Seit Wochen blockieren Klimaaktivisten Verkehrswege in der Schweiz. Sie nerven die Autofahrer, stossen aber auch auf Verständnis. Denn Renovate Switzerland propagiert eine «Generalmobilmachung für die thermische Gebäudesanierung». Weil es an Fachkräften mangelt, sollen in einem ersten Schritt 100’000 Personen ausgebildet werden.
So weit, so vernünftig – möchte man meinen. Schlecht isolierte Liegenschaften tragen erheblich zur Klimaerwärmung bei. Die Aktionen der Gruppierung, deren Mitglieder sich mit Leim auf der Strasse festkleben, können auch in den Medien auf Sympathien zählen. Obwohl man sich fragen kann, ob ihre Form des Protests wirklich «gewaltfrei» ist.
Das eigentliche Problem aber ist, dass sich Renovate Switzerland auf dem Holzweg befindet. Es wird Jahre dauern, bis thermische Sanierungen wirksam sind, vor allem wenn das nötige Personal erst gefunden und geschult werden muss. Eine andere, von der Politik im Grundsatz beschlossene Massnahme im Gebäudebereich wirkt hingegen sehr rasch.
Es ist schlicht falsch, dass «von Seiten der gewählten Volksvertreter nichts unternommen wird», wie es in den Medienmitteilungen von Renovate Switzerland heisst. Man fragt sich in solchen Fällen, in welcher Bubble sich diese Leute bewegen. Denn die Politik ist erwacht. In der Herbstsession im September hat das Parlament wichtige Vorlagen verabschiedet.
Dazu gehört neben dem beschleunigten Bau alpiner Solaranlagen der Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Er sieht vor, innerhalb von zehn Jahren insgesamt zwei Milliarden Franken für den Ersatz von Öl- und Gasheizungen bereitzustellen. Damit lassen sich die Treibhausgasemissionen viel schneller und effizienter reduzieren als mit der Sanierung von Häusern.
Das überzeugt selbst die Urheber der Gletscher-Initiative. Sie haben ihr Volksbegehren unter Vorbehalt zurückgezogen. Denn die SVP bekämpft den Gegenvorschlag mit dem Referendum. Dank ihrer Mobilisierungskraft dürfte es problemlos zustande kommen. Die Volksabstimmung würde sehr wahrscheinlich am 18. Juni 2023 stattfinden.
Die Erfolgschancen der Vorlage sind intakt, denn Subventionen stossen beim Stimmvolk in der Regel auf weniger Vorbehalte als Abgaben, wie sie im gescheiterten CO₂-Gesetz vorgesehen waren. Ein Spaziergang dürfte die Abstimmung dennoch nicht werden. Umso wichtiger wäre es, sie nicht mit fragwürdigen Aktionen zu gefährden.
Ein Wundermittel ist der Heizungsersatz nicht. Auch in diesem Bereich fehlt es an Fachkräften. Und man kann der Politik vorwerfen, dass sie zu lange untätig geblieben ist und erst unter dem Eindruck eines brutalen Kriegs und einer drohenden Energieknappheit gehandelt hat. Aber jetzt tut sich etwas – anders, als Renovate Switzerland behauptet.
Es irritiert, dass die vorwiegend in der Westschweiz verwurzelte Bewegung diesen Aspekt ausblendet. Und sich dermassen auf Gebäudesanierungen versteift. Beeinflusst wurde sie wohl von der Kampagne Insulate Britain. Der Ablauf der Protestaktionen und selbst das Logo deuten darauf hin. Doch man kann die beiden Länder nicht vergleichen.
Die britischen Reihenhäuschen sind in der Tat oft miserabel isoliert und veritable «Energiefresser». In der Schweiz hingegen ist die Substanz selbst von Altbauten meist viel solider. Und Neubauten ohne Minergie-Standard sind kaum noch denkbar. Umso wirksamer wäre es, Gas- und Ölheizungen rasch etwa durch Wärmepumpen zu ersetzen.
Renovate Switzerland klagt, man habe vom Bundesrat bislang keine Antwort erhalten. Das ist bedauerlich, denn der Bund könnte den Aktivisten diese Zusammenhänge aufzeigen. Wenn man nur noch zwei oder drei Jahre Zeit hat, um eine Katastrophe zu verhindern, wie sie behaupten, sollte man vielleicht auf Massnahmen setzen, die rasch etwas bewirken.
Und sonst haben die Aktivisten immer noch die Möglichkeit, sich selbst zu Baufachleuten umschulen zu lassen. Sie könnten beweisen, dass es ihnen ernst ist mit ihrer Forderung. Wenn sie aber lieber den «bequemen» Weg wählen und sich auf der Strasse festkleben, setzen sie sich neben Ignoranz einem weiteren Vorwurf aus: dem der Doppelmoral.
Ausser vielleicht dass diese Aktionen eher an kreativlose Selbstdarstellerei als an ernstgemeinten Protest erinnern.
Die Grünen täten gut daran, sich von diesen "Helden" zu distanzieren.