Die Entenmama Emma, wie wir sie getauft haben, hat sich einen sicheren Platz fürs Brüten ausgesucht: Sie hat ihre Eier im Blumenkasten auf dem Balkon unserer Wohnung im 5. Stock eines Hochhauses in Zürich-Höngg gelegt. Immerhin: Hier oben haben die kleinen Küken so gut wie keinen natürlichen Feind. Bis auf einen: Die unglaubliche Höhe. Den Küken bleibt nichts anderes übrig, als sich todesmutig 15,40 Meter in die Tiefe zu stürzen, um ihrer Mama zu folgen. Fliegen können sie nämlich noch nicht.
Für die ca 10 cm grossen Küken ist ein Sprung aus 15,40 Meter Höhe so, als würden wir Menschen aus etwa 261 Meter Höhe herunterspringen auf eine Hüpfburg (bei einer angenommenen Körpergrösse von 170 cm). Das entspricht der Höhe des Fernsehturms St. Chrischona. Oder in etwa einem Sprung von der höchstgelegenen Aussichtsplattform des Eiffelturms. Und so sieht das Ganze von unten aus:
Drei Tage nach dem Schlüpfen flog Emma auf die Balkonbrüstung. 7 der 10 Küken schafften es mit Hängen und Würgen da hoch. Die Aufstiegshilfe, die wir angebracht hatten, haben sie ignoriert. Als die meisten von ihnen oben angekommen sind, fliegt die Mama hinunter. Vom Rasen aus ruft sie ihre Küken. Und fast gleichzeitig hüpfen die Kleinen ihr hinterher – auch wenn sie sich vor dem Absprung beim Blick in die Tiefe ganz offensichtlich nicht gerade wohl fühlen. Ihr leichtes Gefieder aber sorgt für Luftwiderstand und bremst die Fallgeschwindigkeit. Dennoch schlagen die Küken unsanft auf.
Nachdem sie sich aber einmal geschüttelt haben, watschelt jedes unverzüglich zur Mama, um mit ihr den noch langen Weg zur Limmat anzutreten. Mila, eine Mitbewohnerin, begleitet die Entenfamilie zur Sicherheit, damit sie auch heil am Limmatufer ankommen.
Von ihren 10 Küken haben es drei nicht rechtzeitig auf das Balkongeländer geschafft für den Absprung. Emma – offenbar in Eile – lässt die drei zurück. Vermutlich ist es ihr auf der Wiese zu riskant mit ihrem Nachwuchs. Doch wir fangen die 3 Nachzügler ein und verfrachten sie wenig später in einem mit Stroh ausgelegten Körbchen zur Limmat. Allerdings ist dort von der Entenfamilie weit und breit nichts zu sehen.
Wir suchen die Werdinsel hoch und runter, hin und her. Fehlanzeige! Schliesslich aber kommt Unterstützung: Ein Bademeister funkt seine Kollegen an. Und tatsächlich: Einer hat die Familie gesehen. Er führt uns samt den 3 Küken im Korb zu der Stelle. Und bald darauf entdecken wir Emma mit ihren Kleinen. Wir lassen die drei verbleibenden Küken frei. Und mit viel Quak-Quak-Quak watscheln sie im Eiltempo zur Mama, die ihnen schon freudig entgegen kommt. Die Familie ist wiedervereint und glücklich an ihrem Ziel angelangt.
Über einen Monat lang hat Emma gebrütet – in einem Blumenkasten neben dem Lavendel. Zunächst hat sie dort drei Eier gelegt. Danach hat sie sich einige Tage nicht mehr blicken lassen, um herauszufinden, ob es mögliche Nesträuber gibt. Als sie sich sicher ist, dass ihr Nestchen gut aufgehoben ist, legt sie an 10 aufeinanderfolgenden Tagen jeweils ein Ei. Anschliessend geht die Brüterei los und sie sitzt mehr als 30 Tage lang auf den Eiern.
Am Sonntag, 1. Juni, hörten wir am frühen Morgen plötzlich ein Quaken auf dem Balkon. Wir schauten sofort raus und sagen: Emma. Da sass sie auf dem Balkon-Geländer. Wir gingen hinaus und quakten etwas mit Emma. Nach einigen Minuten flog sie wieder davon. Wollte sie nur Hallo sagen? Hat sie etwas vergessen? Oder plant sie womöglich noch etwas? Wie auch immer, wir haben uns sehr gefreut.