Gemäss dem jüngsten Global Slavery Index sind weltweit 50 Millionen Menschen in moderner Sklaverei gefangen. Der entsprechende Bericht wurde am Mittwoch von der Menschenrechtsorganisation Walk Free veröffentlicht.
Laut Walk Free ist jede 150. Person auf der Welt von moderner Sklaverei betroffen. Besonders von Ausbeutung gefährdet, sind dem Bericht zufolge Menschen, die wegen Klimawandel, Konflikten und intensiver Wetterereignisse ihre Heimat verlassen müssen. Auch eine weltweite Einschränkung der Frauenrechte sowie wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Corona-Pandemie verschärfen demnach die Situation.
Die Länder, die an der Spitze der Rangliste sitzen, glänzen für einmal nicht: Die Top 5 belegen Nordkorea, Eritrea, Mauretanien, Saudi-Arabien und die Türkei.
Die Schweiz besetzt den 160. und somit den letzten Rang. Von 1000 Leuten befinden sich hierzulande im Schnitt 0,5 Menschen in moderner Sklaverei. In absoluten Zahlen entspricht das 4000 Menschen. Zum Vergleich: In Nordkorea kommen auf 1000 Menschen 104,6 moderne Sklaven. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass sich 2'696'000 Menschen in moderner Sklaverei befinden.
Bei der «modernen Sklaverei» handelt es sich nicht um einen definierten Rechtsbegriff, sondern um einen Obergriff, der bestimmte rechtliche Konzepte zusammenfasst. Walk Free unterteilt die moderne Sklaverei in zwei Hauptkomponenten: erzwungene Arbeit und erzwungene Ehe. Beide beziehen sich auf Situationen der Ausbeutung, die vom Opfer aufgrund von unerlaubten Zwangsmitteln nicht abgelehnt oder verlassen werden können. Auch wenn es auch in der Schweiz zu Zwangsehen kommt, soll der Fokus im Folgenden auf dem Aspekt der erzwungenen Arbeit liegen.
Erzwungene Arbeit wird international unter dem Tatbestand Menschenhandel geahndet. Gemäss der juristischen Definition im sogenannten Palermo-Protokoll müssen dafür folgende drei Elemente gegeben sein:
Im schweizerischen Strafgesetzbuch ist der Menschenhandel unter Artikel 182 gelistet.
Nur weil die Schweiz den letzten Platz belegt, bedeutet dies nicht, dass die Problematik in der Schweiz nicht präsent ist. Eine genaue Bezifferung ist allerdings schwierig, da es sich bei Menschenhandel um ein sogenanntes «Holdelikt» handelt. Da sich Opfer nur selten an die Behörden wenden, liegt es an den Behörden, aktiv zu ermitteln und Fälle aufzudecken. Das wiederum bedeutet, dass Fälle nur dort aufgedeckt werden, wo auch hingeschaut wird.
Zahlen zu Menschenhandel stützen sich sowohl auf Kriminalstatistiken als auch auf Fachstellen, bei denen sich die Opfer melden oder denen sie übergeben werden. Mitte Mai meldete die Fachstelle Frauenhandel und Frauenemigration (FIZ) im Rahmen ihres Jahresberichts 2022 eine deutliche Zunahme von Menschenhandel. Im vergangenen Jahr verzeichnete sie 259 Fälle.
Eine Zunahme vermeldete auch die Plateforme Traite im Oktober letzten Jahres. 2021 seien in den vier ihr zugehörigen Beratungsstellen 207 neue Betroffene identifiziert worden. Gegenüber 2019 entspreche dies einem Anstieg von 50 Prozent. Bei der Plateforme Traite handelt es sich um ein schweizweites Netzwerk von nicht staatlichen Organisationen, die Betroffene von Menschenhandel unterstützen.
Wirklich repräsentativ seien solche Zahlen nicht, räumt das Netzwerk ein. Da der Menschenhandel im Verborgenen stattfinde, seien die Opfer nur schwer zu identifizieren. Dies schlägt sich auch auf die Statistik der Strafverfolgung nieder: 2021 wurden laut Bundesamt für Statistik 71 Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel erfasst und 13 Strafurteile gesprochen.
In Bezug auf Menschenhandel spielt in der Schweiz das Sexgewerbe die Hauptrolle: Wie Plateforme Traite schreibt, seien rund zwei Drittel der 2021 neu identifizierten Opfer von Menschen sexuell ausgebeutet worden.
Doch auch in der regulären Wirtschaft wird Menschenhandel betrieben. Dort sind vor allem Tieflohnbranchen betroffen, wo wenig berufliche Qualifikationen benötigt werden. Dazu gehören hauptsächlich die folgenden vier Sektoren: Landwirtschaft, Bauwirtschaft, Gastgewerbe und Hauswirtschaft (Dienstleistungen in Privathaushalten). Zu diesem Schluss kam das schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte in einem Bericht vom Juli 2022, der im Auftrag des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) durchgeführt wurde.
Auch wenn die Beschäftigungsverhältnisse in diesen vier Sektoren mehrheitlich regelkonform seien, so gebe es immer einen gewissen Teil, der missbräuchlich bis hin zu ausbeuterisch sei.
Die meisten Fälle von Menschenhandel gibt es laut des Berichts in den Kantonen Bern, Basel, Genf, Luzern, Solothurn und Zürich.
Wie es im Bericht zur Bekämpfung von Menschenhandel weiter heisst, seien die Opfer von Menschenhandel in fast allen Fällen von ausländischer Staatsangehörigkeit und häufig ohne legalen Status in der Schweiz anwesend. Der Grund:
Fast immer handle es sich bei den Opfern um Menschen mit geringen finanziellen Mitteln. Dies verunmöglicht es ihnen, sich aus dem ausbeuterischen Verhältnis zu befreien.
Betroffen sind gemäss Bericht in erster Linie Frauen: 88 Prozent aller Geschädigten von Menschenhandel (182 StGB) und Förderung von Prostitution (195 StGB) in der Schweiz sind weiblich. Die Förderung von Prostitution findet im Bericht häufige Erwähnung, da sie als sogenannter Auffangtatbestand gilt. Das bedeutet, dass Art. 195 StGB unter anderem dann greift, wenn der Tatbestand Menschenhandel aufgrund zu weniger Beweise nicht anwendbar ist.
Bei den Beschuldigten sind mit 67 Prozent deutlich mehr Männer und mit 27 Prozent mehr Schweizerinnen und Schweizer zu finden. Mit einem Durchschnittsalter von 37 sind sie um einiges älter als die durchschnittlich 25,6-jährigen Geschädigten.
Ein Blick auf die fallstärksten Kantone offenbart weitere Merkmale von Geschädigten. So fallen im Vergleich zu den anderen Kantonen etwa die hohen Fallzahlen in Zürich (146) und Genf (118) auf. Bei diesen zwei wiederum sticht der Unterschied im Durchschnittsalter ins Auge. Im Bericht wird vermutet, dass das von allen Kantonen tiefste Durchschnittsalter von 23,9 in Zürich mit der hohen Anzahl von Fällen im Bereich der Prostitution zusammenhängt. Das höchste Durchschnittsalter von 29,6 in Genf wiederum dürfte im Hinblick auf den hohen Männeranteil auf Fälle im Bereich der Arbeitsausbeutung ausserhalb der Prostitution hinweisen.
Erst vor einem Monat befreite die Polizei eine minderjährige Prostituierte aus einem Aargauer Bordell, nachdem sie einen Hinweis aus der Bevölkerung erhalten hatte. Wie die Oberstaatsanwaltschaft Aargau mitteilte, sei die Teenagerin an eine spezialisierte Fachstelle übergeben worden.
Gegen die 58-jährige Bordellbetreiberin sei ein Strafverfahren wegen Förderung der Prostitution von Minderjährigen sowie möglicherweise qualifiziertem Menschenhandel eröffnet worden.
In Zürich wurde im März ein 42-jähriger Bauunternehmer wegen gewerbsmässigem Menschenhandel und weiteren Delikten zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Der Bauunternehmer beutete Arbeiter aus Ungarn und Moldawien systematisch aus.
Das Gericht hielt es für erwiesen, dass der österreichisch-schweizerische Doppelbürger zwischen 2012 und 2016 zu verschiedenen Zeitpunkten sieben ungarische und 16 moldawische Trockenbauer beschäftigte. Diese soll er mit dem Versprechen auf hohe Löhne in die Schweiz gelockt haben.
Statt des vereinbarten Lohnes zahlte er ihnen jedoch nur Pauschalbeträge ohne Überzeit, Spesen und Ferien aus. Gemäss Anklageschrift kamen die Arbeiter auf Stundenlöhne, die zwischen 80 Rappen und 9 Franken lagen – sofern sie denn überhaupt Löhne erhielten. Zudem soll er Arbeiter bedroht und in überfüllten und verschimmelten Unterkünften untergebracht haben.