Die Abstimmung über das Frontex-Referendum ist eine mehrdimensionale, denn sie schneidet verschiedene Themen an: Sicherheit, Migration und Menschenrechte – aber auch die Schweizer Beziehungen zur EU. Kurz zusammengefasst geht es um Folgendes:
Die Grenzen des Schengen-Raums, zu dem auch die Schweiz gehört, werden unter anderem von der EU-Agentur Frontex bewacht. Nach Beschlüssen in der EU werden die Beiträge an Frontex bis 2027 stetig erhöht. Dazu soll auch die Schweiz ihren Anteil leisten, Bundesrat und Parlament haben sich bereits für eine Erhöhung der Unterstützung ausgesprochen. Allerdings wird Frontex seit einiger Zeit kritisiert, unter anderem für Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen. Auch aus diesen Gründen wurde gegen den Entschluss von Bundesrat und Parlament das Referendum ergriffen.
Hier erfährst du im Detail, was Frontex eigentlich ist, wer das Referendum ergriffen hat, und aus welchen Gründen die Befürworter Frontex weiterhin unterstützen wollen:
Seit 2008 ist die Schweiz Mitglied des Schengen-Verbunds. Zum Schengen-Raum gehören insgesamt 26 europäische Länder: die meisten EU-Länder sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz. Es ist die grösste visumfreie Zone der Welt, in der grundsätzlich Reisefreiheit herrscht – eine Inhaberin eines Schengen-Visums kann sich frei in allen 26 Ländern bewegen. Da es keine wirklichen Grenzkontrollen gibt, arbeiten die Schengen-Staaten beim Grenzschutz und der Sicherheit verstärkt zusammen.
Für die operative Umsetzung des Grenzschutzes wurde 2004 die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, Frontex, gegründet. Sie wird durch den EU-Haushalt sowie durch Beiträge der Schengen-Mitgliedsstaaten finanziert. Die Aufgabe der Frontex ist die Unterstützung der Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten. Dabei führt Frontex zum Beispiel Lageanalysen über die Schwachstellen an den Aussengrenzen durch und bewertet die Kapazitäten der Behörden.
Ausserdem stellt sie den Staaten Fachleute oder Ausrüstung wie Schiffe und Flugzeuge zur Verfügung. Frontex wird aber auch direkt für die Überwachung der Grenzen, Soforteinsätze oder Rückführungsaktionen eingesetzt. Weiter unterstützt die Grenzschutzagentur die Schengen-Staaten beim Austausch von Informationen über kriminelle Aktivitäten.
Die Schweiz unterstützt Frontex nach Vereinbarung im Abkommen zu Schengen einerseits finanziell: Im Jahr 2021 waren es 24 Millionen Franken, dieser Beitrag ist jährlich angestiegen. Andererseits stellt die Schweiz pro Jahr etwa sechs Vollzeitstellen als Personal zur Verfügung.
Nach einem Anstieg der Migrationszahlen aufgrund der Libyen-Krise 2015 hat die EU festgestellt, dass die finanziellen und personellen Ressourcen von Frontex nicht ausreichen und hat deshalb eine Reform beschlossen. Seit 2019 wird diese umgesetzt und die Mittel für die Grenz- und Küstenwache wurden aufgestockt. Bis zum Jahr 2027 sollen Frontex für die Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen und im Bereich Rückkehr bis zu 10'000 Personen zur Verfügung stehen. Auf diese wird aber nur zurückgegriffen, wenn Gebrauch besteht.
Auch die Schweiz soll dazu ihren Beitrag leisten. Auf Basis von Schätzungen des Bundesrats sowie des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) sollen bis 2027 je nach Bedarf etwa 40 Vollzeitstellen sowie ein jährlicher Betrag von 60 Millionen Franken zur Verfügung gestellt werden.
Bundesrat und Parlament haben diesen Beiträgen zugestimmt. Im Nationalrat wurde dieser sogenannten «Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache» mit 88 Ja- zu 80 Nein-Stimmen (bei 28 Enthaltungen) nur knapp zugestimmt. Gegen diesen Entscheid wurde nun das Referendum ergriffen, weshalb das Schweizer Stimmvolk im Mai darüber befindet.
Seit 2008 ist die Schweiz Teil des Schengen/Dublin-Systems. Mit diesem regeln die EU und die assoziierten Staaten Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein rechtlich gemeinsam Asylanträge sowie die oben erwähnte Reisefreiheit. Als assoziierter Staat hat die Schweiz einerseits ein Mitspracherecht bei rechtlichen Entscheidungen. Andererseits hat sie sich aber auch dazu verpflichtet, Änderungen in diesem Recht in das Schweizer Recht zu übertragen.
Das Parlament und der Bundesrat können aber über diese Rechtsübernahme abstimmen – und, wenn das Referendum ergriffen wurde, das Schweizer Stimmvolk ebenfalls. Würde die Schweiz eine solche Übernahme ablehnen (was bis jetzt noch nie geschah), so müsste der Gemischte Ausschuss einstimmig über eine Weiterführung des Abkommen befinden. Im Gemischten Ausschuss sind die Schweiz, die EU-Kommission und alle Mitglieder der Europäischen Union vertreten. Würde es innert 90 Tagen zu keiner Einigung kommen, könnte dies in letzter Konsequenz zu einer Kündigung des Assoziierungsabkommens führen.
Von den Parteien im Parlament sind die FDP und die Mitte für die Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache – also für die Erhöhung des Schweizer Beitrages an Frontex. Auch die GLP hat im Nationalrat einstimmig dafür gestimmt, sie wird ihre offiziellen Parolen aber erst am 2. April kommunizieren. Die SVP hat ebenfalls noch keine Parolen gefasst. Im Nationalrat war sie gespalten: von 54 Nationalrätinnen und Nationalräten haben sich 28 der Stimme enthalten, 14 haben zugestimmt und zwölf waren dagegen.
Ausserdem im Ja-Komitee sind der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Schweizer Tourismus-Verband, sowie Mitglieder der Operation Libero, der Europäischen Bewegung Schweiz und der SVP.
Die befürwortenden Parteien argumentieren einerseits mit den Beziehungen zur EU. Ein Nein zu Frontex würde demnach die sowieso schon schwierigen Beziehungen zur EU weiter gefährden. In den Augen des Komitees «Frontex-Schengen JA» wäre eine Ablehnung eine Gefahr für die Schweizer Europapolitik.
Im Falle einer Nicht-Übernahme drohe der Schweiz eine Kündigung und somit ein Ausschluss aus dem Schengenraum, so die Unterstützerinnen und Unterstützer. Das würde sowohl unsere Reisefreiheit als auch den Tourismus in der Schweiz gefährden. Sie plädieren deshalb zur Einhaltung der Verträge mit der EU.
Die Befürworterinnen und Befürworter des Frontex-Ausbaus argumentieren andererseits auch mit der Sicherheit in der Schweiz, zu der die Grenzschutzbehörde einen wichtigen Beitrag leiste. Mit einem Nein verliere die Schweiz den Zugang zu wichtigen Fahndungssystemen zur Kriminalitätsbekämpfung.
Gegen die Unterstützung für den Frontex-Ausbau sind die Parteien der SP und der Grünen. Mit dabei sind aber auch zahlreiche Gruppen und Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen wie zum Beispiel die GSoA, Solidarité sans frontières, Klimastreik Schweiz, WeCollect oder die Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA).
Gegnerinnen und Gegner der Vorlage zielen in erster Linie auf die Agentur Frontex. Die Aktivitäten der europäischen Grenzschutzagentur würden das rassistische Narrativ von Migration als Bedrohung fördern, «wobei besonders die Risikoanalysen als Eigenlegitimation zur immer weiteren Aufstockung der Frontex benutzt werden», heisst es in der Argumentation.
Zur Kritik gehört auch das Anprangern von Gewalt an den EU-Aussengrenzen: Frontex sei als ausübende Kraft mitverantwortlich, dass Menschen an der EU-Aussengrenze «entrechtet, geprügelt und abgeschoben» werden. Das Komitee fordert die Abschaffung der Grenzschutzbehörde in ihrer jetzigen Form «als Symbol der abschottenden gewaltvollen europäischen Migrationspolitik». Das Ziel sei es, sichere Migration zu ermöglichen statt sie gewaltvoll zu verhindern. Wer es ernst meine mit dem Schutz für Flüchtende, müsse den Frontex-Ausbau stoppen.
Mit 61 Millionen Franken bis 2027 würden die Schweizer Beiträge im Gesamtbudget der Frontex etwa fünf Prozent ausmachen. Damit würde die Schweiz beträchtlich zum gewaltvollen Abschottungsregime der EU beitragen. Das Referendumskomitee lehnt es deshalb ab, die Frontex mit weiteren Beiträgen zu unterstützen. Aus Sicht des Grünen-Präsidenten Balthasar Glättli würde ein Nein zum Ausbau der Frontex-Finanzierung den Druck auf Reformen massiv erhöhen.
Eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen, Amnesty International, hat mitgeteilt, auf eine Abstimmungsparole zu dieser Vorlage zu verzichten. Amnesty International teile «die Kritik des Referendumskomitees an der Militarisierung der Frontex-Truppen, den Menschenrechtsverletzungen an der EU-Aussengrenze, dem Fehlen eines transparenten Beschwerdemechanismus und der mangelnden Rechenschaftspflicht der EU-Grenzschutzagentur», heisst es auf der Webseite der Menschenrechtsorganisation.
Seit Jahren dokumentiere Amnesty International illegale Push-Backs (illegales und gewaltsames Zurückdrängen) an den Land- und Seegrenzen von europäischen Ländern wie Griechenland, Italien, Malta, Spanien, Frankreich, Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Slowenien. Diese Push-Backs, an denen Frontex in gewissen Fällen beteiligt ist, würden Menschenleben gefährden und seien nach europäischem und internationalem Recht illegal.
Amnesty fordert daher zwar Reformen von Frontex, Amnesty Schweiz hat sich aber laut eigenen Angaben nicht bei der Sammlung der Unterschriften für das Referendum beteiligt. Der Grund: Keine der durch das Referendum kritisierten Bestimmungen stünden in direktem Zusammenhang mit dem Schutz von Migrantinnen und Migranten oder der Verteidigung von Menschenrechten.
Aber am Ende ist es egal wie man zu Frontex steht. Die einzige wichtige Frage ist hier Schengen. Und da es das Schengener Assoziierungsabkommen gefährdet - das übrigens in dem Punkt ganz klar ist - gibt es nur ein Ja wenn man die Reisfreiheit, den Tourismus und unsere Sicherheit garantieren will.
Punkt.