Schweiz
AHV

Neue Prognosen: AHV plötzlich mit Milliarden-Plus – Reform-Streit bleibt

ZUR EIDGENOESSISCHEN ABSTIMMUNG FUER EINE STARKE AHV (AHVPLUS) VOM SONNTAG, 25. SEPTEMBER 2016, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - An elderly couple enjoys a mild afternoon in J ...
Bessere Aussichten: Die AHV-Prognosen haben sich aufgehellt.Bild: KEYSTONE

Neuer Zoff um AHV: «Die Zahlen sind nur auf den ersten Blick gut»

Die Perspektiven für die AHV sind um Milliarden besser als gedacht. Was bedeutet das für die Finanzierung der 13. AHV-Rente? Fest steht: Die Fronten zwischen links und bürgerlich bleiben verhärtet.
23.08.2025, 14:4023.08.2025, 14:40
Benjamin Rosch, Kari Kälin / ch media
Mehr «Schweiz»

Plötzlich ist alles anders. Die Milliarden-Sorgen um die AHV: wie weggeblasen. Nimmt man das am Mittwoch vom Bundesrat verkündete Referenzszenario zum Nennwert, hat das grösste Sozialwerk der Schweiz keine Geldsorgen – falls sich die Politik rechtzeitig auf eine Lösung für die Finanzierung der 13. AHV-Rente einigt.

Das sah im Frühling noch deutlich düsterer aus. Im Mai präsentierte Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider Eckwerte einer grossen Reform, um den «kritischen Zeitraum» zu meistern, wenn sich die Babyboomer in Rente verabschieden. «Eine solche Reform ist mit den neuesten Zahlen vom Tisch», sagt nun ihre Parteikollegin und SP-Fraktionspräsidentin Samira Marti. «Die Angriffe auf die AHV und das Rentenalter müssen endlich gestoppt werden.»

Nationalraetin Samira Marti, SP-BL, spricht beim Jahresauftakt-Apero der SP Schweiz, am Montag, 6. Januar 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
SP-Fraktionspräsidentin Samira MartiBild: keystone

Sind die demografischen Hürden gar nicht so hoch wie befürchtet? Tatsächlich muss auch der Bundesrat über die Bücher. Ein Beispiel: Anstatt eines Defizits von 2,1 Milliarden Franken schreibt die AHV gemäss den aktualisierten Perspektiven im Jahr 2040 ein Plus von 1,3 Milliarden Franken – unter der Annahme, dass die Mehrwertsteuer wegen der 13. AHV-Rente um 0,7 Prozent erhöht wird. Drei Hauptgründe lassen die AHV gesunden: eine tiefere Lebenserwartung als ursprünglich angenommen, eine – aufgrund der Zuwanderung – jüngere Gesellschaft und eine bessere Anlagerendite.

So erfreulich die Prognosen, den Bürgerlichen kommen sie in der Rentendiskussion aktuell nicht gelegen. Sinnbildlich dafür ist ein Brief des Industrie-Verbands Swissmem vom Juli.

Stefan Brupbacher, Direktor Swiss Men, referiert an einem Medienhintergrundgespraech zum Thema "Die Industrie ist ein verlaesslicher Partnerin der Klimapolitik", am Donnerstag 04. Juli 2019, ...
Stefan Brupacher, Direktor von SwissmemBild: KEYSTONE

Direktor Stefan Brupbacher fordert darin die Nationalrätinnen und Nationalräte im Hinblick auf die nächste Sitzung der Sozialkommission dazu auf, die 13. AHV nicht vollständig zu finanzieren, sondern nur teilweise durch eine befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer, «da ansonsten der Druck für eine grundlegende Reform inklusive längerem Arbeiten fehlt». Will heissen: Es braucht ein strategisches AHV-Loch, damit ein höheres Rentenalter irgendwann unumgänglich wird.

FDP-Nationalrat bringt höheres Rentenalter ins Spiel

Von den neusten Ankündigungen lässt sich Brupbacher nicht aus der Ruhe bringen. Noch analysiere man die Szenarien, sagt er auf Anfrage. Aber: «Die Zahlen sind nur auf den ersten Blick gut – sie können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Überalterung zunimmt und die AHV finanziell in Schieflage geraten wird. Zudem: wie oft hat sich der Bund jetzt schon verrechnet?», fragt er rhetorisch. Brupbacher lehnt deshalb jeden zusätzlichen Ausbau und alle Finanzierungen über Lohnnebenkosten «dezidiert» ab.

Noch ist unklar, welche Dynamik die neuen Zahlen in die aktuelle Rentendebatte bringen wird. Spätestens nächste Woche wird sich dies aber ein erstes Mal zeigen. Dann trifft sich die Sozialkommission des Nationalrats, um ein Modell zur Finanzierung der 13. AHV auszubrüten. Der Vorschlag des Ständerats sieht eine Mischform zwischen höheren Lohnprozenten und stufenweiser Anhebung der Mehrwertsteuer vor. Es ist ein Mitte-Links-Deal, der gleich auch noch eine neue Initiative der Mitte einschliesst: die Abschaffung des Rentenplafonds bei Ehepaaren. Aktuell darf die Summe der Einzelrenten eines Ehepaars höchstens 150 Prozent der Maximalrente betragen. Heisst der Souverän die Initiative gut, werden weitere 3,6 Milliarden Franken fällig.

Andri Silberschmidt, FDP-ZH, in der Wandelhalle des Nationalrats, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 4. Juni 2025 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Til Buergy)
Zürcher FDP-Nationalrat Andri SilberschmidtBild: keystone

Mit Mitte-Links stimmten auch zwei FDP-Ständeräte. Doch im Nationalrat sind die Fronten verhärtet und zumindest kurzfristig rückt noch niemand von seinen Positionen ab. Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt wird in der nächsten Sitzung der Sozialkommission einen «Kompromiss» vorschlagen, wie er sagt: Der vom Volk beschlossene Rentenzustupf wird eine Mehrwertsteuererhöhung um 0,5 Prozent sowie eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters um ein halbes Jahr finanziert.

In den verbesserten Finanzperspektiven sieht er keinen Grund, auf Reformen zu verzichten. «Die wirtschaftliche Lage ist angespannt. Ich lehne einseitige Steuererhöhungen zugunsten der 13. AHV-Rente ab.» Auch für die Mitte-Initiative hat Silberschmidt wenig übrig. Einen weiteren Ausbau hält er für verantwortungslos.

Marcel Dettling, SVP-SZ, Thomas Aeschi, SVP-ZG, und Magdalena Martullo-Blocher, SVP-GR, von links, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 4. Juni 2025 im Nationalrat in Bern. (K ...
SVP-Fraktionschef Thomas AeschiBild: keystone

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi fordert derweil, dass die AHV inklusive 13. Rente ohne Lohnabzüge und Mehrwertsteuererhöhung auf ein solides Fundament gestellt wird. Persönlich steht er deshalb auch Silberschmidts Kompromissvorschlag skeptisch gegenüber. Ob für die SVP auch eine Erhöhung des Rentenalters infrage kommt, lässt der Zuger Nationalrat noch offen.

Den jüngsten Prognosen aus dem Departement Baume-Schneider misstraut Aeschi. «Sie können schon nächstes Jahr wieder ganz anders aussehen», warnt er. Die anhaltend hohe Zuwanderung verbessere die Perspektiven nur auf den ersten Blick. «Das Problem wird in die Zukunft verschoben.» Die Zuwanderer von heute seien die AHV-Bezüger von morgen.

Der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin war einer der Architekten, die in der Kleinen Kammer eine Lösung für die 13. AHV-Rente zimmerten. Für ihn hat die Finanzierung derselben jetzt absolute Priorität. Die rosigeren Perspektiven allein würden dafür nicht ausreichen.

Erich Ettlin, Mitte-OW, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 4. Juni 2025 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Til Buergy)
Obwaldner Mitte-Ständerat Erich EttlinBild: keystone

Silberschmidts Vorschlag mit dem Mix aus 0,5 Prozent mehr Mehrwertsteuer und einer Anhebung des Rentenalters hält Ettlin allerdings kurzfristig für nicht umsetzbar, weil das Volk erst vor kurzem ein höheres Rentenalter abgelehnt hat.

Der Mitte-Politiker glaubt nicht, dass die Renten-Initiative seiner Partei durch die neuen Prognosen mehr Aufwind erhält. Denn die Kosten von gegen 4 Milliarden Franken seien noch nicht finanziert. Ettlin schwebt dafür das gleiche Modell vor wie für die Finanzierung der 13. AHV-Rente. Der Obwaldner Ständerat mag ob der besseren Zahlen nicht in Euphorie ausbrechen.

Für ihn ist klar: Die Politik kommt langfristig nicht darum herum, die AHV zu reformieren, weil immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner finanzieren müssen und die Lebenserwartung steigt. Ettlin kann sich vorstellen, dass auf lange Sicht auch Lösungen wie eine Lebensarbeitszeit oder ein höheres Rentenalter diskutiert werden müssen. Prognosen seien immer mit Vorsicht zu geniessen, besonders wenn sie sich auf so lange Zeiträume erstreckten. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Diese 4 Arten von Giraffen gibt es neu offiziell
1 / 6
Diese 4 Arten von Giraffen gibt es neu offiziell

Die Nord-Giraffe (Giraffa camelopardalis)

quelle: michael brown/iucn / michael brown/iucn
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Dieser Justin-Bieber-Doppelgänger führte alle hinters Licht
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
86 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Gen X
23.08.2025 15:43registriert August 2023
Seibstverständlich passen den Rechtsbürgerlichen die Zahlen nicht, laufen sie doch ihren Bemühungen zuwider, das Rentenalter zu erhöhen und die staatliche Rente zu kürzen.
Nachdem sie es schon geschafft haben, dass die 13. AHV-Rente vor allem von den niedrigeren Einkommensgruppen finanziert wird, sind ihre "Argumente" und "Befürchtungen" so billig wie durchsichtig.
9122
Melden
Zum Kommentar
avatar
N. Y. P.
23.08.2025 16:01registriert August 2018
Die AHV Zahlen sind auch auf den 2. Blick gut. Ich glaube das Gewäsch der Bürgerlichen nicht mehr, dass die Prognosen schlecht sind.

Mehrmals haben die Zahlen aus Bern revidiert werden müssen. Und ich meine nicht nur die AHV Prognosen.
8013
Melden
Zum Kommentar
avatar
Zamorano1
23.08.2025 15:54registriert Oktober 2021
Nach den Bumern kommen Geburtenschwache Jahrgänge in Pension. Es muss doch möglich sein, dass die nächsten ungefähr 20 Jahre überbrückt werden können. Nachher dürfte die Finanzierung der AHV wieder einfacher sein.
Länger arbeiten kommt sicher nicht in Frage.
678
Melden
Zum Kommentar
86
«Wyberhaken», «Böse» oder «Gabentempel» – so gut kennt ihr euch mit Schwingen aus
Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest im Glarnerland rückt näher – am Wochenende wirbeln die «Bösen» wieder im Sägemehl. Mit kräftigen Griffen, wuchtigen Schwüngen und bestimmt mit dem einen oder anderen Plattwurf messen sich die Athleten im Schweizer Nationalsport.
Zur Story