Sie sind jung. Sie politisieren bürgerlich. Und sie sind mutig, einige würden vielleicht sagen verwegen. Die Schwestern Laura und Valérie Dittli wollen noch in diesem Jahr den Sprung in die kantonale Exekutive schaffen. Die 29-jährige Valérie steht im Kanton Waadt im zweiten Wahlgang für den Regierungsrat, ihre zwei Jahre ältere Schwester Laura wurde von der Mitte für die Wahl im Oktober im Kanton Zug aufgestellt. Im Gespräch wird rasch klar: Die Dittli-Schwestern wissen, was sie wollen.
Auf die Frage, woher sie diesen Tatendrang und den Ehrgeiz nehmen, antwortet Valérie mit einem Schmunzeln: «Wir sind uns nichts anderes gewohnt.» Schon in ihrer Kindheit hätten sie zu Hause auf dem Biohof des Vaters Hand angelegt, seien Traktor gefahren und auch vor den grossen Maschinen nicht zurückgeschreckt. «Wir haben früh Verantwortung übernommen, ich denke, das kommt uns nun in unseren politischen Ämtern zu Gute», sagt ihre ältere Schwester Laura. Als Person in einem politischen Amt trage man schliesslich Verantwortung für die Gesellschaft.
Gemeinsam mit einem jüngeren Bruder und ihren Eltern – sie Sozialarbeiterin, er Landwirt – wuchsen Laura und Valérie im zugerischen Oberägeri auf, dem Dorf, wo auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister wohnt. Sowohl Valérie als auch Laura entschieden sich nach der Matura für ein Jus-Studium in Luzern. Laura arbeitet mittlerweile als Anwältin in einer Kanzlei in Zug, Valérie steht nach ihrem Doktorat an der Universität Lausanne nun ebenfalls vor der Anwaltsprüfung.
Diese ist seit Anfang Jahr auf ihrer Prioritätenliste allerdings nach unten gerutscht. Seit Januar ist die 29-Jährige praktisch ununterbrochen mit Wahlkampf beschäftigt. Am Sonntag kommt es zum Showdown: Der zweite Wahlgang für den Waadtländer Regierungsrat steht an. Sie sei froh, wenn es «dann mal Sonntag sei», sagt Valérie, die in Lausanne lebt. Die intensiven Monate würden langsam ihre Spuren hinterlassen. Auch emotional gleiche ihr Alltag momentan einer «Berg- und Talfahrt».
Im ersten Wahlgang war Dittli die Überraschung, liess selbst bisherige Regierungsräte hinter sich. Sie profitierte von der bürgerlichen Allianz mit FDP und SVP. Würde die Mitte-Politikerin am Sonntag in die Waadtländer Regierung gewählt, käme das dennoch einer Sensation gleich. Denn: Im Parlament ist die Partei nicht vertreten. Und auch sonst kommt der Mitte in der Waadt kaum eine Bedeutung zu.
Als Valérie das Präsidium der Partei übernahm, stand sie vor einem Scherbenhaufen: «Die Partei war am Boden. Für mich war das eine Chance: Ich konnte die faktisch inexistente Partei von Grund auf neu gestalten.»
Wie kommt eine junge Frau auf die Idee, in einem «fremden» Kanton die Politik durcheinanderzuwirbeln? «Während meines Doktorats in Lausanne habe ich viele Leute kennen gelernt, ich fühle mich dort zu Hause.» Gleichzeitig habe sie aus der Ferne verfolgt, wie ihre ältere Schwester in Zug Veränderungen vorantrieb. «Dass ich das dann auch wagte, hat sicher auch damit zu tun, dass in der Romandie generell eine grosse Offenheit gegenüber allen Kulturen gelebt wird», so Valérie. Da stört es auch niemanden, dass die Deutschschweizerin die französische Sprache zwar beherrscht, der Akzent aber unüberhörbar bleibt.
Eine ganz andere Bedeutung hat die Mitte-Partei im Kanton Zug: In der Innerschweiz gilt sie als staatstragende, etablierte Partei. Seit vier Jahren steht Laura Dittli der Kantonalpartei vor – als jüngste und gleichzeitig erste Frau in der Geschichte –, seit acht Jahren sitzt sie im Kantonsrat. Sie erinnere sich noch gut, als sie damals im Rat als 22-Jährige zum ersten Mal das Wort ergriffen habe: «Da war es mucksmäuschenstill im Saal.» Es habe wohl alle gewundert, was diese junge Frau überhaupt zu sagen habe. Unterdessen hat Laura Dittli im Kantonsparlament Fuss gefasst – und strebt mit der Kandidatur für den frei werdenden Sitz der Mitte im Regierungsrat sodann nach einer neuen Herausforderung.
Für die Dittli-Schwestern ist Politik «eine Herzensangelegenheit», wie Laura sagt. Valérie ergänzt: «Ich will etwas machen, nicht einfach nur den Status quo kritisieren.» Die Schwestern setzen sich vor allem für bildungspolitische Themen ein. Laura will in Zug flächendeckende Tagesschulen einführen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorantreiben, Valérie in der Waadt die Berufslehre stärken – die Westschweiz soll von der Deutschschweiz lernen.
Die Schwestern wirken reflektiert, nehmen sich Zeit, bevor sie eine Frage beantworten. Nur bei einem Thema, da gehen die Wogen hoch und es wird mitunter laut: Die Landwirtschaft weckt bei den Schwestern Emotionen. Valérie bezeichnet gar die Milchpreis-Diskussionen am heimischen Küchentisch als einen der Gründe, weshalb sie sich heute politisch engagiert: «Wir haben zu Hause hautnah miterlebt, welche Auswirkungen die Milchpreis-Schwankungen auf Bauern wie unseren Vater haben.» Und Laura ergänzt: «Bei Landwirtschaftsthemen fiel es mir im politischen Diskurs lange schwer, sachlich zu bleiben.» Mittlerweile gelinge das etwas besser.
Gleiche Familie, gleiches Studium, gleiche Partei, gleicher Job – und nachdem sich Laura entschieden hat, bestellt auch Valérie zum Gespräch einen hausgemachten Eistee: Sieht sie ihre ältere Schwester als Vorbild? «Nicht direkt», sagt die 29-Jährige. Viel eher würden sich die beiden «gegenseitig inspirieren». Manchmal wünscht sich Valérie allerdings, sie hätte die Leichtigkeit von Laura: «Mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn führt oft dazu, dass ich mir unnötig Sorgen mache oder zu lange über Dinge nachdenke.» Laura hingegen bewundert «den Ehrgeiz und die positive, offene Art» ihrer Schwester.
Laura und Valérie richten ihr Handeln nicht nach Ideologien. Bei einem Frauenstreik mit violetten Tüchern um den Kopf werde man die beiden wohl nie antreffen, meint Laura schmunzelnd. Viel eher suchen die Schwestern nach «pragmatischen Lösungen», wie Valérie sagt: «Wir wollen nicht einfach alles über den Haufen werfen, wir haben aber auch keine Angst davor, etwas zu verändern.» Und ja, diese Veränderungen bräuchten manchmal Zeit. Dennoch, so Laura stellvertretend für beide: «Wir können etwas bewirken, das macht für uns den Reiz der Politik aus.»
Nicht.