete früher für Modelabels wie Versace, Hugo Boss und Calvin Klein, später betreute er Virale Kampagnen von Coldplay, Land Rover und Cadillac. Heute bezeichnet sich Clarke in erster Linie als Friedensaktivist mit Reportagen unter anderem über Bhopal, die Occupy-Bewegung und die Demonstrationen in Weissrussland.
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