Ein paar Künstler brachten mit dem Hafenkran einen gigantischen Büchsenöffner nach Zürich. Sie öffneten damit die Büchse der Pandora, aus der nun alles heraussprudelt, was uns so mürrisch durch den Alltag gehen lässt.
Es wird sich wie nach einem reinigenden Gewitter anfühlen, wenn der Hafenkran nach neun Monaten abgebaut ist (sofern er überhaupt abgebaut wird; denn es wäre nicht das erste Mal, dass bei einem umstrittenen Objekt im öffentlichen Raum in kürzester Zeit abgrundtiefer Hass in innige Liebe umschwenken würde. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Eiffelturm).
Was bedeutet es, wenn sich sogar der Kunstkenner und -sammler Michael Ringier dazu hinreissen lässt, das Kunstprojekt «Zürich Transit Maritim» einen «Hafenkäse» zu nennen?
Es bedeutet nichts anderes, als dass das Projekt Hafenkran die grösste anzunehmende Kontroverse ausgelöst hat. Glücklicherweise wird diese auf Seite der Kritiker stets mit den drei gleichen Parolen bestritten. Sie sind leicht zu widerlegen.
Ich entgegne: Oder noch viel besser das Geld für einen sinnvolleren Zweck einsetzen!
Letzthin diskutierte ich in meiner Facebook-Chronik über behindertengerechtes Bauen. Im Zuge der Diskussion meinte eine Kommentatorin, dass die 600'000 Franken für den Hafenkran gescheiter in behindertengerechtes Bauen gesteckt würden.
Ich entgegnete ihr, dass man das Opernhaus schliessen könne, wodurch nicht nur einmalig eine halbe Million frei würde, sondern ganze 90 Millionen - jährlich!
Aber auch dann stünde schnell die Frage im Raum, ob wir nicht gescheiter, bevor wir behindertengerecht bauen, Menschen vor dem Hungertod bewahren sollten.
Ja, wir leben in Zürich grösstenteils in sehr luxuriösen Verhältnissen. Das kommt vor allem daher, dass wir alle wie kleine Gnome von der Bahnhofstrasse unsere privaten Budgets hüten.
Und genauso kleinkrämerisch begegnen wir solch wunderbar unsinnigen Auswüchsen, wie dieser Hafenkran einer ist. Wir lieben zwar dekadente Ausschweifungen, aber bitte immer nur stilvoll. So wie wir einen Wegweisungsartikel für missliebige Zeitgenossen im öffentlichen Raum haben, so soll der Hafenkran, wenn er denn schon da stehen muss, wenigstens schön bemalt werden.
Womit ich beim nächsten Punkt angekommen bin ...
Ich entgegne: Oh ja, das schmerzt ganz tief in des Zürchers Seele!
Wir geben alles, damit die Stadt Zürich die lebenswerteste Stadt von allen Städten ist. Es gibt dafür wohl kein passenderes Beispiel als das städtische Arbeitsintegrationsprojekt «Schöns Züri». Von dort strömen Tag für Tag zig Mitarbeitende in die Stadt hinaus, um Kleber von Kandelabern zu kratzen und Graffitis zu übermalen.
Bis auf wenige Innenhofsituationen ist die Zürcher Altstadt, in deren Mitte der Hafenkran platziert wurde, eine einzige pittoreske Puppenstuben-Altstadt. Sie dient in erster Linie als Einkaufsmeile und als Bildsujet für Touristen. Alt meint hier nicht abgenutzt, verlebt und verbraucht. Alt ist eine frisch restaurierte Fassade.
Zürich boomt. Und wie in jeder anderen boomenden Stadt wird alles Alte entweder aus dem Stadtbild gelöscht oder dann liebevoll restauriert. In einer Boomtown hat die Patina nichts verloren. Und wenn etwas Patina hat, dann wurde sie in Form einer stilvollen alten Hotelbar aus der Provence importiert.
Nicht die 600'000 Franken für den Hafenkran sind dekadent, sondern dass wir uns derart an «Alles neu!» gewöhnt haben, dass wir es nicht mehr aushalten können, dass da was Grosses, Altes, Verbrauchtes, Unnützes rumsteht.
Ich entgegne: Bis weit in Kunstkreise hinein ist zu hören, dass der Hafenkran ein «Hafenkäse» sei. Aber was könnte es ausser Kunst sonst sein? Kein professioneller Standortförderer hätte den Mut, etwas derart Umstrittenes durchzudrücken.
Für viele Kulturleute ist die «Eventisierung der Kunst» immer noch des Teufels. Wenn die ganze Gesellschaft anscheinend jedem Spektakel hinterher hechelt, soll sich die Kunst gefälligst dem Spektakel entziehen. Der Event wird einzig dazu benutzt, um die Menschen in die Institutionen zu locken (Beispiel «Lange Nacht der Museen»).
Wer redet eigentlich noch über Kunstausstellungen und Theatervorstellungen? Mit dem Tod von Christoph Schlingensief scheint auch die gesamte politische und polarisierende Kunst verschwunden zu sein. Alle Institutionen zittern um ihre Budgets. Dieses Klima fördert vor allem brave und angepasste Kunst.
Einzig die Kritik, dass «Zürich Transit Maritim» rein kunsthistorisch betrachtet kein wirklich zeitgenössisches Kunstwerk sei, lasse ich gelten. Aber auch hier möchte ich anfügen, dass das Allermeiste in den Museen, Theatern und Opernhäusern diesem Anspruch nicht gerecht werden kann. Dort ist nämlich fast alles ein alter Hafenkäse.
Am Karfreitag entdeckte ich in meiner Twitter-Timeline diesen Tweet. Ich finde es grossartig, wenn der Hafenkran solch' kreative Blüten schlägt.
Ich liess mir ausrichten, dass das Bild im Zürcher Niederdorf aufgenommen wurde (nähe Grossmünster)
Der Hasenkran. Passende (günstigere) Alternative zum #Hafenkran. pic.twitter.com/l5BA5Up3Wf
— Elia Blülle (@elia_bluelle) 18. April 2014