Am 23. Januar hat ein Referendumskomitee bei der Bundeskanzlei 55’120 Unterschriften gegen den Beschluss des Parlaments eingereicht, einen zweiwöchigen, bezahlten Vaterschaftsurlaub einzuführen. Dafür war ein regelrechter Schlussspurt notwendig: Kurz vor Weihnachten fehlten noch 18’000 der benötigten 50’000 Unterschriften.
Am Ende reichte es knapp: Wie die Bundeskanzlei am Mittwochnachmittag bestätigt hat, ist das Referendum nach Überprüfung der eingegangenen Unterschriften mit 54'489 gültigen Unterschriften zustande gekommen. Voraussichtlich am 27. September 2020 wird das Volk über den Vaterschaftsurlaub abstimmen können.
Ein Teil der Unterschriften für das Referendum sind auf fragwürdige Weise gesammelt worden, wie eine Recherche der RTS-Sendung «Mise au point» vom Sonntag enthüllt hat. Die Fernsehjournalisten filmten verdeckt in der Innenstadt von Lausanne, wie bezahlte Unterschriftensammler Passanten mit Tricksereien dazu brachten, das Referendum zu unterstützen.
Eine junge Frau etwa sagte vor laufender Kamera: «Ich sammle Unterschriften für den Vaterschaftsurlaub.» Die RTS-Reporter wiesen die Frau darauf hin, dass mit dem Referendum die Einführung genau dieses Vaterschaftsurlaubs verhindert werden soll. Die Frau erklärte daraufhin, dass sie so instruiert worden sei. Eine andere bezahlte Unterschriftensammlerin erklärte vor den Journalisten, dass sie in einer Stunde 67 Unterschriften zusammenbekommen habe, indem sie Passanten erklärt habe, es gehe um eine Ausweitung des Vaterschaftsurlaubs. Einen weiteren Unterschriftensammler wurde von den RTS-Mitarbeitenden dabei gefilmt, wie er den Unterschriftenbogen so hielt, dass die Beschreibung des Referendums – es trägt die Überschrift «Nein zum teuren Vaterschaftsurlaub» – nicht zu sehen war.
Die Unterschriftensammler in der Lausanner Innenstadt waren im Auftrag des Vereins Incop unterwegs. Geschäftsführer Franck Tessemo war erst nach mehrmaligen Anfragen und nur in Begleitung seines Anwalts bereit, vor der Kamera Stellung zu nehmen. Man «klaue» keine Unterschriften, beteuert Tessemo gegenüber dem RTS. Er weise seine Angestellten stets an, neutral über eine Vorlage zu informieren: «Unser Ziel ist es, die Schweizer Demokratie zu stärken.» Tricksereien würden nicht geduldet. Wenn Unterschriftensammler auf der Strasse falsche Angaben machten, widerspreche das den Zielen von Incop. Wer ein solches Vorgehen beobachte, solle sich bei ihm melden.
Ein ehemaliger Mitarbeiter von Incop, französischer Staatsbürger und wohnhaft in Paris, erzählt gegenüber RTS jedoch eine ganz andere Version der Geschichte. Für den Verein seien viele Ausländer tätig – hauptsächlich Franzosen und Italiener – die wenig Kenntnis und Interesse am politischen System der Schweiz hätten. Genaue Instruktionen über die Vorlagen, zu denen Unterschriften gesammelt werden, gebe es nicht. Er selber sei während einer halben Stunden in einem McDonalds instruiert worden, wie er eine Vorlage am besten «verkaufen» müsse.
Dem Chef gehe es in erster Linie darum, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Unterschriften zu sammeln. Die Angestellten erhalten keinen fixen Lohn, sondern werden aufgrund der Anzahl gesammelter Unterschriften entlöhnt. Das führe dazu, dass sie sich nicht einer transparenten Information verpflichtet fühlen, sondern möglichst schnell möglichst viele Unterschriften sammeln wollten. Eine aktive Incop-Unterschriftensammlerin bestätigt die Vorwürfe des ehemaligen Mitarbeitenden.
Romain Dubois, Vizepräsident der SP Neuenburg, hat gemäss eigenen Angaben 50 Zeugenaussagen von Passanten gesammelt, die beim Referendum gegen den Vaterschaftsurlaub getäuscht worden sind. SP-Nationalrat Mathias Reynard hat beim Referendum gegen die Erweiterung des Anti-Diskriminierungs-Gesetzes, über die am 9. Februar abgestimmt wird, mit seinem Handy mehrere ähnliche Fälle gefilmt. Unterschriftensammler in Sion gaben dabei vor, Unterschriften für die Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung zu sammeln. Mit dem Referendum hingegen soll die strafrechtliche Verfolgung von Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verhindert werden.
Wie viele Unterschriften für das Referendum gegen den Vaterschaftsurlaub mit täuschenden Angaben gesammelt worden sind, lässt sich nicht eruieren. Auf Anfrage von watson will Susanne Brunner, SVP-Gemeinderätin aus Zürich und Co-Präsidentin des Komitees, nicht einmal sagen, ob sie Kenntnis davon habe, dass das Komitee mit Incop zusammengearbeitet hat. Die Mitglieder des Komitees seien von diversen Organisationen und Verbänden bei der Unterschriftensammlung unterstützt worden, schreibt es auf seiner Website.
Gegenüber RTS sagte Komiteemitglied und SVP-Nationalrat Jean-Pierre Grin, es könne sich höchstens um einige wenige hundert Unterschriften handeln, welche mit falschen Angaben gesammelt worden sind. Das Komitee könne nicht direkt dafür verantwortlich gemacht werden. Er appellierte an die Verantwortung der Stimmberechtigten, genau zu prüfen, was sie unterschreiben.
Dass die unsauberen Methoden von Incop rechtliche Konsequenzen haben werden, ist relativ unwahrscheinlich. «Die Bundeskanzlei hat keinen gesetzlichen Auftrag zu überwachen, wie Unterschriften für eidgenössische Volksbegehren gesammelt werden oder aus welchen Gründen Stimmberechtigte ein Volksbegehren unterstützen», erklärt Urs Bruderer auf Anfrage von watson. Täuschende Angaben bei der Unterschriftensammlung seien im Schweizerischen Strafgesetzbuch nicht unter Strafe gestellt, so der Sprecher der Bundeskanzlei. Die Neuenburger SP will gemäss NZZ dennoch den Rechtsweg beschreiten. Sie will vom Bundesgericht prüfen lassen, ob Unterschriftensammlungen gegen Bezahlung mit dem Recht auf freie Meinungsbildung vereinbar seien.
Politisch kommt das Thema ohnehin aufs Parkett. SP-Nationalrat Baptiste Hurni aus dem Kanton Neuenburg hat im Dezember 2019 eine Motion eingereicht. Der Bundesrat soll einen Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs vorlegen, um die «Irreführung des Stimmberechtigten» unter Strafe zu stellen. Und Hurnis Parteikollege Mathias Reynard will laut SRF in der Frühlingssession einen Vorstoss einreichen, um das Unterschriftensammeln gegen Bezahlung ganz zu verbieten. Ein solches Verbot kennt bisher lediglich der Kanton Genf. In der Waadt haben die Grünen am Dienstag als Reaktion auf die RTS-Recherche per Motion eine gleichlautendes Gesetz verlangt.
Theoretisch könnte er ja auch, wenn er z.B. Fr. 1.50 pro Unterschrift bekommt, einem Passanten sagen "Wenn du unterschreibst gebe ich dir 50 Rappen in bar".
Dass es genügend Leute gibt, die aus Idealismus umsonst Unterschriften sammeln, könnte man ja auch als Beleg des Wunsches nach einer Änderung sehen.
Und weniger finanzstarke Gruppierungen würden so ja relativ gesehen eher unterstützt.
Die Dialoger sind rhetorisch gut ausgebildet und können schnell jemand über den Tisch ziehen. (Ältere, Gutgläubige, Kurzangebundene...)
Ich wäre dafür, dass man solche Manipulationen unter Strafe stellt und ja, die Initianten haben auch eine Verantwortung! Wenn aktuell noch keine rechtliche, dann zumindestens eine moralische, als Politikerin ist sie staatsbesoldet.
Besser mit Stil verlieren als..
der SVP vertrauen :)