Ob ich nicht meine Meinung zur schottischen Unabhängigkeit kundtun könne, so die Anfrage aus dem Auslandsressort. Wie bitte? Nun gut, ich bin Engländer – oder vielmehr Brite, denn ein Viertel Waliser bin ich auch noch –, aber eigentlich bin ich nicht einmal sicher, ob ich überhaupt eine Meinung zur Schottland-Frage habe, geschweige denn eine entschiedene. Wie viele meiner Landsleute reagiere ich mit Schulterzucken: Naja, wenn sie ums Verrecken gehen wollen, dann sollen sie halt.
Aber wagen wir den Versuch, die eigenen Emotionen hochzupeitschen, denn in vielen Belangen ist die Sache in der Tat absurd: Die Ungewissheiten bei einem Ja sind riesig. Ungewissheiten, notabene, die einzig und allein durch die Unabhängigkeit geschaffen werden. Wie löst man die Währungsfrage, etwa? Einige Lösungen gäbe es – alle bringen aber Nachteile, vermutlich in Form von Steuererhöhungen und Sparmassnahmen.
Gewiss ist einzig, dass Anwaltskanzleien die grossen Gewinner einer schottischen Unabhängigkeit wären, müsste doch alles und jedes legal bindend ausgebeint werden. Da wird sich der eine oder andere Talarträger eine goldene Nase verdienen.
In der Schweiz geniessen schottische Unabhängigkeitsbemühungen aber viele Sympathien – was wenig erstaunt. Zum einen, weil das Bild einer wehrhaften Nation, die sich gegen einen übermächtigen Nachbarn auflehnt, wunderbar zur eigenen legendenverklärten historischen Wahrnehmung passt. Zum anderen, weil hierzulande die Kenntnis der schottischen Geschichte einzig auf Braveheart fusst, jenem fürchterlichen Mel-Gibson-Streifen aus dem Jahr 1995.
Eigentlich ist jener Film allein schon ein Grund, ein Nein in die Urne zu werfen! Wie da dieser Vokuhila-tragende christlich-fundamentalistische Australier Raubbau an historischen Fakten betreibt und mit übelsten Hollywood-Klischees hantiert! Und, nur nebenbei: Es wird gemunkelt, dass William Wallace ursprünglich aus Wales stammte.
Na, also! Da sind sie also, die Emotionen! Und wenn wir schon dabei sind, eine Frage: Liebe Schotten, wenn Schottland so unglaublich schön und «bonny» sein soll, weshalb hängt ihr dann zu Abertausenden in London herum?
Und weshalb seid ihr dabei so sauer auf uns? Weil ihr lieber in der britischen Hauptstadt euer Leben bestreitet? Oder seid ihr sauer darauf, dass ihr ein eigenes Bildungssystem, eine eigene Staatskirche und ein eigenes Parlament habt? Dies, obwohl ihr bevölkerungsmässig kleiner als die meisten englischen Grafschaften seid. Zur Erinnerung: England hat kein eigenes Parlament. Abgeordnete aus Nordirland, Wales und Schottland entscheiden in Westminster munter mit über Belange, die ausschliesslich England betreffen.
Meines Wissens versuchte man nie, Scotch in «British Whisky» umzutaufen. Man lässt euch eure Kilts, euer Shortbread, eure Vorliebe dafür, Baumstämme herumzuwerfen, und eure fiktive Touristenattraktion im Loch Ness. Sieht so jahrhundertelange Unterdrückung aus?
Vor langer Zeit – pardon! – vor sehr, sehr, sehr langer Zeit war es vielleicht so. Unsere Vorfahren (mit denen wir genau nichts mehr gemein haben) haben also euren Vorfahren (mit denen ihr gerade mal zero zu tun habt) grosses Unrecht angetan (das keinerlei Auswirkung auf unseren gemeinsamen heutigen Alltag hat). Deshalb braucht es nun die Unabhängigkeit, allen Nachteilen zum Trotz?
Vielleicht sind Schotten schlicht «übellaunig, starrsinnig, zögerlich und mimosenhafter als eine Diva», wie es in der Selbsteinschätzung Alan Taylors in der NZZ am Sonntag heisst. Vielleicht verhalten sie sich wie ein Teenager, dessen Eltern ihm stets grosse Freiheiten liessen, der sich aber trotzdem endlich mal auflehnen und von zuhause wegziehen will. Etwas pubertär, vielleicht, aber Teil des Erwachsenwerdens.
Deshalb die am Anfang geäusserte Haltung: Dann geht halt, ihr Rotbärte! Britain wird zwar geografisch kleiner werden, trotzdem aber Great bleiben. London wird weiterhin voller Schotten sein, Schottland wird weiterhin grossartigen Whisky brennen, England wird weiterhin grossartige Musik, Filme und freizügige Touristinnen hervorbringen, Schweizer werden weiterhin Shortbread essen und Amerikaner werden weiterhin dem Irrtum unterliegen, «Braveheart» sei ein guter Film.