Nein, Johann Schneider-Ammann ist nicht der erste Bundespräsident, der sich lächerlich macht. Doch bis in die «Washington Post» hatte es Ueli Maurer damals nicht geschafft, als er an der Olma 2013 mit einem Ferkel auf dem Arm in ein Mikrofon grunzte und sagte: «Sie riechen einfach so gut.» Er meinte die Schweinchen. Eine Affekthandlung. Maurer begegnete einem Jungschwein und geriet derart in Entzückung, dass er darob das Drehbuch vergass. Nicht gerade staatsmännisch, aber wenigstens authentisch.
Momente abseits des Protokolls sind unkontrollierbar. Da können Dinge passieren, die kein PR-Spezialist dieser Welt geradebiegen kann.
Der britische Premierminister Gordon Brown befand sich 2010 mitten im Wahlkampf, als er nach einem Gespräch mit einer langjährigen Labour-Wählerin auf dem Weg in seinen Regierungswagen über die «kleinkarierte» Frau fluchte – nicht wissend, dass an seinem Revers noch ein Mikrofon hing. Heute arbeitet Brown für die Vereinten Nationen.
Auch George W. Bush lernte die Tücken offener Mikrofone mehrfach kennen. Er bezeichnete wahlweise Journalisten als «Arschlöcher» oder erklärte ausländischen Amtskollegen, wie unglaublich sein Wahlsieg sei, obwohl er «gegen Frieden, gegen Wohlstand und gegen die Verfassung» angetreten sei.
Die Unbarmherzigkeit des offenen Mikrofons lässt manchmal sogar Mauern fallen. Als der Regierungssprecher der DDR, Günter Schabowski, am 9. November 1989 an einer Pressekonferenz auf die Frage, wann die Reisebeschränkungen aufgehoben würden, antwortete: «Nach meinen Kenntnissen ist das sofort. Unverzüglich» – da dauerte es nur noch wenige Stunden, bis die deutsch-deutsche Mauer fiel.
Bei Edmund Stoiber fiel bloss die deutsche Sprache. 2002 erklärte er am Neujahrsempfang der CSU sinnfrei, weshalb eine Transrapid-Verbindung zwischen dem Münchner Hauptbahnhof und dem Flughafen Franz-Josef Strauss Sinn machen würde. Die Verbindung wurde nie gebaut, Transrapid-Züge haben sich nie durchgesetzt. Einzig Stoibers Rede bleibt für die Ewigkeit. Die war offensichtlich frei gehalten. «Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen.»
Auch Bundespräsident Schneider-Ammann kreiert teils wunderliche Sätze, wenn er frei spricht. So sagte er in einer Ständerats-Debatte zu Schweizer Waffenexporten vor einigen Jahren: «Es gibt eben auch Gerätschaften, Waffen, die nicht für die Menschenrechtsverletzungen benutzt werden können.»
Das Aussergewöhnliche an Schneider-Ammanns aktuellem Video-Gate ist allerdings, dass dies kein unvorhersehbarer Unfall war. Sondern eine geschriebene Rede.
Bei Adolf Ogis Tannenbaum-Rede hatten wenigstens Kommunikationsexperten noch versucht, den Kandersteger von seinem Unterfangen abzuhalten.
Im Fall Schneider-Ammann schalteten sie das Manuskript sogar online. «Lachen ist gesund, sagt der Volksmund. Das haben Sie sicher, wie ich auch selber, schon gespürt», heisst es da. In Kombination mit der emotionslosen Miene eines Buster Keaton und der Intonation eines Laienpfarrers erschuf Schneider-Ammann daraus ein humoristisches Kunstwerk, das mittlerweile über die Sprachgrenzen hinweg verstanden wird – und sich dank den sozialen Netzwerken auch rasant verbreitete.
Als der zweite deutsche Bundespräsident Heinrich Lübke 1962 bei einem Staatsbesuch in Liberia seine Zuhörer mit «Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger» adressiert haben soll, da waren nur «Spiegel»-Journalisten und ihre Notizblöcke zugegen. Das Zitat ist möglicherweise erfunden. Darauf kann Schneider-Ammann nicht hoffen. Seine Rede wurde zur besten Sendezeit ausgestrahlt.