Es schien ein Flop zu werden: Der politische Kreis, der das Covid-Zertifikat mit einem Referendum gegen das Covid-Gesetz bekämpft, hatte zwei Wochen vor Ende der Sammelfrist 30'000 Unterschriften zu wenig. Der Wind hat aber überraschend und deutlich gedreht: Das Referendumskomitee konnte innerhalb von wenigen Tagen ihren Unterschriftenzähler auf 61'851 hochdrehen. Nun steht's beinahe fest: Das Covid-Zertifikat kommt wohl im November vors Volk.
Vom Flop zum Hit: Was ist da passiert? Zwei Dinge sind zu beachten. Das Referendumskomitee startete die Unterschriftensammlung ungewöhnlich spät. Sie hätten sich bereits ab April gegen die Änderung des Covid-Gesetzes wehren können. Sie hofften aber auf die Juni-Abstimmung: Wäre das Covid-19-Gesetz vom Volk abgeschossen worden, hätte es gar kein zweites Referendum gegen das Covid-Zertifikat benötigt. Mitte Mai kündigten impfkritische Kreise aus dem St. Galler Rheintal jedoch an, doch noch ein zweites Referendum zu starten.
Dieses kam zunächst schleppend voran. Der Erfolg beim Unterschriftensammeln kam erst im Juni, als die Junge SVP, die sogenannten «Freunde der Verfassung» und andere Organisationen aufsprangen.
Zusätzlich mobilisiert wurde im Rahmen der Volksabstimmung: Die Kritikerinnen und Kritiker der Covid-Politik drückten nach dem deutlichen «Ja» zum Covid-Gesetz aufs Gaspedal: Sie verbreiteten Unterschriftenbögen in zahlreichen Telegram-Gruppen, waren auf den Strassen präsent und erzielten damit eine Überraschung.
Michael Bubendorf, Mediensprecher der Freunde der Verfassung, zeigt sich telefonisch erfreut: «Ja, man kann uns gratulieren.» Er erklärt auch, wie von der anfänglichen Einschätzung, es könnte knapp werden, nun doch so rasch über 62'000 Unterschriften gesammelt werden konnten: «Wir haben alle Möglichkeiten genutzt und beispielsweise über Internet- und klassische Medien Referendumsbögen verbreitet.» So etwa vergangene Woche in der «Weltwoche», die eine Auflage von rund 40'000 hat. JSVP-Chef David Trachsel will zudem erwähnt haben, dass er bei der Unterschriftensammlung eine «enorme Euphorie unter Jungen» gespürt haben will.
Geholfen habe zudem ein besonders Zielgruppen-orientierter Versand der Unterschriftenblätter, wie Bubendorf bestätigt: «Wir haben sie an alle Stimmberechtigten jener Gemeinden verschickt, die im Juni besonders deutlich ‹Nein› zum Covid-19-Gesetz stimmten.» Der Covid-Massnahmenkritiker kündigt die Unterschriftenübergabe für nächste Woche an.
Die Ironie an der Sache: Die Referendumsführer hatten auch dank dem Covid-19-Gesetz Erfolg. Dank diesem können politische Akteurinnen und Akteure derzeit Unterschriften für Referenden und Initiativen sammeln, ohne diese bei den Gemeinden der Stimmberechtigten beglaubigen lassen zu müssen. Dieser Prozess war bislang einer der kosten- und zeitintensivsten Abschnitte einer Referendumskampagne. Er sorgte auch mal aufgrund langsamer Gemeindeverwaltungen dafür, dass Unterschriftensammlungen bis zum letzten Tag der Frist zur Zitterpartie wurden.
Dies bleibt den Gegnerinnen und Gegnern der Covid-Gesetzgebung erspart. Sie können und werden nächste Woche die rund 62'000 Unterschriften zum grössten Teil unbeglaubigt einreichen können. Die Beglaubigung wird von der Bundeskanzlei übernommen. Bubendorf gibt sich in dieser Sache überraschend transparent: «Das ist so. Die Corona-Politik erschwerte uns, unser demokratisches Recht wahrzunehmen. Ich sehe nichts Schlechtes daran, dass wir auch die Vorteile dieses Gesetzes nun nutzen.»
Bubendorf begründet sein Engagement gegen das Covid-Zertifikat mit grundsätzlichen Bedenken: Seiner Ansicht nach schaffe das Zertifikat eine Zweiklassengesellschaft und eine Diskriminierung, die sich grundrechtlich auch nicht während einer Pandemie rechtfertigen lasse. «Schon gar nicht, wenn sich Bundesrat und Parlament überhaupt nicht Mühe geben, ihre Massnahmen wissenschaftlich zu begründen», fügt Bubendorf an.