Der Vierfachmord von Rupperswil wird verfilmt. Die Redaktionsleitung der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY ungelöst» und die Aargauer Staatsanwaltschaft bestätigen entsprechende Recherchen der az. Man sei «in Abstimmung mit der Polizei» und werde «einen Filmfall drehen», erklärt Margit Preiss, Sprecherin der «Aktenzeichen»-Produktionsfirma auf Anfrage. Sandra Zuber, Sprecherin der Aargauer Oberstaatsanwaltschaft, bestätigt, dass der Fall verfilmt wird – betont aber auch, dass das weitere Vorgehen offen sei: «Wir sind immer noch im Anfangsstadium der Gespräche, definitive Daten stehen noch nicht fest.»
Nicht zum ersten Mal nehmen damit Aargauer Ermittler die Hilfe des Fernsehens in Anspruch. Im Fall Rupperswil war es die Kantonspolizei, die Anfang Januar den Kontakt mit der Redaktion gesucht hatte. XY-Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize-Wildemann sagt: «Die Kripo hat uns sehr früh über den Fall informiert. Wir sind dann mit dem Sachbearbeiter übereingekommen, dass sie erst mal alles sortieren und ihre Arbeit machen und wir uns danach wieder austauschen wollen, ob sie unsere Hilfe brauchen könnten». Nach der Medienkonferenz von vergangener Woche sei man wieder über den aktuellen Stand informiert worden. Dieser Tage laufen laut Reize-Wildemann «ein paar Massnahmen» der Ermittler, die man noch abwarten wolle. «Wenn sich danach nichts ergeben hat, werden wir gemeinsam das weiter Vorgehen besprechen.»
Neun Journalistinnen und Journalisten gehören dem XY-Redaktionsteam an. Für die Vorgespräche, wie sie jetzt im Fall Rupperswil laufen, ist Leiterin Reize-Wildemann zuständig. Sie dürfen erst über einen Fall berichten, wenn die Staatsanwaltschaft ihr definitives Einverständnis gegeben hat. Anschliessend rückt ein Reporter aus, um den Fall vor Ort zu recherchieren. Er führt Gespräche mit den Ermittlern, selten auch mit Angehörigen. Besichtigt in Begleitung von Polizisten den Tatort.
In Zusammenarbeit mit den Ermittlern und einem Dramaturgen erstellt er ein Drehbuch. «Daraus entsteht dann ein hoffentlich gut getroffener Film», erklärt Reize-Wildemann den Ablauf. Ein deutscher Kommissar, der im Jahr 2000 einen seiner Fälle von der XY-Redaktion verfilmen liess, schildert die Zusammenarbeit. Der Reporter sei «fachlich versiert» gewesen, seine Fragen hätten «Fachkunde bewiesen». Die beiden besichtigten zusammen den Tatort: «Man merkt, wie dieser Fernsehprofi bereits in Filmsequenzen denkt. Sein Bemühen ist es, neben der Vorstellung der Fakten Spannung zu erzeugen und zu erhalten.»
Gedreht wird jedoch normalerweise nicht an den Tatorten, wie Ina-Maria Reize-Wildemann erklärt: «Das schaffen wir logistisch nicht. Das Produktionsteam eines Drehs umfasst bis zu 30 Leute: Wenn sie ständig durch die Gegend reisen müssten, wäre das viel zu teuer.» Es gebe aber Ausnahmen: «Wenn der Tatort ein spezieller ist, den man nicht einfach so simulieren kann, drehen wir manchmal auch am Ort des Geschehens.»
Im Falle des Rupperswiler Vierfachmordes, der sich in einem Doppeleinfamilienhaus in einem typischen Wohnquartier ereignet habe, gehe sie aber davon aus, «dass man das auch gut in Deutschland nachstellen kann». Womöglich drehe man Teile auch in der Schweiz, zum jetzigen Zeitpunkt könne man das ohnehin noch nicht entscheiden. Klar ist: «Wir würden auf jeden Fall mit Schweizerdeutsch sprechenden Schauspielern arbeiten.» Dies sei wichtig wegen der Authentizität. «Wir schmücken nur da aus, wo es für die Polizei und für die Darstellung keine Rolle spielt. Ansonsten unterwerfen wir uns zu 100 Prozent den Fakten.» Dass deshalb «Aktenzeichen»-Beiträge völlig frei von Fiktion seien, bedeute dies aber nicht: «Weil niemand von uns oder von den Ermittlern bei der Tat dabei war, müssen wir uns oft mögliche Versionen ausdenken. Wenn die Spurenlage sehr vage ist, erarbeiten wir mit der Polizei die wahrscheinlichste Variante, die die Ermittler hundertprozentig mittragen können.»
Bevor das Drehbuch verfilmt wird, wird es der Kripo und der Staatsanwaltschaft vorgelegt, damit diese nochmals alles auf seine Richtigkeit überprüfen kann. Auch den fertigen Film sehen die Ermittler in einer vertraulichen Vorausstrahlung. In der Woche der Ausstrahlung – im Fall Rupperswil wird dies frühestens im August der Fall sein – wird es für wenige Aargauer Ermittler einen Betriebsausflug in die Bavaria-Studios bei München geben. Im Studio nehmen sie Anrufe für Hinweise entgegen.
Die Erfolgsquote wurde zur 500. Sendung im Jahr 2015 mit 40.7 Prozent angegeben. «Eine stolze Zahl, wenn man bedenkt, dass es sich um sogenannt hoffnungslosen Fälle handelt», sagt Reize-Wildemann. Und: Die Redaktion verfilmt jedes Jahr zwei, drei Fälle, die nie gezeigt werden, weil sie schon vor der Ausstrahlung gelöst sind. Dafür würden die Aargauer Ermittler gerne auf einen Fernsehauftritt verzichten. (aargauerzeitung.ch)