Ihr Fall hat in Schaffhausen grosse Wellen geschlagen: Im Dezember 2021 wurde Fabienne W. von mehreren Männern brutal verprügelt. Im Mai 2024 sprach sie in einem SRF-Rundschau Beitrag erstmals öffentlich über ihren Fall. Ein Jahr später erzählt sie im Interview mit der Schaffhauser AZ, wie es ihr heute geht.
Fabienne W. wird am 28. Dezember 2021 von einem Anwalt zum Abendessen in seine Schaffhauser Wohnung eingeladen. Sie ist Hobby-Musikerin und denkt, der Mann interessiere sich für ihre Musik.
Beim Abendessen habe sie aber gemerkt, dass der Anwalt sie davon abbringen wollte, Anzeige gegen einen seiner Freunde zu machen, so schilderte sie es vergangenes Jahr gegenüber der «Rundschau». Der Freund soll W. rund eine Woche vor dem 28. Dezember vergewaltigt haben. Sie habe aber von einer Anzeige nicht absehen wollen, sagte W. gegenüber der «Rundschau».
Klar ist: Einige Stunden später wurde sie in der Wohnung des Anwalts brutal verprügelt. W. erzählte in der «Rundschau», dass sie vermutete, es sei um Einschüchterung gegangen. Der angeschuldigte Anwalt und drei seiner Kollegen, die in jener Nacht ebenfalls in der Wohnung waren, bestreiten dies. Sie sagen: W. habe randaliert, sie hätten lediglich versucht, sie zu beruhigen.
Durch Aufnahmen von Überwachungskameras weiss man heute, was sich in den letzten Stunden in der Tatnacht in der Wohnung des Anwalts abspielte:
Auf die Aufnahmen angesprochen sagt W. im Interview mit der Schaffhauser AZ, dass sie ihr halfen, die Geschehnisse zu rekonstruieren. Erinnern konnte sie sich nämlich an einen Grossteil der Nacht nicht. Nur eine Szene blieb ihr: Wie sie vor der Tür lag, einer der Männer auf ihr lag, sie würgte und dabei ihren Nacken gegen eine Treppenstufe drückte. Sie sagt:
Im Fall von Fabienne W. sind derzeit mehrere Verfahren hängig.
«Ambivalent», sagt Fabienne W. auf die Frage, wie es ihr ginge, ein Jahr nachdem ihr Fall von ihr öffentlich gemacht wurde. Oftmals müsse sie sich zwingen, durch Schaffhausen zu gehen, sagt sie, und manchmal schaffe sie es gar nicht erst aus dem Haus.
Denn die Männer, die in der Aufnahme der Überwachungskamera auch zu sehen sind, sind noch nicht verurteilt und laufen W. regelmässig in Schaffhausen über den Weg. Sie versuche so gut es gehe, ihnen aus dem Weg zu gehen, denn jede Begegnung sei für sie ein «Schockmoment», sagt sie gegenüber der Schaffhauser AZ.
Für W. war die Zeit nach der Prügelnacht besonders schwer, da die Beteiligten die Gewalttaten in der Anwaltswohnung gefilmt und die Videos in der Stadt offenbar herumgeschickt hätten. Ausserdem zirkulierte das Gerücht, W. hätte randaliert und Drogen genommen, wie sie im Interview erzählt. Sie sagt:
Gegen die Verbreitung der Videos habe die Polizei laut Fabienne W. keine Massnahmen ergriffen.
Im Interview der Schaffhauser AZ räumte die Zeitung ein, dass sie nach dem Rundschau-Beitrag einen Artikel veröffentlicht habe, der «unabsichtlich» suggerierte, dass W. Mitschuld an der ihr zugefügten Gewalt trage.
Im Interview erzählt W., dass sie es «nicht ertragen» habe, dass ihr eine Mitschuld angelastet wurde und deswegen Suizidgedanken gehabt habe. Sie habe sich in einer Klinik anmelden wollen, so W., doch daraus sei nichts geworden, weil sich zu dieser Zeit auch mehrere der Männer dort haben einweisen lassen.
Doch W. macht gegenüber der Schaffhauser AZ auch klar, dass sie die Entscheidung, mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen, nicht bereue. Schliesslich habe sie sich Gehör verschaffen wollen.
Dadurch, dass sie ihren Fall publik machte, wollte sie anderen Betroffenen vermitteln: «Man kann solche Erlebnisse überstehen, einen Lebensinn und eine Zukunft haben.»
Ausserdem habe sie sich an Gisèle Pelicot erinnert und auch aus Solidarität zu ihr gehandelt. Die Französin Gisèle Pelicot erlangte im Jahr 2024 im Strafprozess gegen ihren geschiedenen Ehemann und 50 weitere Täter internationale Bekanntheit. Diese hatten sie auf Einladung ihres Mannes schwer vergewaltigt, nachdem sie von ihm jeweils betäubt worden war. Pelicot sagte während einer Gerichtsverhandlung einst ganz klar: «Die Scham muss die Seite wechseln».
Ihre Hauptforderung an die Politik? «Dass man Gewalt an Frauen ernst nimmt. Die Istanbul-Konvention hat der Kanton bis heute nicht umgesetzt – es ist für Frauen kein wirklicher Schutz da», sagt W. im Interview und fügt hinzu:
Weitere Kritik äussert W. im Interview gegenüber der Arbeit der Polizei. In der Prügelnacht soll der zuständige Arzt sie aufgrund ihres körperlichen Zustandes nicht aus dem Spital entlassen haben wollen. Doch laut W. drängten sie die Polizisten trotzdem, mitzugehen, um schnellstmöglichst eine Aussage zu machen.
Auf dem Polizeiposten, wo die Einvernahme stattfand, sei Fabienne W. auch einem der Männer aus der Anwaltswohnung über den Weg gelaufen.
Die Schaffhauser AZ hat die Polizei mit dieser Schilderung konfrontiert: Diese widerspricht dieser Darstellung nicht, schreibt aber, sie dürfe sich zu laufenden Verfahren nicht äussern.
Der Untersuchungsbericht zum Polizeieinsatz ist noch nicht veröffentlicht. Der Schaffhauser Regierung liegt er aber vor. Ihr zufolge unterstellt der Bericht der Polizei «kein relevantes Fehlverhalten».
W. widerspricht dieser Darstellung:
Im Fall von Fabienne W. sind derzeit mehrere Verfahren hängig.
Ein Strafverfahren wegen vermeintlicher Vergewaltigung durch den Freund des Anwalts wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Dieser Entscheid wurde vom Obergericht bestätigt, woraufhin W. gemeinsam mit ihrem Anwalt Beschwerde beim Bundesgericht einreichte.
Sie werfen der Staatsanwaltschaft unter anderem vor, den Tatbestand der Schändung nicht berücksichtigt zu haben, obwohl sich W. zum Tatzeitpunkt aufgrund von Substanzeinfluss in einem urteilsunfähigen und wehrlosen Zustand befunden habe.
Im selben Zusammenhang läuft ein weiteres Verfahren, in dem W. und ihr Anwalt den Ausstand des zuständigen Staatsanwalts verlangen. Das Obergericht hat auch dieses Gesuch abgewiesen; der Fall liegt nun beim Bundesgericht.
Zudem sind bei der Staatsanwaltschaft weitere Verfahren im Zusammenhang mit der genannten Prügelattacke in der Wohnung eines Anwalts hängig. In diesem Kontext hat das Kantonsgericht die Anklage gegen einen einzelnen Beschuldigten zurückgewiesen, da es eine gemeinsame Beurteilung aller Tatbeteiligten für erforderlich hält.
Die Gruppe «Gerechtigkeit Schaffhausen», die sich nach der Veröffentlichung der gewaltvollen Aufnahmen und dem darauffolgenden öffentlichen Aufschrei gebildet hat, will W. einen Weiterzug des Verfahrens ans Bundesgericht ermöglichen. Um die finanziellen Mittel dafür zu erbringen, hat die Gruppe im April ein Crowdfunding lanciert.
(les)
Die erste "Hausdurchsuchung" erfolgte ein Jahr danach und der "Anwalt" hat ein Handy abgegeben. Der Ton der Überwachungskamera fehlt, weil StA und Polizei gepennt haben. Danke an Tamara Funicello, welche sich der Sache angenommen hat.