Für Yohannes* war die Schweiz ein Ort der Hoffnung. Der heute 30-Jährige kam 2016 in die Schweiz und flüchtete über das Mittelmeer. Yohannes steht in Sandalen und langer Hose im sommerlichen Zürich. Er blickt kurz in die Sonne und sagt: «Sogar für Eritreer wird es langsam zu heiss hier – und damit meine ich nicht nur das Wetter.»
Dem jungen Mann, der heute in der Schweiz angestellt ist und auf bestem Weg ist, Schweizer Staatsbürger zu werden, werden einige Aussagen zum Verhängnis, die er ganz zu Beginn seiner Zeit in der Schweiz gemacht hatte: «Als ich im Asylzentrum angekommen bin, musste ich den Behörden erklären, warum ich aus meiner Heimat geflohen bin. Ich bin aus Eritrea geflohen, weil dort eine Diktatur herrscht und die Menschen einfach verschwinden, wenn sie etwas Kritisches sagen. Oder sie werden – so wie ich – einfach grundlos verhaftet und gefoltert.»
In der Schweiz bekam Yohannes einen Dolmetscher zugeteilt, der seine Aussagen für das Protokoll übersetzen sollte.
Stattdessen wurde Yohannes von seinem Dolmetscher immer wieder angeherrscht, wenn er seinem Frust Luft verschaffte und über die katastrophalen Zustände in Eritrea erzählte:
So entschied sich Yohannes, bei den Gesprächen bestimmte Sachverhalte aussen vor zu lassen. Zu schweigen, wenn weitere Fragen über zur Politik in Eritrea gestellt wurden. Dennoch erzählte Yohannes ausführlich von Fluchthelfern im Land, vom geheimen Aufenthaltsort seiner Verwandten, seinem Cousin, der gerade seine Flucht plant, und weiteren Dingen aus seinem Leben. «Der Dolmetscher nahm alles detailliert auf. Schliesslich nickte er mir lächelnd zu und sagte, dass ich Glück hätte, in der Schweiz zu sein.»
Yohannes erzählt, warum die Schweiz für Eritreer ein beliebter Zufluchtsort ist: «Hier lebt man in Sicherheit. Meine Freunde und ich hatten nicht das Ziel, in die Schweiz zu kommen. Ursprünglich wollten wir zu Bekannten nach Deutschland.» Yohannes war schnell davon angetan, dass die Menschen sich in der Schweiz auf ein politisches System verlassen, das sie selber gestalten können und in dem jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat.
Yohannes bekam erst nach einigen Monaten einen positiven Asylentscheid und durfte in der Schweiz bleiben. Dass einige Dolmetscher, mit denen er es zu tun hatte, ihn auf eine ganz andere Weise befragten und ihm gar seine Aussagen nicht noch einmal zurück übersetzten, überraschte ihn: «Mir wurde gesagt, dass mir das Zurückübersetzen rechtlich zusteht und dass der Dolmetscher keine eigenen wertenden Aussagen machen dürfe.» Da kam Yohannes ein böser Verdacht:
Yohannes' Bekannte und Verwandte in der Heimat bekamen einige Wochen später schliesslich Besuch von den Behörden: «Sie haben meine Eltern besucht, Geld verlangt und sie verhört. Meine Eltern haben unter Druck verraten, dass sie meinen Cousin und mich finanziell unterstützen. Seitdem habe ich nichts mehr von meinem Cousin gehört.» Yohannes zeigt Fotos von seinen Eltern und von seinem Cousin auf dem Smartphone.
Yohannes geht davon aus, dass viele Asylverfahren von manipulierten Aussagen negativ beeinflusst werden. Yohannes Verdacht bestätigen indes auch andere Medienberichte: Seine Behauptungen decken sich etwa mit aktuellen Enthüllungen des Investigativportals «Reflekt». Demnach sollen mehrere nachweislich politisch verfolgte Flüchtlinge aus der Schweiz nach Eritrea zurückgewiesen worden sein.
Einer der Männer wurde nach seiner Rückführung verhaftet, gefoltert und ist erneut in die Schweiz geflohen – um einen neuen Asylantrag zu stellen. Die Situation in Eritrea lässt viele Menschen auch trotz eines negativen Asylentscheides in der Schweiz bleiben. Eine kürzlich erhobene Studie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zeigt, dass die Zahl Sozialfälle in der Schweiz zunimmt. Yohannes erklärt:
Nicht nur in der Schweiz sorgen die mutmasslichen Infiltrationen von Behörden durch das das eritreische Regime für Unmut. In den Niederlanden machten Medien 2015 auf die als Dolmetscher getarnten Spitzel aufmerksam. Damals äusserte sich Mirian Van Reisen, Professorin für Internationale Beziehungen, in einem Radio-Interview dahingehend. Sie sagte, die Dolmetscher würden vom eritreische Nachrichtendienst benutzt.
Van Reisen wurde für ihre Aussagen angeklagt. Ermittlungen zeigten jedoch, dass tatsächlich mehrere Dolmetscher für den eritreischen Staat Informationen weitergegeben haben. «Seit diesem Tag vor Gericht hat sich die Praxis geändert und unsere Regierung schaut genauer hin», sagt sie auf Anfrage dieser Zeitung.
Das Gerücht, dass Übersetzer in der Schweiz als Spitzel für die Regierung arbeiten könnten, ist auch in Eritrea verbreitet. Surafel*, der in Eritrea als Richter arbeitet, habe schon vor seiner Flucht davon gehört: «Ich wusste, dass unser Regime Leute ausbildet, die als Agenten nach Europa geschickt werden, um dort im Hintergrund zu agieren. Wie diese Menschen konkret arbeiten, ist aber geheim.»
Surafel und seine Arbeitskollegen an den Gerichten wurden immer mehr bedrängt von Regierungsleuten.
Irgendwann hat sich Surafel zur Flucht entschieden: «Ich hatte Freunde, die es bereits in die Schweiz geschafft haben. Man hatte mich gewarnt vor den «Spionen» bei den Schweizer Behörden, deshalb habe ich mir schon vor meiner Ankunft einen Anwalt organisiert.» Ebenso versuchte er andere Geflüchtete dazu zu animieren, verdächtige Dolmetscher zu enttarnen. «Die Menschen hatten jedoch viel zu grosse Angst vor den Folgen. Es herrscht eine Ohnmacht», sagt Surafel.
Der ehemalige Richter bekam Asyl und gilt heute als besonders schützenswerte Person, da er mit mehreren europäischen Behörden, Spezialisten der UN und anderen Organisationen aus dem Exil heraus gegen die Machenschaften des Afewerki-Regimes arbeitet. Surafel, der mittlerweile auch seine Familie in die Schweiz holen durfte, lebt auch heute noch in Unsicherheit: «Afewerkis Leute wissen ganz genau, dass ich hier bin und dass ich gegen sie bin.»
Bei den Recherchen zu diesem Artikel haben Quellen immer wieder ein und denselben Namen als Experten empfohlen: Einen ehemaligen Ausbildner von Agenten in Eritrea, der heute als Dolmetscher und Berater für Hilfsorganisationen arbeitet. Birhane*, so nennen wir den Mann, ist bereit, sich zum Interview zu treffen. Wir verabreden uns an einem belebten Ort in Zürich. Er trägt eine Hornbrille, Polohemd, lange Hosen und Sandalen. Er kommt gerade von einer Deutsch-Lektion. Birhane spricht sechs Sprachen fliessend und wirkt überlegt. Kürzlich konnte er einen Universitätsabschluss in der Schweiz machen.
Die Sache mit den Dolmetschern sei nur die Spitze des Eisbergs, sagt er und fügt an: «Ich habe sechs Jahre Agenten in Eritrea ausgebildet, die nur ein Ziel hatten: die Propaganda des eritreischen Regimes zu verbreiten.» Die Agenten sollten schliesslich dafür schauen, dass Geld in die Heimat fliesst. Laut eigener Aussage bildete Birhane rund 1500 Agentinnen und Agenten aus.
Auch er hatte irgendwann genug von den Unterdrückungen und bekam es mit der Angst zu tun. «Ein Arbeitskollege wurde plötzlich grundlos vom Geheimdienst verschleppt und tauchte erst ein Jahr später wieder auf. Danach war er ein anderer Mensch.» Birhane wurde zunehmend bedroht und gezwungen, Dinge zu tun, die er für nicht richtig hielt. «Irgendwann kann man nicht mehr und hat die Wahl: Setze ich mich zur Wehr und riskiere mein Leben oder fliehe ich?» Birhane entschied sich für Letzteres. Er kam über das Mittelmeer in die Schweiz. Auf seiner Flucht traf er ehemalige Schülerinnen und Schüler aus der Agentenschule. Einigen davon ist er gar in der Schweiz begegnet:
Es sei für ihn klar, dass die Regierungen in Europa keine echte Chance hätten, herauszufinden, wer von der Regierung indoktriniert sei und wer nicht. «Es braucht Vertrauenspersonen bei den Behörden, die Eritrea und unsere Hintergründe kennen. Nur so können wir die Spione enttarnen und sie endlich zur Rechenschaft ziehen!»
Solch schwere Vorwürfe gegen Dolmetscher beim Staatssekretariat für Migration (SEM) werden nicht zum ersten Mal erhoben. Schon 2015 antwortete der Bundesrat auf eine Interpellation von SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP):
Heute, acht Jahre später, schreibt Samuel Wyss, Mediensprecher vom SEM, in einer Stellungnahme: «Wir nehmen diese Vorwürfe sehr ernst und haben ein grosses Interesse, diese Fälle schnellstmöglich zu untersuchen.» Unabhängig davon sei es jedoch sehr wichtig, dass sich Menschen, die Verdachtsmomente festgestellt haben, direkt beim Staatssekretariat für Migration oder bei der Polizei melden würden. Grundsätzlich führe das SEM bei allen Personen, die als Übersetzerinnen und Übersetzer arbeiten wollen, bei der Rekrutierung eine Hintergrundüberprüfung durch. Zudem seien die Dolmetscher an eine Vertraulichkeits- und Geheimhaltungserklärung gebunden.
Welche Bestandteile diese Hintergrundüberprüfungen haben, verrät Wyss nicht. Er ergänzt:
Richter Surafel bezeichnet die Ausflüchte des SEM als Schuldeingeständnis: «Jetzt wollen sie Untersuchungen einleiten? Dabei haben sie doch schon vielen Menschen Asyl in der Schweiz verweigert.» Der ehemalige Richter engagiert sich mithilfe einiger Geflüchteten für Neuankömmlinge. Sobald er die Staatsbürgerschaft hat, will Surafel auch politisch aktiv werden, um Abläufe im Schweizer Asylwesen zu verbessern: «Ich denke da an digitale Tools oder ein System mit jeweils zwei Übersetzern.» Gerade bei behördlich arbeitenden Dolmetschern sei eine fundierte Hintergrundüberprüfung der Leute unabdingbar.
Diesen Vorschlag kommentiert das SEM verneinend: «Die Anwesenheit eines zweiten Dolmetschers hätte erhebliche Auswirkungen auf die Kosten und die Logistik, konkret würde dies eine Verdoppelung des Budgets bedeuten – nicht zu vergessen die Verzögerung des Asylverfahrens. Unseres Wissens wird eine solche Massnahme in keinem anderen Land angewendet.» Die eritreische Botschaft in Genf war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
* Die Namen der Protagonisten wurden geändert. (bzbasel.ch)
Neu, ist das indessen nicht. Bei den Tamilen lief es damals ebenso.
Von was dies bezahlt wird kostet auf die eine oder andere Art doch wieder den Steuerzahler hier.
Da fällt es mir schwer den Bund in Schutz zu nehmen und von Naivität auszugehen.