Es riecht enorm streng. Nach Axe. Blau, grün und durchsichtig tropfen die Herren-Duschmittel auf dem Museumsboden ineinander, denn die Flaschen sind allesamt durchbohrt und aufgespiesst. Auf schwarzen Samurai-Schwertern. Alle Männer bekommen grosse Augen und fühlen sich sofort verstanden. «Axe Effect» heisst die Installation von Timur Si-Qin, er zitiert Excalibur, das magische Schwert von König Artus, und die Werbung, die schwört, dass allein der Kauf von Axe jeden Mann unwiderstehlich Helden mache. Die Werbung entfacht das Begehren nach einem Produkt, das seinen Käufer begehrt machen soll. Ein grandioser Zirkelschluss der Warenwelt.
Daneben prangt ein drei Meter hohes Aquarium an der Wand. Vier hochauflösende Bildschirme untereinander, die sich verwandeln, vom bunten Unterwassertraum in eine gespenstische postindustrielle, postapokalytische Trauma-Landschaft. Die Fische stört das nicht, und der Mensch kann nicht eingreifen in diese grandiose Zufallsinstallation, alle Gestaltungsmöglichkeiten, die man sonst via Apps hat, sind aufgehoben. Man kann nur zuschauen, entspannen, nachdenken. Stunde um Stunde.
Im Nebenraum analysiert Harun Farocki, der 2014 verstorbene Meister des Film-Essays, die Weltvorstellung von Video-Games und kommt zu überraschenden Einsichten: So extrem die Oberflächenperfektion der Spiele ist, so leer ist der Untergrund. Die dargestellte Natur mag viel schöner scheinen als die echte, aber unter der Meeresoberfläche, unter dem Boden, hinter einer Wand ist nichts.
Im Reich der fortgeschrittensten Programmierfähigkeit ist die Erde wieder eine Scheibe mit einem Rand. Der Mensch kann aus der Welt fallen. Zeitgenössische Game-Designer benutzen zwar die mathematischen Lehrsätze von Pythagoras, aber seine Erkenntnis, das die Welt eine Kugel sein müsse, übersetzen sie nicht auf ihre Arbeit. Alles ist möglich. Selbst der Rückschritt im Fortschritt.
Die Videos von Farocki sind das intellektuelle Herz der enorm kurzweiligen und oft sehr koketten Ausstellung «Toys Redux – On Play and Critique» im Migros Museum. Schliesslich ist Kritik auch eine Art von Spiel, es gewinnt auch hier der schlauere Player. So ist denn die ganze Ausstellung unter den spassig-plakativen Oberflächen erstaunlich kapitalismuskritisch. Etwa die Installation von Claus Richter: Ein ganzer Raum voller Geschenkpakete und mitten drin kauert ein Kind, das aussieht wie ein Gespenst, mager, weiss, hohläugig. Aufgefressen vom Begehren nach immer mehr.
Oder die schiefen Paarungen, die Danny McDonald aus Merchandise-Artikeln von Filmen gebastelt hat: Darth Vader erdolcht mit seinem Laser-Schwert eine Harry-Potter-Gesamtausgabe; Uncle Sam hängt wie ein Vampir über einen ausgebluteten Pocahontas. Gruslig geht die Welt zugrunde, im Kern jedes Unterhaltungsfilms, der ja auch eine Art Spielzeug ist, steckt auch ein Stück Gewalt.
In jedem Spiel gibt es Sieger und Verlierer. Und oft sind Spiele nichts als eine Vorbereitung auf den materiellen Ernst des Erwachsenenlebens: Jan Peter Hammer vertritt in seinem Handpuppen-Theater «Jungle Book» die These, dass Kinder im Grunde nichts Anderes als Geld sind: «Children Are Money». Und ihre angeblich so unschuldig gespielte Freizeitgestaltung eine enorm effiziente Erziehung hin zu Agenten des neoliberalen Systems.
Fast traurig blickt man danach in die mit viel Liebe und Geld so bunt gefüllten Kinderzimmer. Oder auch einfach auf den eigenen Smartphone-Display. Wo im App-Store garantiert schon wieder ein paar betörende neue Aquarien im Angebot sind.
«Toys Redux – On Play and Critique» läuft bis zum 16. August im Migros Museum. Am 13. Juni finden um 13 Uhr ein Künstlergespräch mit Judith Bernstein und um 17 Uhr eine Performance von Claus Richter statt.