Spekulieren über den Bundesrat ist eine beliebte Disziplin von Bundeshausjournalisten. Letzte Woche ging die Post wieder ab. Anlass war das jüngste SRG-Wahlbarometer, in dem die Grünen mit einem Anteil von 10,6 Prozent erstmals vor der CVP lagen, die noch auf 10,2 Prozent kam.
Nun war kein Halten mehr. In diversen Medien kam es zu Mutmassungen über die Zukunft der erst letztes Jahr gewählten CVP-Bundesrätin Viola Amherd. «Bereits stellen scharfsinnige Rechner den Bundesratssitz der CVP infrage», behauptete die «NZZ am Sonntag».
In einem Kommentar in den CH-Media-Zeitungen heisst es: «Grünen-Chefin Regula Rytz träumt von einem Bundesratssitz auf Kosten der CVP.» Offen ausgesprochen hat Rytz dies noch nie. Sie bemüht sich vielmehr, den Ball in Sachen Bundesrat flach zu halten.
Nimmt man einige – nicht alle! – Berichte zum Nennwert, ist es praktisch unvermeidlich: Die CVP muss 16 Jahre nach der Abwahl von Ruth Metzler um ihren einzigen verbliebenen Sitz in der Landesregierung bangen. Der schrumpfende Wähleranteil zwinge die Grünen, womöglich im Verbund mit den Grünliberalen, geradezu zum Angriff auf die Christdemokraten.
Dennoch müssen CVP-Präsident Gerhard Pfister und Bundesrätin Viola Amherd keine schlaflosen Nächte befürchten. Selbst wenn die Partei unter die «toxische» Marke von 10 Prozent fallen sollte, wird es den Öko-Parteien nicht im Traum einfallen, den CVP-Sitz ins Visier zu nehmen. Dagegen sprechen drei handfeste Gründe:
Es ist paradox: Die CVP befindet sich beim Wähleranteil seit Jahren im Sinkflug. Im Ständerat aber ist sie die stärkste Partei, seit der St. Galler Regierungsrat Beni Würth im Frühjahr der FDP den bislang von Karin Keller-Sutter gehaltenen Sitz abnehmen konnte. Mit 14 Sitzen liegt die CVP vor FDP und SP mit je 12. Die SVP als wählerstärkste Partei folgt abgeschlagen mit 5 Sitzen.
Der Ständerat ist nicht einfach das «Stöckli». Er hat in der auslaufenden Legislatur wichtige Akzente gesetzt, weil der Nationalrat häufig blockiert war. Und die Chancen sind intakt, dass die CVP nach dem 20. Oktober die stärkste Kraft bleiben wird. In Luzern und im Wallis muss sie bisherige Sitze gegen starke Konkurrenz verteidigen, dafür sind Zugewinne im Aargau und in Schwyz möglich.
Der CH-Media-Kommentar bezeichnet Viola Amherd als «Polit-Entdeckung des Jahres». Vollkommen zu Recht. Als Nationalrätin war die Walliserin einflussreich, aber eher unscheinbar. Seit ihrer Wahl in den Bundesrat und der Übernahme des eigentlich ungeliebten VBS blüht sie regelrecht auf und bringt viel frischen Wind in das jahrelang von der SVP verwaltete Verteidigungsdepartement.
Die 2003 abgewählte Ruth Metzler hingegen wirkte im Bundesrat permanent überfordert. Gross nachgetrauert hat ihr kaum jemand. Sie musste ihren Sitz an Christoph Blocher abtreten. Die Grünen mit ihrem feministischen Anspruch hingegen werden sich hüten, eine kompetente und im Volk beliebte Frau anzugreifen. Es wäre fast schon ein Verstoss gegen Treu und Glauben.
Der dritte Grund gegen eine grüne Attacke ist zugleich der zentrale: Die CVP ist die wichtigste Partnerin von Rotgrün im bürgerlichen Lager. Eine Mitte-links-Allianz hat die Energiestrategie 2050 und die gescheiterte Altersvorsorge 2020 aufgegleist. Die CVP trug beide Vorlagen loyal mit, obwohl ihr rechtsbürgerlicher Präsident die eine oder andere Kröte schlucken musste.
Für eine wirksame Umwelt- und Klimapolitik, die den Grünen am Herzen liegt, ist die CVP die einzige verlässliche bürgerliche Bundesratspartei. Die FDP bleibt nach ihrer «Klimawende» eine unsichere Kantonistin, und die SVP hat sich als seriöser Player abgemeldet. Die Grünen brauchen deshalb die CVP mehr als umgekehrt – auch im Bundesrat.
Regula Rytz weiss das genau, deshalb werden mögliche Bundesrats-Ambitionen der Grünen auf einen der beiden FDP-Sitze zielen und nicht auf den einzigen der CVP. So sehen es auch Politikforscher wie Michael Hermann, der mit seiner Firma Sotomo das Wahlbarometer erstellt hat. Zusammen mit den Grünliberalen würden die Grünen demnach sogar die FDP überholen.
Wenn man eine Prognose wagen will, darf man jedoch davon ausgehen, dass bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrats am 10. Dezember alles so bleiben wird wie bisher, selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Grüne und GLP sich verbünden. Die Bürgerlichen werden ihren Besitzstand verteidigen. Auch die SP musste Jahrzehnte warten, bis sie in den Bundesrat einziehen durfte.