Es war der eine Moment, der einiges darüber aussagte, wer im Bundesrat den Ton angibt. Als ein Journalist an der Medienkonferenz vom letzten Freitag zum Rahmenabkommen fragte, ob die EU die bis Ende Juni befristete Anerkennung der Schweizer Börsenregulierung verlängern werde, drückte sich Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) um eine klare Antwort herum.
Worauf seine Parteikollegin Karin Keller-Sutter intervenierte und Klartext sprach: «Der Bundesrat erwartet schon, dass die Börsenäquivalenz jetzt verlängert wird.» Die Justizministerin bezog sich dabei nicht nur auf die grundsätzliche Zustimmung zum Rahmenvertrag, sondern auch auf die europapolitisch wichtigen Abstimmungen vom 19. Mai zur AHV-Steuervorlage und zum Waffenrecht.
Keller-Sutter konnte dabei den ersten Erfolg in einer Volksabstimmung seit ihrer Wahl in den Bundesrat im letzten Dezember feiern. Nicht nur aus diesem Grund kann man der 55-Jährigen einen gelungenen Start attestieren. Wie ihre am gleichen Tag gewählte CVP-Kollegin Viola Amherd hat sie in den ersten fünf Monaten im Amt schon deutliche Spuren hinterlassen.
Die Wahl der beiden Frauen verlief ungewöhnlich reibungslos. Der Sprung in die Landesregierung gelang ihnen gleich im ersten Wahlgang mit einem starken Ergebnis. Umso herber war der Dämpfer bei der Departementsverteilung. Sie mussten mit Justiz und Polizei (Keller-Sutter) sowie Verteidigung (Amherd) und damit den beiden wohl unbeliebtesten Ressorts Vorlieb nehmen.
Bei der anschliessenden Medienkonferenz glänzten die beiden Frauen durch Abwesenheit – ein deutliches Indiz für ihre Enttäuschung. Umso mehr scheinen sie seither gewillt, es allen zu zeigen. Eine erste Bilanz fällt bei Amherd und Keller-Sutter ausgesprochen positiv aus. «Gestaltungswillen» ist ein Ausdruck, der im Zusammenhang mit ihnen im Bundeshaus verwendet wird.
Nach drei Monaten im Amt lud die Ostschweizerin die Medien Ende März an den Bodensee. «Ich glaube, ich bin im Bundesrat angekommen», bilanzierte sie an Bord der MS «Säntis» im Hafen von Romanshorn. Das war eine ziemliche Untertreibung. Karin Keller-Sutter fühlt sich offensichtlich wohl im vermeintlich ungeliebten Departement. «Die Arbeit im EJPD gefällt mir sehr gut», sagte sie.
Die Bundesrätin hat erkannt, dass das EJPD ein Querschnittsdepartement ist, das über die Justiz auf praktisch alle Politiksegmente Einfluss nimmt. Und den will sie nutzen. Dabei hilft ihr die Tatsache, dass bei den Reizthemen Asyl- und Migrationspolitik wenig los ist. Umso mehr will sie in anderen Bereichen Pflöcke einschlagen, vor allem in der Europapolitik.
Zur «Chefinnensache» hat Keller-Sutter die Begrenzungsinitiative der SVP gemacht. Sie bezeichnet diese als «Schweizer Brexit» und will ihn nicht nur mit Worten bekämpfen, sondern auch mit Taten. Dazu gehört das im letzten Monat vorgestellte Massnahmenpaket zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, das auch eine Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose vorsieht.
Dabei sprach die Justizministerin erfrischend ungeniert Dinge aus, die man aus dem Bundesrat schon lange gerne gehört hätte. «Die Personenfreizügigkeit hat nicht nur Vorteile», sagte sie. Und mit dem Satz «Die Fachkräfte-Initiative hat wenig Konturen angenommen» übte sie gar ziemlich unverblümte Kritik an Ex-Wirtschaftsminister und Parteikollege Johann Schneider-Ammann.
Diese Art des Klartexts wie auch jene im oben geschilderten Fall zeigt, dass Karin Keller-Sutter vor nichts und niemandem Rücksicht nimmt. Und dass sie bereit ist, anzuecken. Mit dem geplanten Sozialausbau sorgt sie im (rechts-)bürgerlichen Lager für Stirnrunzeln. Umgekehrt ist absehbar, dass sie in Asyl- und Ausländerfragen Linke und Grüne vor den Kopf stossen wird.
Das ist aus ihrer Sicht nur konsequent. Keller-Sutter ist nicht Bundesrätin geworden, um als brave Mitläuferin zu agieren. Sie hat einen klaren Führungsanspruch. Das erstaunt nicht, wenn man ihre bisherige Karriere verfolgt hat. Schon als St.Galler Regierungsrätin von 2000 bis 2012 zeigte sie einen ausgesprochenen Willen zur Macht. Auch im Ständerat sass sie nicht auf der Hinterbank.
Nach aussen zeigte sich die CVP zufrieden. Intern aber machte man die Faust im Sack. Ihr einziges Bundesratsmitglied wurde ausgerechnet ins VBS «verbannt», wo man kaum Einfluss auf andere Departemente hat und sich mit einem machtbewussten Offizierskorps herumschlagen muss. Ein Departement auch, das regelmässig durch Skandale und Intrigen erschüttert wird.
Bundesrätin Amherd verschwieg nicht, dass sie lieber ein anderes Amt übernommen hätte, etwa das EJPD. Ihre Ausgangslage war schwieriger als jene von Keller-Sutter. Während die St.Gallerin eine Domäne übernahm, die ihr bereits als Regierungsrätin vertraut war, ist die Oberwalliserin nicht nur die erste Frau an der Spitze des VBS, sie hatte auch so gut wie keinen Bezug zur Armee.
Zu Beginn war von ihr wenig zu vernehmen. Damit hob sich die 57-Jährige ab von Vorgänger Guy Parmelin, der mit teils fragwürdigen «Schnellschüssen» versucht hatte, Entscheidungsfreude zu markieren. In den letzten Wochen hat sich dies geändert. Man darf behaupten, dass Amherd in ihren ersten fünf Monaten im VBS mehr bewegt hat als Parmelin zuvor in drei Jahren.
Das bisherige «Meisterstück» vollbrachte sie beim Grossprojekt «Air 2030». Die neue VBS-Chefin beauftragte den Astronauten und Ex-Militärpiloten Claude Nicollier mit einem Expertenbericht, um die verfahrene Lage zu deblockieren. Er empfahl, das Volk nur über neue Kampfjets abstimmen zu lassen und die Beschaffung von Flugabwehrraketen ins normale Armeebudget «auszulagern».
Der Bundesrat folgte der Empfehlung prompt. Ausserdem packte Viola Amherd einen Umbau der Bodentruppen an, um sie für die moderne Kriegsführung fit zu machen. Wie Karin Keller-Sutter scheut sie vor unbequemen Entscheiden nicht zurück. Auf ihren Vorschlag, die Gegengeschäfte für die Kampfjetbeschaffung auf 60 Prozent zu begrenzen, reagierte die Industrie mit Empörung.
Bei den Offizieren soll die erste Verteidigungsministerin gut ankommen, heisst es im Bundeshaus. Weitere Bewährungsproben stehen an, etwa die Ernennung eines neuen Armeechefs. Mit dem ungeliebten Amt aber scheint sich Viola Amherd angefreundet zu haben: «Es wäre eigentlich schade, wenn ich nicht im VBS gelandet wäre», sagte sie im Interview mit der NZZ.
Ein knappes halbes Jahr erlaubt noch kein definitives Urteil. Beim Volk aber haben die beiden Neuen mit ihrem zupackenden Auftritt offenbar punkten können. In einer Tamedia-Umfrage erhielt Karin Keller-Sutter die Bestnote, vor Viola Amherd. Damit liessen sie alle Bisherigen hinter sich.
Die Frauen im Bundesrat wollen gestalten, nicht nur verwalten – das gilt auch für die neue UVEK-Chefin Simonetta Sommaruga – und heben sich damit ab von den männlichen Mitgliedern der Landesregierung. Oder wie eine CVP-Nationalrätin maliziös meint: «Statt zu streiken, sollten die Frauen sich dies als Beispiel nehmen.»
In meiner Welt gehört in solch eine Position ein Mensch der einen guten Job macht, da spielt das Geschlecht keine Rolle...
Nur Ueli der Knecht schaut wenigstens, dass die Finanzabschlüsse stimmen.