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Wirtschaft

Erbschaftssteuer-Initiative: Ökonomin übers Erben in der Schweiz

Dieses Jahr dürften in der Schweiz erstmals 100 Milliarden Franken vererbt werden.
Dieses Jahr dürften in der Schweiz erstmals 100 Milliarden Franken vererbt werden.Bild: Moment RF
Interview

«Die Millennials werden so viel erben wie keine Generation vor ihnen»

Die Juso will eine Erbschaftssteuer für Superreiche. Warum Erbschaften politisch sind, was sie mit Vermögensungleichheit zu tun haben und weshalb soziale Ungleichheit sich nicht einfach wegbesteuern lässt, sagt Ökonomin Isabel Martínez im Interview.
31.10.2025, 06:2731.10.2025, 07:15

Ende November stimmt die Schweiz über die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso ab. Warum ist Erben so politisch?
Isabel Martínez: Beim Erben geht es um sehr persönliche Dinge: um Sterben und um Familie. Eine Erbschaftssteuer erscheint vielen als staatlicher Eingriff in die Kernfamilie. Und die ist gewissermassen heilig. In der aktuellen Debatte geht es aber noch um eine weitere «heilige Kuh»: die Familienunternehmen. Diese werden oft romantisch verklärt.

Das müssen Sie erklären.
Machen wir ein Beispiel: Roche ist ein Familienunternehmen, Novartis nicht. Wer Familienunternehmen von der Erbschaftssteuer ausnehmen will, will ein Enkelkind des Roche-Gründers steuerlich besser behandeln als ein Kind eines Novartis-Investors. Meiner Meinung nach gibt es dafür keine guten Gründe, denn beide erben Anteile an einem Unternehmen. Wir leben nicht mehr in einer Ständegesellschaft. Aber bei Familienunternehmen verfallen viele offensichtlich in ein dynastisches Denken: Dass Kinder und Enkel von erfolgreichen Unternehmensgründern ein Anrecht auf eine privilegierte Stellung haben müssen. Wieso wir diese Kinder steuerlich besser behandeln sollten als Kinder einer erfolgreichen Investmentbankerin oder eines CEOs, ist mir nicht ersichtlich.

«Wir leben nicht mehr in einer Ständegesellschaft.»
Zur Person
Isabel Martínez forscht zu Ungleichheit und Steuern. Sie ist Dozentin am KOF Institut der ETH Zürich und gilt als eine der einflussreichsten Ökonominnen der Schweiz.
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Bild: zvg

Wie muss das Erbe gegenwärtig versteuert werden?
In den meisten Kantonen müssen Kinder und Ehegatten keine Erbschaftssteuer bezahlen. Je entfernter der Verwandtschaftsgrad, desto höher ist die Erbschaftssteuer. Am höchsten ist sie für jene, die nicht verwandt sind. Hier kann man sich fragen, ob das noch zeitgemäss ist. Die Vorstellung der Kernfamilie bildet die Realität vieler Menschen nicht mehr ab. Viele sind heute kinderlos oder haben andere nahe Beziehungen als die biologische Kernfamilie. Das Steuerrecht bevorteilt aber auch hier die klassische Kernfamilie.

«Die Vorstellung der Kernfamilie bildet die Realität vieler Menschen nicht mehr ab.»

Laut den ersten Umfrageergebnissen dürfte die Initiative der Juso an der Urne verworfen werden. Warum lehnt die Schweizer Stimmbevölkerung eine Erbschaftssteuer ab?
Aus den eingangs beschriebenen Gründen ist die Erbschaftssteuer grundsätzlich unbeliebt. Ausserdem ist ein Teil der Bevölkerung prinzipiell skeptisch, wenn der Staat Steuern erhebt. Ein anderer Teil ist womöglich gegen die Vorlage der Juso, weil die Steuereinnahmen dort gebunden wären. Das Geld würde in den Klimaschutz fliessen. Die möglichen Steuerausfälle bei Kantonen und Gemeinden müssten diese also durch Sparmassnahmen oder Steuererhöhungen kompensieren – diese treffen die Allgemeinheit.

Dennoch hat die Initiative viel Angst ausgelöst – sowohl in den Kantonen als auch unter vermögenden Personen.
Das hat mich überrascht, denn die Vorlage war von Anfang an chancenlos. Vor zehn Jahren hat die Schweiz eine moderatere Erbschaftssteuer deutlich abgelehnt. Ein Ziel hat die Initiative jedoch erreicht: Die Schweiz hat in den vergangenen zwei Jahren intensiv über Erben und Vermögensungleichheit gesprochen.

Das ist gar nicht so leicht. Denn es gibt keine offiziellen Zahlen dazu, wie viel Geld in der Schweiz vererbt wird. Wie kann das sein?
Das Problem ist: Wir haben keine zentralen Datenbanken für Erbschaften. Dass die Kantone die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen und Ehegatten abgeschafft haben, hilft nicht. Bei einem Todesfall erfasst zwar ein Notar alle Vermögenswerte der verstorbenen Person und hält die Erbinnen und Erben fest. Diese Dokumente landen aber nicht in einem zentralen, digitalisierten Register. Ein solches Register wäre aber absolut möglich. Wenn wir auch noch ermitteln wollten, wie sich Erbschaften auf die Vermögensungleichheit auswirkten, müssten wir sie mit den Steuerdaten der Erbinnen und Erben verknüpfen können. Derzeit ist das nur mit Steuerdaten aus dem Kanton Bern möglich.

«Menschen, die erben, arbeiten weniger. Und zwar schon bevor sie das Erbe erhalten, weil sie wissen, dass sie später einmal erben werden.»
Aufruf
Hast du eine Erbschaft erlebt, bei der es zu Streitigkeiten kam, und möchtest du uns davon erzählen? Melde dich gerne unter newsplus@watson.ch. Wir freuen uns auf deine Nachricht!

Die Universität Lausanne schätzt, dass die Erbmasse in der Schweiz dieses Jahr erstmals 100 Milliarden Franken erreichen dürfte. Das entspricht 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Was macht das mit einer Volkswirtschaft?
Erbschaften sind ein leistungs- und risikoloses Einkommen. Das unterscheidet sie auch von Kapitalerträgen, dort tragen die Leute ein Risiko – das gibt es beim Erbe nicht. Die Empfängerinnen und Empfänger erhalten also Geldflüsse, für die sie weder etwas geleistet noch ein Risiko auf sich genommen haben. In einer aktuellen Studie zusammen mit Marius Brülhart zeigen wir: Menschen, die erben, arbeiten weniger. Und zwar schon bevor sie das Erbe erhalten, weil sie wissen, dass sie später einmal erben werden. Ist das Erbe da, reduzieren diese Menschen ihre Erwerbstätigkeit erneut. Die Forschung zeigt ausserdem, dass die Vermögensungleichheit mittel- und langfristig durch Erbschaften zunimmt. Die höchsten Erbschaften gehen an Personen, die bereits sehr vermögend sind.

Können Sie ein Beispiel machen?
Wenn eine nicht vermögende Person 80’000 oder 100’000 Franken erbt, ist das für sie in diesem Moment zwar viel Geld. Sie kann vielleicht ihre Hypothek amortisieren, ein neues Auto kaufen oder auch mal teurere Ferien machen. Das Geld ist irgendwann aber weg. Eine Person, die bereits vermögend ist und die mehrere Millionen Franken erbt, wird das geerbte Geld aber kaum aufbrauchen. Sie kann es anlegen und vermehren. Reiche Erbinnen und Erben können das Erbe konservieren. Damit wird die Vermögensungleichheit verstärkt.

«Reiche Erbinnen und Erben können das Erbe konservieren.»

Wer viel erbt, investiert möglicherweise aber wieder viel Geld in die Wirtschaft. Ist das nicht positiv?
Wenn ich fünf Millionen Franken erbe, ist damit nicht gesagt, dass ich die auch wieder in der Schweiz investiere. Vielleicht kaufe ich mir damit Amazon-Aktien, wer weiss. Das ist für mich kein Argument. In der Schweiz fehlt es nicht an Geld, um Investitionen zu tätigen oder Unternehmen zu gründen. Die Sparquote in der Schweizer Volkswirtschaft ist bereits sehr hoch.

Wie ist das Erbe in der Schweiz verteilt?
Für die Schweiz können wir sagen, dass 60 Prozent der Superreichen, die auf der Bilanzliste stehen, Erben sind. Jeder zweite Vermögensfranken in der Schweiz ist geerbt. Dass eine Person in der Schweiz heute durch eigene Anstrengung zum Milliardär wird, ist unrealistisch. Was wir auch wissen: Die meisten Erbschaften geschehen, wenn die Erben um die 60 Jahre alt sind.

Wer erbt, hat andere Startbedingungen im Leben. Welchen Anteil hat das Erben an der sozialen Ungleichheit in der Schweiz?
Wie gesagt: Erbschaften erhöhen die Vermögensungleichheit. Man darf aber nicht vergessen, dass soziale Ungleichheit auch andere Dinge umfasst: Chancengleichheit in Bildung und Beruf zum Beispiel. Selbst, wenn die Schweiz grosse Erbschaften um 50 Prozent besteuern würde, würde sie diese Ungleichheiten nicht einfach wegbesteuern. Denn ein Kind vermögender Eltern profitiert schon, bevor es erbt: Es geht auf bessere Schulen, profitiert vom Netzwerk der Eltern und hat dadurch bessere Berufschancen.

«Grosse Vermögen bedeuten immer auch die Möglichkeit zur Machtausübung. Und da dürfen wir uns nichts vormachen: Diese Macht wird ausgeübt.»
Eine Frau im Pelzmantel verfolgt ein Pferderennen, fotografiert im Rahmen des White Turf, am Sonntag, 20. Februar 2022 in St. Moritz. (KEYSTONE/Christian Beutler)
In der Schweiz fehlt es an verlässlichen Daten zu Erbschaften. Eine Besucherin des White Turf in St. Moritz verfolgt ein Pferderennen.Bild: KEYSTONE

Etwa ein Drittel des in der Schweiz vererbten Geldes geht an das reichste Prozent. Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn Erbe – und entsprechend auch Vermögen – so ungleich verteilt ist?
Ein Blick in die USA zeigt: Menschen mit grossem Vermögen nehmen entsprechend grossen Einfluss auf die Politik. Eine hohe Vermögensungleichheit ist schwer vereinbar mit dem egalitären Grundgedanken, der zu unserer Demokratie gehört. Das Versprechen lautet ja eigentlich: Herkunft sollte keinen Einfluss darauf haben, wie viel Wert eine Person hat. Grosse Vermögen bedeuten jedoch immer auch die Möglichkeit zur Machtausübung. Und da dürfen wir uns nichts vormachen: Diese Macht wird ausgeübt. Das sehen wir im Abstimmungskampf zur Erbschaftssteuer.

«Das war eine Drohgebärde ans Stimmvolk.»

Inwiefern?
Gewisse Milliardäre haben sich schon anderthalb Jahre vor der Abstimmung in Stellung gebracht und mit dem Wegzug gedroht. Das war eine Drohgebärde ans Stimmvolk. Zwar ist es tatsächlich so, dass es bei einer Annahme der Initiative teilweise zu Wegzügen kommen würde. Wenn aber einzelne Personen aufgrund ihres Vermögens – sozusagen als Schwergewicht unter den Steuerzahlenden – so viel Einfluss auf die politische Debatte nehmen, finde ich das demokratiepolitisch problematisch.

Lisa Mazzone, Praesidentin Gruene Schweiz, links, spricht neben Mirjam Hostetmann, Praesidentin JUSO Schweiz, waehrend einer Medienkonferenz der JUSO ueber die Volksinitiative fuer eine soziale Klimap ...
Lisa Mazzone (l.), Mirjam Hostetmann an einer Pressekonferenz zur Zukunftsinitiative der Juso. Bild: keystone

Könnte die Initiative der Juso hier Abhilfe schaffen?
Die Initiative hat ein Problem: Der Bund würde zwar neue Steuereinnahmen gewinnen, aber die Kantone und Gemeinden hätten mit den wahrscheinlichen Wegzügen von sehr reichen Personen Steuerausfälle. Sie wären also entweder gezwungen, zu sparen oder die Einkommens- und Vermögenssteuer zu erhöhen. Und auch bei der direkten Bundessteuer käme es zu Ausfällen. Das würde der Bevölkerung wehtun.

«Die Millennials werden so viel erben wie keine Generation vor ihnen.»

Schauen wir in die Zukunft: Die gesamte Erbmasse hat sich in den letzten drei Jahrzehnten verfünffacht. Wie wird sich die Verteilung des Erbes in den kommenden Jahrzehnten verändern?
Wenn es so weitergeht wie bisher, wächst die Erbmasse weiter an, in den vergangenen Jahren waren es 2,8 Prozent pro Jahr. Die Millennials werden so viel erben wie keine Generation vor ihnen. Die Babyboomer konnten vom Wirtschaftswachstum profitieren und Häuser kaufen, die in den vergangenen 20 Jahren stark an Wert gewonnen haben. Diese Immobilien werden irgendwann an die Millennials übergehen. Dazu kommt, dass Babyboomer ihr Erbe noch mit ihren Geschwistern teilen mussten, während viele Millennials oft nur noch ein oder gar keine Geschwister haben. Die Erbschaften werden tendenziell also grösser und auf weniger Köpfe verteilt.

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337 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Geryatriu
31.10.2025 06:47registriert September 2025
Wenn sogar Superreiche sagen, besteuert uns! Dann muss ich schon sagen, etwas läuft schief.
In den USA sehen wir, wie die Politik bon Reichen gemacht wird und der Sozialstaat ausgehöhlt wird.
Wir können länger die Augen davor verschliessen, aber Geld und Macht sind auch hierzulande verknüpft. Frage ist, wollen wir das?
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Rudolf VII
31.10.2025 06:52registriert März 2020
eine moderate erbschaftssteuer von 2-4%, wobei man grosse beträge über einen bestimmten zeitraum abzahlen könnte, hätte bei der bevölkerung eine chance.
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Schlaf
31.10.2025 06:36registriert Oktober 2019
Auf die Idee, dass die Initiative massiv übers Ziel hinausschiesst mit ihren utopischen Forderungen, kommt die Expertin irgendwie nicht?🤷🏼‍♂️
20195
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