Schweiz
Abstimmungen 2020

Diskriminierungsverbot: Ein Gegner und eine Befürworterin im Pro-Contra-Duell

Benjamin Fischer von der SVP und Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz.
Benjamin Fischer von der SVP und Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz.

Duell zum Diskriminierungsverbot: «Auf Worte folgen Taten!» – «Es ist ein Zensurgesetz!»

Sollen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe gestellt werden? Während Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz für ein Ja wirbt, kämpft Benjamin Fischer (SVP) für ein Nein. Ein Pro-Contra-Duell in sechs Fragen.
19.01.2020, 10:2720.01.2020, 06:24
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Am 9. Februar kommt die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm zur Abstimmung. Neben Rasse, Religion und Ethnie soll neu auch Diskriminierung und der Aufruf zu Hass in Bezug auf die sexuelle Orientierung strafbar werden.

Während Befürworter für ein «Ja zum Schutz vor Hass» werben, sprechen die Gegner der Vorlage von einem «Zensurgesetz».

watson hat Anna Rosenwasser, Co-Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und Benjamin Fischer, Präsident der SVP des Kantons Zürich und Mitglied des Nein-Komitees, schriftlich sechs Fragen zum neuen Gesetz gestellt.

Sollten Homosexuelle als Gruppe geschützt werden, wie es bei Angehörigen einer bestimmten Rasse, Religion oder Ethnie bereits der Fall ist?

Anna Rosenwasser: Ja, unbedingt. Eine Spielgruppe darf meine Kinder zum Glück nicht abweisen, nur weil ich jüdisch bin. Aber sie darf offiziell meine Kinder abweisen, weil ich auf Frauen stehe! Ein öffentliches Video, in dem jemand sagen würde, «Schwarze kann man mit Schlägen heilen», wäre zu Recht strafbar. Aber das Video, wo ein Typ das Selbe über Schwule sagt, ist legal. Solche Aussagen in der Öffentlichkeit gefährden das friedliche Zusammenleben in der Schweiz. Darum braucht das Gesetz eine Erweiterung.
Benjamin Fischer: Nein. Diese Strafnorm ist insgesamt eine Fehlkonstruktion. Strafrecht soll generalisierbar sein und klar festhalten, was eine strafbare Handlung ist, unabhängig gegenüber wem die Handlung ausgeübt wird. Die Einführung der Anti-Rassismus-Strafnorm ist historisch begründet und war ursprünglich vor allem zur Verhinderung des Antisemitismus gedacht. Heute ist dieser Artikel ad absurdum geführt. Der Begriff der Religion ist nicht klar definiert. Und fragen Sie einmal einen Biologen, was eine menschliche Rasse ist, er wird sie auslachen. Was soll dieser Begriff in einem Gesetz?

Ehrverletzung, Beschimpfung, Drohung, üble Nachrede, Verleumdung und der Aufruf zu Gewalt sind schon heute verboten. Weshalb braucht es noch zusätzliche Regeln?

Rosenwasser: Ja, das ist verboten – aber nur, wenn damit eine einzelne Person angegriffen wird. «Du Lesbe brauchst doch bloss mal einen richtigen Schwanz, um geheilt zu werden!» ist strafbar. Die selbe Aussage, aber mit «Ihr Lesben …» durch ein Megafon gerufen, ist legal. (Hören wir übrigens öfters.) Wir schützen also eine einzelne Person, aber sobald es mehrere Personen sind, ist es easy? Das macht doch keinen Sinn!
Fischer: Es braucht keine neuen Gesetze. Man muss die bereits vorhandenen aber konsequenter anwenden und die Richterinnen und Richter sollen ihren Spielraum besser nutzen. Es ist unehrlich von den Befürwortern, zu behaupten, man könne heute ungestraft hetzen, drohen oder gar jemanden verletzen. All das ist bereits strafbar, es muss nur von den Betroffenen angezeigt werden!

Kann man mit einem Gesetz Vorurteile und Hass wirklich zum Verschwinden bringen?

Rosenwasser: Das Parlament und der Bundesrat sagen: Ja. Alle Parteien ausser der SVP sagen ebenfalls Ja. Viele religiöse Organisationen sagen Ja. Ein riesiger Teil aller Schwulen, Lesben und Bisexuellen sagen auch Ja. So gut wie alle westlichen Länder ausser der Schweiz haben diesen Schutz vor Hass ebenfalls. Ich will ja nicht voreilig sein – aber es scheint wirklich etwas dran zu sein.
Fischer: Nein, im Gegenteil. Wer tatsächlich hasst, wird sich davon eher bestätigt sehen, weil man nun nicht mehr mit Argumenten, sondern mit der Keule des Strafrechts gegen seine Meinung vorgeht. Vorurteile, beispielsweise von der «bösen Homo-Lobby, die einem den Mund verbietet», werden dadurch bestätigt. Die meisten stimmen instinktiv zu, dass Hass keine Meinung ist. Aber ist es Hass, wenn jemand sagt Homosexualität sei «unnatürlich», «ungesund» oder «nicht von Gott gewollt»? Das ist eine Meinung, vielleicht eine dumme, aus meiner Sicht auch eine falsche Meinung, aber Dummheit allein darf nicht strafbar sein.

Führt Hass und Herabwürdigung in Worten zu physischer Gewalt?

Rosenwasser: Ich weiss, es ist so ein Elternspruch, aber: Auf Worte folgen Taten. Ein Typ, der ganz legal öffentlich darüber reden darf, dass Homos Prügel nötig haben, wird meiner Partnerin und mir nicht freundlich Grüezi sagen, wenn wir ihm nachts an der Langstrasse begegnen. Letztens forderte ein Bischof öffentlich die Todesstrafe für Schwule – und kam selbst ohne Strafe davon. Mir kann niemand sagen, dass eine solche Gesetzeslage den Menschen beibringt, friedlich mit uns Homos umzugehen.
Fischer: Nein, nicht automatisch. Sonst könnte man sich ja kaum mehr auf die Strasse trauen, angesichts dessen was in den (sozialen) Medien so an Hass und Herabwürdigung verbreitet wird. Dennoch muss gegen Hass vorgegangen werden und das wird auch getan, es gibt dazu alle Instrumente, die nötig sind. Vonseiten des Pro-Komitees wurde beispielsweise behauptet, es wäre legal, wenn jemand auf Facebook schreibt «alle Lesben müssten vergewaltigt werden». Dabei fällt dies unter Aufruf zu Gewalt nach Artikel 259 Strafgesetzbuch, kann also nach geltendem Recht bereits angezeigt werden.

Was können oder müssen Staat und Gesellschaft tun, um Übergriffe auf Homosexuelle zu verhindern?

Rosenwasser: In unserer Verfassung steht: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.» Momentan ist die Suizidrate unter schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen bis zu fünfmal höher als unter heterosexuellen. Das sieht für mich nicht so aus, als wäre unsere Würde gut geschützt. Darum braucht es moderne Aufklärung an Schulen, starke Schwulen- und Lesben-Vereine und Gesetze, die uns ein Leben in Würde ermöglichen. Dazu gehört auch der Schutz vor Hass aufgrund der sexuellen Orientierung
Fischer: Genau dasselbe, was der Staat gegenüber jedem Menschen tun muss, um Übergriffe zu verhindern! Der Staat hat die Aufgabe, jeden Menschen zu schützen, völlig egal, welcher Gruppe er sich zugehörig fühlt. Es kann aber nicht Staatsaufgabe sein, Gefühle zu schützen. Wenn jemand meinen verstorbenen Vater beleidigt, verletzt mich das enorm, aber ich muss damit selber fertig werden, solange es die Schwelle zum Strafrecht nicht überschreitet. Diese ist bewusst hoch angesetzt, denn Anstand und Respekt werden nicht durch das Strafrecht erwirkt.

Sollte man in einer Demokratie nicht grundsätzlich sagen dürfen, was man denkt? Führt das neue Gesetz zu mehr Zensur?

Rosenwasser: Mit dem Ja zum Schutz darfst du weiterhin kritisch über Lesben reden und Schwulenwitze machen (die machen wir Homos übrigens auch). Was du via Whatsapp über Drag Queens schreibst oder am Stammtisch über Lesben sagst, geht uns nichts an. Die Meinungsfreiheit ist und bleibt wichtig in unserem Land! Aber Hass ist keine Meinung. Das neue Gesetz macht es einfach strafbar, in der Öffentlichkeit Hass gegen Schwule, Lesben und Bisexuelle zu verbreiten.
Fischer: Die Meinungsfreiheit muss in einem demokratischen Rechtsstaat fast unbegrenzt sein. Die Grenzen sind dort, wo jemand direkt angegriffen und geschädigt wird. Dafür reichen die aktuellen Bestimmungen zu Beschimpfung, Drohung usw. Die Vorlage ist ein Zensurgesetz, denn ob eine Meinung wahr ist oder Gefühle verletzt, hat im Strafrecht nichts zu suchen. In der freien Gesellschaft zählt der offene Diskurs und allein der zwanglose Zwang des besseren Arguments. Problematisch finde ich den Satz «Ich bin für Meinungsfreiheit, aber Diskriminierung ist keine Meinung». Jeder Diktator stellt sich hinter die Meinungsfreiheit, nur um dann zu ergänzen: «Aber XY ist keine Meinung».
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157 Kommentare
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FrancoL
19.01.2020 11:05registriert November 2015
Fischer: "Es ist unehrlich von den Befürwortern, zu behaupten, man könne heute ungestraft hetzen, drohen oder gar jemanden verletzen"

Ist die Aussage der Befürworter denn wirklich so weit von der Realität entfernt Herr Fischer?

Wenn ich mein erweitertes Umfeld betrachte (quer durch alle Schichten) behaupte ich: Die Aussage der Befürworter ist sicherlich überspitzt aber nicht falsch.
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Hierundjetzt
19.01.2020 11:47registriert Mai 2015
Die Argumente von Fischer sind nicht von der Hand zu weisen und sehr wohl diskutierbar

Korrigiert mich, aber der Umweg über das StGB ist doch mit viel höheren Hürden belegt als der direkte Weg via Antidiskriminierungsgesetz

Bei einer Güterabwägung bin ich für ein Ja, weil neu die Schwelle für die Eingabe bei der Polizei bei potentiellen Opfer tiefer liegt.

Und am Ende des Tages geht es darum, dass man in diesen Fällen rasch die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen kann.

Trotzdem, ich hoffe weiterhin auf ein gesundes Augenmass des BGer und das sich eine sinnvolle Rechtspraxis herausbildet
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beaetel
19.01.2020 14:47registriert Januar 2014
Auf „Freiheit“, respektive Freiheiten, pocht immer der Stärkere. Der Schwache bedarf hingegen rechtlichen Schutz. Der Reiche pocht auf seine Freiheit machen zu können, was er will. Der Arme hat meistens keine Wahl. Wählen können ist aber eine Voraussetzung für Freiheit. Das Gegenteil von Freiheit? Zwang! Jeder Satz, der mit „ich muss“ oder „Du musst“ anfängt, zeugt von einem Fehlen von Optionen, einem Mangel an Freiheit. Andere beleidigen als Freiheit zu verkaufen finde ich daher völlig gestört.
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