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Spione aus Eritrea arbeiten für Schweizer Migrationsbehörde

Spione aus Eritrea arbeiten für Schweizer Migrationsbehörde – Bund leitet Untersuchung ein

Dolmetscher im Dienst des Bundes stehen unter Verdacht, eritreische Flüchtlinge zu bespitzeln und Schutzgeld zu erpressen. Das hat weitreichende, schwere Folgen für Flüchtlinge. Wie kann es sein, dass der Arm des eritreischen Diktators bis in die Besprechungszimmer des Bundes reichen?
26.08.2023, 11:3230.08.2023, 08:16
Raphael Rohner / ch media
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Für Yohannes* war die Schweiz ein Ort der Hoffnung. Der heute 30-Jährige kam 2016 in die Schweiz und flüchtete über das Mittelmeer. Yohannes steht in Sandalen und langer Hose im sommerlichen Zürich. Er blickt kurz in die Sonne und sagt: «Sogar für Eritreer wird es langsam zu heiss hier – und damit meine ich nicht nur das Wetter.»

Die Menschen aus Eritrea fühlen sich von der Schweiz im Stich gelassen.
Die Menschen aus Eritrea fühlen sich von der Schweiz im Stich gelassen.Bild: raphael rohner

Dem jungen Mann, der heute in der Schweiz angestellt ist und auf bestem Weg ist, Schweizer Staatsbürger zu werden, werden einige Aussagen zum Verhängnis, die er ganz zu Beginn seiner Zeit in der Schweiz gemacht hatte: «Als ich im Asylzentrum angekommen bin, musste ich den Behörden erklären, warum ich aus meiner Heimat geflohen bin. Ich bin aus Eritrea geflohen, weil dort eine Diktatur herrscht und die Menschen einfach verschwinden, wenn sie etwas Kritisches sagen. Oder sie werden – so wie ich – einfach grundlos verhaftet und gefoltert.»

In der Schweiz bekam Yohannes einen Dolmetscher zugeteilt, der seine Aussagen für das Protokoll übersetzen sollte.

«Ich dachte das erste Mal in meinem Leben, dass ich ehrlich sein kann und mir jemand zuhört. Ich wurde eingekerkert, geschlagen und misshandelt wie ein Tier.»

«Sag nichts Falsches über dein Land!»

Stattdessen wurde Yohannes von seinem Dolmetscher immer wieder angeherrscht, wenn er seinem Frust Luft verschaffte und über die katastrophalen Zustände in Eritrea erzählte:

«Er drohte mir vor den Behörden in meiner Muttersprache, ich solle bloss nichts Falsches sagen über mein Land. Zudem verniedlichte er meine Aussagen, spielte sie herunter und winkte oft ab, wenn ich anfing, Geschichten über die Gefangennahme von politischen Flüchtlingen zu erzählen oder von anderen Schicksalen berichtete.»
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So entschied sich Yohannes, bei den Gesprächen bestimmte Sachverhalte aussen vor zu lassen. Zu schweigen, wenn weitere Fragen über zur Politik in Eritrea gestellt wurden. Dennoch erzählte Yohannes ausführlich von Fluchthelfern im Land, vom geheimen Aufenthaltsort seiner Verwandten, seinem Cousin, der gerade seine Flucht plant, und weiteren Dingen aus seinem Leben. «Der Dolmetscher nahm alles detailliert auf. Schliesslich nickte er mir lächelnd zu und sagte, dass ich Glück hätte, in der Schweiz zu sein.»

Informationen führen zu Problemen in der Heimat

Yohannes erzählt, warum die Schweiz für Eritreer ein beliebter Zufluchtsort ist: «Hier lebt man in Sicherheit. Meine Freunde und ich hatten nicht das Ziel, in die Schweiz zu kommen. Ursprünglich wollten wir zu Bekannten nach Deutschland.» Yohannes war schnell davon angetan, dass die Menschen sich in der Schweiz auf ein politisches System verlassen, das sie selber gestalten können und in dem jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat.

Ein Flüchtling in einer provisorischen Asylunterkunft in einer Zivilschutzanlage in St.Gallen.
Ein Flüchtling in einer provisorischen Asylunterkunft in einer Zivilschutzanlage in St. Gallen.Bild: raphael rohner

Yohannes bekam erst nach einigen Monaten einen positiven Asylentscheid und durfte in der Schweiz bleiben. Dass einige Dolmetscher, mit denen er es zu tun hatte, ihn auf eine ganz andere Weise befragten und ihm gar seine Aussagen nicht noch einmal zurück übersetzten, überraschte ihn: «Mir wurde gesagt, dass mir das Zurückübersetzen rechtlich zusteht und dass der Dolmetscher keine eigenen wertenden Aussagen machen dürfe.» Da kam Yohannes ein böser Verdacht:

«Die haben mich ausgefragt und benutzt! Mir wurde von Freunden erzählt, dass einige Dolmetscher direkt für den Diktator arbeiten. Sie haben mir geraten, bloss keine Informationen über meine Familie und Freunde in der Heimat preiszugeben. Doch da hatte ich schon viel zu viel gesagt.»

Yohannes' Bekannte und Verwandte in der Heimat bekamen einige Wochen später schliesslich Besuch von den Behörden: «Sie haben meine Eltern besucht, Geld verlangt und sie verhört. Meine Eltern haben unter Druck verraten, dass sie meinen Cousin und mich finanziell unterstützen. Seitdem habe ich nichts mehr von meinem Cousin gehört.» Yohannes zeigt Fotos von seinen Eltern und von seinem Cousin auf dem Smartphone.

Manipulierte Übersetzungen als Grund für Ausschaffung?

Yohannes geht davon aus, dass viele Asylverfahren von manipulierten Aussagen negativ beeinflusst werden. Yohannes Verdacht bestätigen indes auch andere Medienberichte: Seine Behauptungen decken sich etwa mit aktuellen Enthüllungen des Investigativportals «Reflekt». Demnach sollen mehrere nachweislich politisch verfolgte Flüchtlinge aus der Schweiz nach Eritrea zurückgewiesen worden sein.

Einer der Männer wurde nach seiner Rückführung verhaftet, gefoltert und ist erneut in die Schweiz geflohen – um einen neuen Asylantrag zu stellen. Die Situation in Eritrea lässt viele Menschen auch trotz eines negativen Asylentscheides in der Schweiz bleiben. Eine kürzlich erhobene Studie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zeigt, dass die Zahl Sozialfälle in der Schweiz zunimmt. Yohannes erklärt:

«Wer zurückgeht, verschwindet! Sonst hat die Person für die Regierung gearbeitet.»

Nicht nur in der Schweiz sorgen die mutmasslichen Infiltrationen von Behörden durch das das eritreische Regime für Unmut. In den Niederlanden machten Medien 2015 auf die als Dolmetscher getarnten Spitzel aufmerksam. Damals äusserte sich Mirian Van Reisen, Professorin für Internationale Beziehungen, in einem Radio-Interview dahingehend. Sie sagte, die Dolmetscher würden vom eritreische Nachrichtendienst benutzt.

Van Reisen wurde für ihre Aussagen angeklagt. Ermittlungen zeigten jedoch, dass tatsächlich mehrere Dolmetscher für den eritreischen Staat Informationen weitergegeben haben. «Seit diesem Tag vor Gericht hat sich die Praxis geändert und unsere Regierung schaut genauer hin», sagt sie auf Anfrage dieser Zeitung.

Ehemaliger Richter nahm Anwalt mit zu allen Befragungen

Das Gerücht, dass Übersetzer in der Schweiz als Spitzel für die Regierung arbeiten könnten, ist auch in Eritrea verbreitet. Surafel*, der in Eritrea als Richter arbeitet, habe schon vor seiner Flucht davon gehört: «Ich wusste, dass unser Regime Leute ausbildet, die als Agenten nach Europa geschickt werden, um dort im Hintergrund zu agieren. Wie diese Menschen konkret arbeiten, ist aber geheim.»

Surafel und seine Arbeitskollegen an den Gerichten wurden immer mehr bedrängt von Regierungsleuten.

«Wir wollten nicht zulassen, dass Menschen ohne Prozess eingesperrt oder gefoltert werden. Wir haben uns dezidiert gegen das Regime gestellt und dafür dann auch die Quittung bekommen: Einige Kollegen verschwanden, andere wurden bedroht, zum Schweigen gebracht. Es war wie in Nazi-Deutschland, man sah, wie Menschen von Uniformierten abgeholt wurden, und musste stumm bleiben.»
Surafel* ist wütend über die Gleichgültigkeit der Schweizer Behörden.
Surafel* ist wütend über die Gleichgültigkeit der Schweizer Behörden.Bild: raphael rohner

Irgendwann hat sich Surafel zur Flucht entschieden: «Ich hatte Freunde, die es bereits in die Schweiz geschafft haben. Man hatte mich gewarnt vor den «Spionen» bei den Schweizer Behörden, deshalb habe ich mir schon vor meiner Ankunft einen Anwalt organisiert.» Ebenso versuchte er andere Geflüchtete dazu zu animieren, verdächtige Dolmetscher zu enttarnen. «Die Menschen hatten jedoch viel zu grosse Angst vor den Folgen. Es herrscht eine Ohnmacht», sagt Surafel.

Der ehemalige Richter bekam Asyl und gilt heute als besonders schützenswerte Person, da er mit mehreren europäischen Behörden, Spezialisten der UN und anderen Organisationen aus dem Exil heraus gegen die Machenschaften des Afewerki-Regimes arbeitet. Surafel, der mittlerweile auch seine Familie in die Schweiz holen durfte, lebt auch heute noch in Unsicherheit: «Afewerkis Leute wissen ganz genau, dass ich hier bin und dass ich gegen sie bin.»

Ehemaliger Agentenausbilder beweist Spionage

Bei den Recherchen zu diesem Artikel haben Quellen immer wieder ein und denselben Namen als Experten empfohlen: Einen ehemaligen Ausbildner von Agenten in Eritrea, der heute als Dolmetscher und Berater für Hilfsorganisationen arbeitet. Birhane*, so nennen wir den Mann, ist bereit, sich zum Interview zu treffen. Wir verabreden uns an einem belebten Ort in Zürich. Er trägt eine Hornbrille, Polohemd, lange Hosen und Sandalen. Er kommt gerade von einer Deutsch-Lektion. Birhane spricht sechs Sprachen fliessend und wirkt überlegt. Kürzlich konnte er einen Universitätsabschluss in der Schweiz machen.

Die Sache mit den Dolmetschern sei nur die Spitze des Eisbergs, sagt er und fügt an: «Ich habe sechs Jahre Agenten in Eritrea ausgebildet, die nur ein Ziel hatten: die Propaganda des eritreischen Regimes zu verbreiten.» Die Agenten sollten schliesslich dafür schauen, dass Geld in die Heimat fliesst. Laut eigener Aussage bildete Birhane rund 1500 Agentinnen und Agenten aus.

Auch er hatte irgendwann genug von den Unterdrückungen und bekam es mit der Angst zu tun. «Ein Arbeitskollege wurde plötzlich grundlos vom Geheimdienst verschleppt und tauchte erst ein Jahr später wieder auf. Danach war er ein anderer Mensch.» Birhane wurde zunehmend bedroht und gezwungen, Dinge zu tun, die er für nicht richtig hielt. «Irgendwann kann man nicht mehr und hat die Wahl: Setze ich mich zur Wehr und riskiere mein Leben oder fliehe ich?» Birhane entschied sich für Letzteres. Er kam über das Mittelmeer in die Schweiz. Auf seiner Flucht traf er ehemalige Schülerinnen und Schüler aus der Agentenschule. Einigen davon ist er gar in der Schweiz begegnet:

«Ich habe mehrere wiedererkannt, die als Dolmetscher für das Staatssekretariat für Migration im Asylzentrum arbeiten – das war eine böse Überraschung.»

Es sei für ihn klar, dass die Regierungen in Europa keine echte Chance hätten, herauszufinden, wer von der Regierung indoktriniert sei und wer nicht. «Es braucht Vertrauenspersonen bei den Behörden, die Eritrea und unsere Hintergründe kennen. Nur so können wir die Spione enttarnen und sie endlich zur Rechenschaft ziehen!»

Der ehemalige Ausbildner für Agenten in Eritrea ist in die Schweiz geflüchtet, weil er sich gegen das Regime gestellt hat.
Der ehemalige Ausbildner für Agenten in Eritrea ist in die Schweiz geflüchtet, weil er sich gegen das Regime gestellt hat.Bild: raphael rohner

Bund will schnellstens Untersuchungen einleiten

Solch schwere Vorwürfe gegen Dolmetscher beim Staatssekretariat für Migration (SEM) werden nicht zum ersten Mal erhoben. Schon 2015 antwortete der Bundesrat auf eine Interpellation von SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP):

«Es übersteigt die Möglichkeiten des Staatssekretariats für Migration, Spitzel unter Dolmetschenden zu enttarnen.»

Heute, acht Jahre später, schreibt Samuel Wyss, Mediensprecher vom SEM, in einer Stellungnahme: «Wir nehmen diese Vorwürfe sehr ernst und haben ein grosses Interesse, diese Fälle schnellstmöglich zu untersuchen.» Unabhängig davon sei es jedoch sehr wichtig, dass sich Menschen, die Verdachtsmomente festgestellt haben, direkt beim Staatssekretariat für Migration oder bei der Polizei melden würden. Grundsätzlich führe das SEM bei allen Personen, die als Übersetzerinnen und Übersetzer arbeiten wollen, bei der Rekrutierung eine Hintergrundüberprüfung durch. Zudem seien die Dolmetscher an eine Vertraulichkeits- und Geheimhaltungserklärung gebunden.

Welche Bestandteile diese Hintergrundüberprüfungen haben, verrät Wyss nicht. Er ergänzt:

«Wenn eritreische Staatsangehörige von Bespitzelung, Bedrohung oder anderem widerrechtlichem Verhalten betroffen sind, haben sie die Möglichkeit, sich diesbezüglich an die Polizei zu wenden. Diese kann gegebenenfalls weitere Behörden wie den Nachrichtendienst oder die Bundespolizei involvieren.»

Geflohen und keinen Schritt weiter

Richter Surafel bezeichnet die Ausflüchte des SEM als Schuldeingeständnis: «Jetzt wollen sie Untersuchungen einleiten? Dabei haben sie doch schon vielen Menschen Asyl in der Schweiz verweigert.» Der ehemalige Richter engagiert sich mithilfe einiger Geflüchteten für Neuankömmlinge. Sobald er die Staatsbürgerschaft hat, will Surafel auch politisch aktiv werden, um Abläufe im Schweizer Asylwesen zu verbessern: «Ich denke da an digitale Tools oder ein System mit jeweils zwei Übersetzern.» Gerade bei behördlich arbeitenden Dolmetschern sei eine fundierte Hintergrundüberprüfung der Leute unabdingbar.

Diesen Vorschlag kommentiert das SEM verneinend: «Die Anwesenheit eines zweiten Dolmetschers hätte erhebliche Auswirkungen auf die Kosten und die Logistik, konkret würde dies eine Verdoppelung des Budgets bedeuten – nicht zu vergessen die Verzögerung des Asylverfahrens. Unseres Wissens wird eine solche Massnahme in keinem anderen Land angewendet.» Die eritreische Botschaft in Genf war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

* Die Namen der Protagonisten wurden geändert. (bzbasel.ch)

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64 Kommentare
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vanilla
26.08.2023 13:06registriert Juni 2021
Darüber wird seit Jahren gesprochen. Bisher galt es als Gerücht. Ich bin froh, dass endlich Licht ins Dunkel gebracht werden soll. Ja. Unsere Behördenvertreter:innen sind naiv. Deren Horizont hört vor der Haustüre auf. Seit Jahren erzählen Menschen aus Eritrea von Bespitzelung, Druck und Eintreiben von Geld. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Regimetreuen und allen anderen. Statt den Missständen auf den Grund zu gehen, wurden die Gewaltausbrüche kritisiert.
Neu, ist das indessen nicht. Bei den Tamilen lief es damals ebenso.
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Hösch
26.08.2023 12:56registriert März 2022
Eritrea. Sind das nicht die welche hier 'Steuern' einziehen bei ihren Landsleuten?
Von was dies bezahlt wird kostet auf die eine oder andere Art doch wieder den Steuerzahler hier.
Da fällt es mir schwer den Bund in Schutz zu nehmen und von Naivität auszugehen.
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James McNew
26.08.2023 12:26registriert Februar 2014
Naiv ist ja nur der Vorname… Und so werden Entscheidungen gefällt, die Leben oder Tod bedeuten können, oder zumindest jahrelange Haft und Folter. Ein hoch auf die humanitäre Schweiz!
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