Der Bundesrat will für viele unheilbar kranke Schweizer eine weitere Option schaffen. Neben den herkömmlichen Schmerzmitteln soll nun auch der Zugang zu Medizinalcannabis erleichtert werden. Damit sollen zum Beispiel die Symptome der Krankheit Multiple Sklerose gelindert werden können.
Ausserdem will der Bundesrat dem Betäubungsmittelgesetz einen Experimentierartikel beifügen. Dieser soll es den Schweizer Städten erlauben, in kontrollierten Versuchen festzustellen, welche Auswirkungen die Legalisierung der Droge Cannabis auf die Bevölkerung hat.
Doch was bedeutet dieser Entscheid für die tatsächliche Legalisierung? Und was halten die Pharmakonzerne davon? Die Antworten auf die fünf drängendsten Fragen findest du hier:
Der Zugang zu medizinischem Cannabis ist in der Schweiz sehr stark reglementiert. So muss der Patient einen Arzt auftreiben, der bereit ist, für die Folgen der Therapie die Verantwortung zu tragen.
Dieser Arzt muss alle sechs Monate eine Sonderbewilligung beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) beantragen und bei Abschluss der Therapie einen Bericht schreiben. Diese Praxis verzögert den Behandlungsstart und führt dazu, dass Schmerzleidende oft monatelang auf ihre Zulassung warten.
Mit dem neuen Gesetz soll der Zugang zu Cannabis erleichtert werden. Dazu soll Medizinalcannabis legal in Umlauf gebracht werden können. Dies würde neben den Ärzten auch die Produzenten von medizinischem Cannabis entlasten.
Doch der Bundesrat will noch weiter gehen und prüft, ob Patienten den Bezug von Cannabis-Medikamenten in Zukunft sogar von ihrer Krankenkasse rückvergütet bekommen sollen.
Beim Branchen-Verein Santé Suisse ist man dem Medizinalcannabis grundsätzlich nicht abgeneigt. «Es muss aber erst der Beweis erbracht werden, dass Cannabis-Produkte sowohl nützlicher, wirtschaftlicher und zweckmässiger sind, als herkömmliche Medikamente», sagt Sprecher Christophe Kämpf.
In einer zweiten Massnahme will der Bundesrat Pilotprojekte in mehreren Schweizer Städten ermöglichen. Erst im November hatte das BAG ein Gesuch der Universität Bern für die Durchführung eines solchen Projektes abgelehnt. Der Grund: Es fehle ein gesetzlicher Rahmen.
Mit dem Experimentierartikel sollen solche Versuche in Zukunft ermöglicht werden. Die Studienautoren wollen mit ihren Untersuchungen klären, wie sich eine Legalisierung der Droge auf die Bevölkerung auswirken würde.
Dass in Schweizer Städten in Zukunft solche Pilotversuche durchgeführt werden können, hat sich grundsätzlich schon länger angebahnt. Überraschend ist jedoch, dass der Bundesrat die Gesetzgebung zum Medizinalcannabis ändern will.
Weltweit gibt es zahlreiche Länder, in denen Cannabis theoretisch für den medizinischen Gebrauch legal wäre. Doch oft sind die rechtlichen Hürden für die Produktion und den Erwerb hoch – so auch in der Schweiz.
Mit dem Entscheid, den Zugang zu medizinischem Hanf zu vereinfachen, schliesst sich die Schweiz einem weltweiten Trend an. In Deutschland ist Cannabis aus staatlichem Anbau seit 2017 für medizinische Zwecke nutzbar, Frankreich hingegen tut sich immer noch sehr schwer damit.
Die Lockerung der Gesetzgebung hilft besonders auch den Betroffenen. «Cannabis lindert Schmerzen und Spastik, beides häufige MS-Symptome, die den Alltag von Betroffenen beträchtlich einschränken können», sagt Regula Muralt, Leiterin Kommunikation und Fundraising der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft.
Das grösste Problem sei bisher gewesen, dass die Mittel oft eine Sondergenehmigung durch das BAG benötigten, sehr teuer waren und nicht immer von den Krankenkassen übernommen wurden. Deshalb begrüsst Muralt die Intention des Bundesrates: «Betroffene sollten Zugang zu allen Behandlungsmöglichkeiten erhalten.»
Die Lockerung des Gesetzes stellt die Pharmaindustrie gleich vor zwei Probleme. Einerseits ist es schwierig, Cannabis-Produkte zu patentieren. «Wirkstoffe kann man patentieren, aber nicht unbedingt eine Pflanze», sagte Markus Jann, Leiter der Sektion Drogen vom BAG in einer DOK-Sendung des SRF von 2017.
Zweitens können Pharmaunternehmen ebenfalls von anderer Seite in Bedrängnis geraten, so Jann: «Es kann auch sein, dass die Pharmaindustrie schlicht die Konkurrenz fürchtet für eigene Medikamente.»
watson hat sich bei den Pharmaunternehmen erkundigt: «Wir sind gegenüber neuen Medikamenten, die wissenschaftlich fundiert sind, positiv eingestellt», sagt Marcel Plattner, Präsident der Vereinigung der Pharmafirmen in der Schweiz (VIPS). Es gebe in der Schweizer Pharmabranche bereits viele Interessenten für medizinische Cannabis-Produkte.
Dass die Pharmaindustrie absichtlich versuche, eine Legalisierung zu verhindern, kann sich Plattner nicht vorstellen. Im Gegenteil: «Neue Therapien, die von Patienten nachgefragt werden, sind immer auch eine Chance für Unternehmen sich zu positionieren.»
Gesicherte Zahlen, ob eine Cannabis-Legalisierung der Pharmaindustrie schadet, gibt es nicht. Doch das Beispiel der Legalisierung in vielen US-Bundesstaaten zeigt, dass viele grosse Pharmaunternehmen erfolgreich in das Cannabis-Business eingestiegen sind und damit von einer Legalisierung profitieren.
Stösst der Experimentierartikel auf keinen Widerstand, könnten die ersten Pilotversuche in etwa zwei Jahren starten. «Mit unserer Studie wollen wir für die Regulierungs-Debatte eine fundierte Grundlage schaffen», sagte Sven Trelle, Studienverantwortlicher der Universität Bern, im März zu watson. Die Ergebnisse der Studie dürften für die Legalisierung von Cannabis einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben.
Sind die Resultate positiv, dürfte dies der Legalisierung immensen Aufschwung geben. Fallen die Resultate jedoch negativ aus, könnte sich der schlechte Ruf der Droge in weiten Bevölkerungsschichten halten oder sogar noch verschlimmern. Dann würde eine Legalisierung wieder in weite Ferne rücken.
So oder so nimmt der Verein «Legalize It» die Mitteilung des Bundesrates mit Wohlwollen auf: «Der Bundesrat deutet damit an, dass auch er die jetzige Situation als verbesserungswürdig taxiert und darum neue wissenschaftliche Daten fordert», sagt Mediensprecher Nino Forrer.
Doch auch eine Lockerung im medizinischen Bereich könnte einer allgemeinen Legalisierung helfen. Die weitere Normalisierung des Betäubungsmittel Cannabis, wie sie bereits durch den CBD-Boom eingesetzt hat, könnte ebenfalls positive Effekte auf das Image haben.
Die Mitteilung des Bundesrates von Mittwoch ist zwar der Startschuss, jedoch ist noch keines der Gesetze unter Dach und Fach. Der Pilotversuchsartikel befindet sich seit Mittwoch in der Vernehmlassung. Das Vernehmlassungsverfahren für die Lockerung von medizinischem Gebrauch wird frühestens Ende 2019 starten.
Gut möglich, dass jemand gegen die Gesetzesänderungen das Referendum ergreift. Über die konkreten Akteure wird derweil noch gerätselt. Kritische Stimmen gibt es aber durchaus. SVP-Nationalrat Sebastian Frehner hat die Befürchtung, dass mit der Gesetzesänderung eine schleichende Legalisierung durchgeführt werde: «Es wäre unlauter, wenn man die konkrete Legalisierungsfrage am Volk vorbei schummeln wollte.»
Gegen eine vereinfachte Abgabe zu rein medizinischen Zwecken hat aber auch Frehner nichts. «Wenn man dadurch eine unnötige Schranke aufheben kann, bin ich selbstverständlich auch dafür», so Frehner zu watson.
Auch beim Verein «Legalize It» geht man davon aus, dass man auf Widerstand stossen wird. «Interessant wird es in der Herbstsession, wenn im Nationalrat die Behandlung der vier identischen Motionen zum Experimentierartikel ansteht. Wir sind gespannt, wie der Nationalrat da abstimmen wird», sagt Forrer.
Nicht anders als die letzten Jahrzehnte, mit der Ausnahme das zehntausende Schweizer entkriminalisiert werden, Jugendschutz betrieben werden kann, der Schwarzmarkt stark abnimmt und die Polizei sich um wichtige Sachen kümmern kann.