Stadtsaal Wil SG, irgendwann zu Beginn der 2000er. Die SVP Schweiz hatte zur Delegiertenversammlung geladen. Brisante Geschäfte waren nicht traktandiert, der Anlass plätscherte dahin, der Geräuschpegel im Saal war hoch. Dann trat ER ans Rednerpult – und von einer Sekunde auf die andere war es totenstill. Kein Räuspern war zu hören.
Für mich als Beobachter an der Seitenlinie war es ein unvergessliches Erlebnis, faszinierend und erschreckend zugleich. Es verdeutlichte, wie sehr Christoph Blocher die SVP beherrschte, sie im wahrsten Sinn in seinen Bann zu schlagen vermochte. Der Parteipräsident hiess Ueli Maurer, aber der wahre Chef, ihr Anführer war Blocher.
Es war die Zeit, in der die SVP von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilte und die Schweizer Politiklandschaft als disruptive Kraft umpflügte. In kurzer Zeit wurde sie vom Juniorpartner im Bundesrat zur stärksten Partei des Landes, auf Kosten von FDP und CVP. Die Medien empörten sich über ihre Entgleisungen und verhalfen ihr damit nur zu Gratiswerbung.
Der Baumeister dieses Erfolgs hiess Christoph Blocher. Seit seiner Wahl in den Nationalrat 1979 war der Pfarrerssohn vom Rheinfall als «konservativer Revolutionär» – so der Titel der Biographie von Markus Somm – bestrebt, die Schweiz in seinem Sinne umzugestalten. In ein Land, das wirtschaftlich global vernetzt ist, sich politisch aber aus allem raushält.
Blochers Schweiz basiert auf traditionellen Institutionen wie Familie, Bauernstand und Armee. National bekannt wurde er nicht mit der Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992, sondern bereits 1985 als – erfolgloser – Kämpfer gegen ein modernes Eherecht. Was mehr über sein Weltbild aussagt als alle Wortmeldungen zur Ausländer- und Europapolitik.
Der grosse Durchbruch kam mit dem EWR-Nein. Der Instinktpolitiker Blocher erkannte, dass es ein beträchtliches Segment in der Bevölkerung gab, das für seine rückwärtsgewandte Botschaft empfänglich war und sich politisch vernachlässigt fühlte. Mit seiner Urgewalt malträtierte er FDP und CVP, während er den rechten Rand marginalisierte oder absorbierte.
Der Erfolg war durchschlagend, bis zu seiner Wahl in den Bundesrat 2003. Und nun das. Der gleiche Blocher, der gerne gegen den gefrässigen Staat wettert, fordert seine Bundesratsrente ein, rückwirkend. Der Anspruch mag berechtigt sein, und es stimmt auch, dass er nie explizit darauf verzichtet hat. Blocher war schon immer ein Meister der verbalen Zweideutigkeit.
In der «SonntagsZeitung» bezeichnete er den Nichtbezug der Rente als «Geschenk an den Staat». Die SVP macht gute Miene zum bösen Spiel. In der Sommersession bekämpfte sie vehement die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose und drohte mit dem Referendum (das sie nicht ergreift). Nun fordert ausgerechnet ihr «Übervater» eine Staatspension.
Im Abstimmungskampf über die Begrenzungs-Initiative leistet Christoph Blocher seiner Partei einen Bärendienst. Er wirft ihr nicht einen Knüppel zwischen die Beine, sondern einen ganzen Baumstamm mitsamt den Ästen. Der Politgeograf Michael Hermann mutmasst in den Tamedia-Zeitungen, dass Blocher «offenbar selbst nicht mehr an die Initiative glaubt».
Das mag sein, aber das Problem reicht tiefer. Christoph Blocher versteht die heutige Welt nicht mehr. Diese entfernt sich immer weiter von seinem Idealbild. Blocher, der sich einst regelrecht rühmte, keinen Fernseher zu besitzen, mag inzwischen ein iPhone haben. Eine Jugend aber, die sich im WhatsApp-Chat zur Klimademo verabredet, ist ihm fremd.
Seit seinem Rücktritt aus dem Nationalrat 2014 ist er in der Öffentlichkeit immer seltener präsent. Die SVP-Gefolgschaft begeistert er nach wie vor, etwa letztes Jahr am Parteifest vor den Wahlen in Sattel SZ. Aber für junge Menschen wirkt er wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, ein politischer Mythos, der ihnen nichts zu sagen hat.
In seiner Partei hat er offiziell kein Amt mehr, aber nach wie vor ist Blocher der Fixstern, um den sich alles dreht. Damit wird er für die SVP zunehmend zur Hypothek, nicht nur wegen der Rentenfrage. Das zeigte sich in der Wintersession 2019, als Blocher laut «Weltwoche» eine «Manöverkritik» zur Niederlage bei den Wahlen im Oktober durchführte.
Getreu seinem protestantischen Ethos ortete er die Ursache nicht in der nachteiligen Themenkonjunktur, sondern bei faulen Sektionen, denen die Parteiführung Beine machen müsse. Worauf Präsident Albert Rösti entnervt das Handtuch warf. Damit erwischte er die SVP auf dem falschen Fuss. Die Nachfolgesuche verkommt zur Peinlichkeit.
Eine handfeste Führungskrise, eine Initiative mit schlechten Aussichten, keine Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart – die SVP findet nicht aus ihrem Tief. Noch wagt es kaum jemand, öffentlich den Mann zu kritisieren, dem die Partei alles zu verdanken hat. Aber intern wächst der Unmut über Blochers zunehmend erratisches Verhalten.
Für Michael Hermann scheint es so, als ob Christoph Blocher «auch seine Mission einer konservativen Erneuerung der Schweiz aufgegeben» habe. Das ist schwer vorstellbar, aber sein stures Beharren auf der Bundesratsrente dürfte manche seiner Fans, die ihm einst andächtig zuhörten und die ihn nach wie vor bejubeln, ins Grübeln bringen.
Im Oktober wird Blocher 80 Jahre alt. Von der Politik lassen wird er kaum. Er vergleicht sich mit Winston Churchill oder Konrad Adenauer, der erst mit 87 als deutscher Bundeskanzler zurücktrat, und das erst noch unfreiwillig. Christoph Blocher hat kein Amt zu verlieren, aber sein einst so untrüglicher Instinkt scheint ihn zunehmend im Stich zu lassen.
Blocher hat die Schweizer Politik in den letzten 30 Jahren wie kein anderer geprägt. Nun muss er aufpassen, dass er nicht zur tragischen Figur wird.
Und wenn ich mir das Personal dieser Partei so betrachte, so scheint die SVP hauptsächlich aus Hypotheken zu bestehen.
Die nächste Stufe wäre dann, wenn aus Hypotheken Ramsch-Kredite werden. Das wollen wir nicht hoffen.
Für alle die ihn noch immer mögen empfehle ich sich einmal zu informieren wie er zur EMS Chemie gekommen ist, das sagt eigentlich schon alles.