In Bundesbern gehört es spätestens seit Corona zum schlechten Ton, dass selbst als «geheim» klassifizierte Geschäfte des Bundesrats via Indiskretionen den Weg in die Medien und damit an die Öffentlichkeit finden. Das neuste Beispiel ist der Testbericht der Rüstungsbehörde Armasuisse zur Beschaffung eines neuen Kampfjets.
Offenbar hat der umstrittenste Bewerber, der amerikanische F-35, am besten abgeschnitten, berichteten NZZ und SRF am Montag. Der Hightech-Flieger liege finanziell und technisch deutlich vor F/A-18 Super Hornet, Eurofighter und Rafale. Verteidigungsministerin Viola Amherd habe kaum eine andere Wahl, als den Kauf des F-35 zu beantragen.
Ob der Gesamtbundesrat dem Urteil von Armasuisse folgen wird, ist dennoch offen. Zwar brachte Amherd den Grundsatzentscheid über das Sechs-Milliarden-Geschäft im letzten September sehr knapp mit 8000 Stimmen Vorsprung durch die Volksabstimmung. Bei der Typenwahl aber geht es nicht nur um militärische, sondern auch um politische Aspekte.
So plädiere das Aussendepartement für einen europäischen Kampfjet, schreibt die NZZ. Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) ist nach dem Nein zum Rahmenabkommen unter Druck, das Verhältnis zur Europäischen Union zu «reparieren». Bedenken äussert angeblich auch das Finanzdepartement von SVP-Bundesrat Ueli Maurer, Amherds Vorvorgänger im VBS.
Sein Antrag basiert gemäss der NZZ auf einem Papier des früheren Armeechefs André Blattmann. Darin schlägt der ehemalige Fliegerabwehr-Instruktor vor, den Schweizer Luftraum mit einem breiten Spektrum an bodengestützter Luftverteidigung (Bodluv) zu schützen und bestenfalls 20 statt wie geplant 30 bis 40 neue Kampfjets zu beschaffen.
Solche «Querschüsse» kommen in der Regel schlecht an. In Frankreich aber wird man die Turbulenzen mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Denn bislang galt der Rafale von Hersteller Dassault als Favorit. Auf Ministerebene habe zwischen den beiden Ländern die letzten Tage und Wochen «ein reger Austausch stattgefunden», schreiben die Tamedia-Zeitungen.
Die Franzosen würden der Schweiz dabei politische Gegengeschäfte anbieten, etwa Unterstützung in den Beziehungen zur EU. Auffällig war auch, dass Verteidigungsministerin Florence Parly bei ihrem Besuch in Bern im März ungeniert Werbung für den Rafale machen durfte – im Medienzentrum des Bundes und in Anwesenheit von Amtskollegin Viola Amherd.
Frankreich erhalte keine Sonderbehandlung, betonte Amherd: «Alle Bewerber werden gleich behandelt.» Der Bundesrat werde seinen Entscheid aufgrund des Evaluationsberichts fällen, aber er werde neben Technik und Preis am Schluss auch strategisch-politische Kriterien einbeziehen. Das verleiht den Indiskretionen über den F-35 eine zusätzliche Brisanz.
Zur Überlegenheit des US-Jets gibt es ohnehin Fragezeichen. Er ist das modernste Flugzeug unter den vier Bewerbern und hat damit einen technologischen Vorsprung. Ex-Armeechef Blattmann wirft dem F-35 jedoch erhebliche Schwächen vor, etwa eine geringe Steigleistung – ein wichtiger Aspekt in der gebirgigen und kleinräumigen Schweiz.
Fragwürdig wirken auch die von NZZ und SRF erwähnten Vorzüge des F-35-Simulators. Kein Hersteller kann es sich heutzutage leisten, einen Kampfjet ohne «hochmoderne, teils robotergesteuerte Simulationsmöglichkeiten» (so Tamedia) anzubieten. Damit lassen sich Flugstunden und Kosten reduzieren, ebenso Lärm und CO2-Emissionen.
Höchst zweifelhaft ist deshalb, ob der F-35 über die gesamte Lebensdauer und damit im Unterhalt das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Die Amerikaner haben ganz andere Erfahrungen gemacht. Der demokratische Kongressabgeordnete Adam Smith, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, bezeichnete die Unterhaltskosten als «brutal».
Ausserdem ist der Hightech-Jet mit dem Vorwurf konfrontiert, die USA würden die Kontrolle über das hochkomplexe System nach dem Verkauf nicht aus der Hand geben. Hersteller Lockheed Martin bietet deshalb gemäss NZZ ein «Cyber Center of Excellence» an, mit dem die Schweiz den Datenfluss selbständig kontrollieren und Hackerangriffe verhindern könne.
Die Zweifel lassen sich vielleicht ausräumen, wenn der Evaluationsbericht veröffentlicht wird. Ein Entscheid des Bundesrats für den F-35 wäre aber so oder so eine Art Geschenk des Himmels für die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Sie will zusammen mit SP und Grünen den Kauf eines US-Flugzeugs mit einer Volksinitiative verhindern. Dies hätte nach dem Entscheid vom letzten September einen undemokratischen Beigeschmack.
Die Initiative müsste zudem das Ständemehr knacken, und mit der Blockademacht der konservativen Kantone hat Linksgrün bei der Konzernverantwortungsinitiative unliebsame Bekanntschaft gemacht. Dennoch dürfte die GSoA bessere Chancen haben als mit ihrem 1993 gescheiterten Versuch, den Kauf des F/A-18 mit einer Volksinitiative zu stoppen.
Der F-35 bleibt ein höchst umstrittenes Flugzeug, selbst wenn er im Testprogramm der Luftwaffe die besten Noten bekommen hat und Hersteller Lockheed Martin ihn der Schweiz mit einem saftigen Rabatt anbieten sollte. Falls die GSoA und ihre Mitstreiter ein europäisches Flugzeug explizit akzeptieren, liesse sich eine Volksabstimmung gewinnen.
Das macht die Ausgangslage für den Bundesrat ungemütlich. Erst letzte Woche warb der Oberkommandierende der US-Streitkräfte – also Präsident Joe Biden – bei Bundespräsident Guy Parmelin in Genf persönlich für «seine» Jets. Politisch aber dürfte der Rafale – von Eurofighter und Super Hornet spricht kaum noch jemand – einfacher zu verkaufen sein.
Bereits wird spekuliert, dass der Bundesrat erst nächste Woche entscheiden wird, in der letzten Sitzung vor den Sommerferien. Und vielleicht wird es noch später, obwohl bei der Nachfolge des F/A-18 ein gewisser Zeitdruck besteht. Mit politischer Prokrastination aber kennt sich der Bundesrat (Stichwort Rahmenabkommen) mittlerweile aus.