Gerade jetzt ist das Social-Tracing zentral: Doch die Kantone kriegen schlechte Noten
Seit diesem Freitag befindet sich die Schweiz nicht mehr in der «ausserordentlichen Lage». Der Schritt zurück in eine neue Normalität steht kurz bevor. Doch die Covid-19-Infektionszahlen steigen seit einigen Tagen wieder an. Auch die Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele weitere Menschen eine infizierte Person ansteckt, ist wieder auf über eins geklettert.
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Um eine zweite Welle in der Schweiz zu verhindern, müssen die Ansteckungsketten minutiös verfolgt werden. Ein Meilenstein setzt das Schweizer Parlament am Freitag mit der Genehmigung der dringlichen Änderung des Epidemigesetzes, die die gesetzliche Grundlage für die SwissCovid-App bildet. Doch die App alleine reicht nicht. Gesundheitsminister Alain Berset sagte es selbst: «Keine App kann das Social Tracing der Kantone ersetzen.»
Seit die Corona-Fallzahlen Anfang April wieder zu sinken begannen, haben die Kantone das Social Tracing wieder aufgenommen. Per Telefon weisen Kantonsärzte die Infizierten an, sich in Isolation zu begeben.
Nun wird das wichtigste Instrument im Kampf gegen das Coronavirus noch zentraler. Denn der Bundesrat hat am Freitag weitere Lockerungen in Aussicht gestellt. Die Polizeistunde wird aufgehoben, Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen sind wieder möglich und der Pflichtabstand wird von zwei auf 1,5 Meter reduziert.
Doch es scheint noch immer nicht alles reibungslos zu funktionieren. Seit fast zwei Monaten herrscht bei den Kantonen punkto Social Tracing Wildwuchs. Während es in einigen Kantonen noch immer an Tracing-Kapazitäten mangelt, funktioniert der Informationsaustausch mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) nur spärlich. Niemand weiss, wie effektiv das Social Tracing in den Kantonen tatsächlich ist.
Die Situation ist so unübersichtlich, dass sogar Matthias Egger, Präsident der nationalen Covid-19-Task-Force, öffentlich Kritik übt. Die Menge und Art der Daten sei mangelhaft, sagt er gegenüber der NZZ. Auch die Geschwindigkeit, mit denen die Kantone das Bundesamt für Gesundheit (BAG) informieren, sei ungenügend. Egger fordert eine zentrale Datenbank beim BAG, bei der die Infektionszahlen in Echtzeit eingespeist werden.
Dem widerspricht der Kanton Basel-Stadt. Eine zentrale Meldestelle sei nicht nötig, «der Informationsaustausch zwischen den Kantonen funktioniert nach unserer Erfahrung sehr gut», heisst es beim Gesundheitsdepartement auf Anfrage. Beim Kanton Zürich klingt es ähnlich: «Der Kontakt zu den anderen Kantonen findet regelmässig statt.» Das BAG erhalte alle Labormeldungen parallel zu den Kantonen, heisst es von der Zürcher Gesundheitsdirektion.
Unabhängig davon, wie die Kantone die Lage einschätzen: Solange der Task-Force-Leiter des Bundesamt für Gesundheit moniert, er wisse nicht, wie gut das Social Tracing in den Kantonen laufe, haben wir ein Problem. Der Informationsaustausch zwischen Bund und Kantonen muss reibungslos und vor allem schnell funktionieren. Nur so können Ansteckungsherde entdeckt und Konsequenzen gezogen werden. Je langsamer der Kommunikationsfluss, desto schneller schlittert die Schweiz auf eine zweite Welle zu.
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Coronakrise: Entwicklung in der Schweiz
Behörden werden aktiv: Im Januar reagieren die Schweizer behörden, sie erlassen unter anderem eine Meldepflicht für Verdachtsfälle.
Erster positiver Fall in der Schweiz: Am 25. Februar wird ein Tessiner positiv getestet.
Besondere Lage: Am 28. Februar 2020 ruft der Bundesrat die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz aus.
Ausserordentliche Lage: Am 16. März 2020 ruft der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» aus.
Erste Lockerung: Ein Grossteil der Notmassnahmen wurden am 11. Mai 2020 wieder aufgehoben.
Zweite Lockerung: Ab 6. Juni werden weitere Massnahmen gelockert. Per 19. Juni soll wieder die besondere Lage gelten.