Der Bericht wurde am Mittwochabend publiziert. Und er hat es in sich. Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) hat den Vollzug der flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit untersucht. Und festgestellt, dass ausländische Firmen im Vergleich zum Risiko, das sie «für den Arbeitsmarkt darstellen», zu häufig kontrolliert würden.
Damit stach die EFK in ein Wespennest. Denn die flankierenden Massnahmen gelten in der Schweiz als sakrosankt. Sie wurden 2004 eingeführt, damit die Linke und vor allem die Gewerkschaften den freien Personenverkehr mit der EU akzeptierten. Mit den FlaM soll verhindert werden, dass ausländische Unternehmen Lohndumping betreiben.
Damit verbunden sind Kontrollen, ob die dank der Personenfreizügigkeit in der Schweiz tätigen Firmen die hiesigen Lohn- und Arbeitsbedingungen einhalten. Nach Ansicht der Finanzkontrolleure des Bundes aber ist das Kontrollniveau zu hoch. Ausserdem seien manche Firmen «ohne ersichtlichen Grund» mehrfach kontrolliert worden.
Das liege einerseits an einem ungenügenden Austausch der Kontrolldaten und -ergebnisse, heisst es im EFK-Bericht. Offenbar wird auch in diesem Bereich teilweise noch mit Papier und Faxgeräten gearbeitet. Teilweise würden Unternehmen aber auch überprüft, um «eine gewisse Kontrollquote» zu erfüllen, sagte EFK-Prüfexpertin Eveline Hügli zu Radio SRF.
Die Reaktionen waren heftig. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) betonte, der Lohnunterschied gegenüber dem Ausland sowie «die hohe Verstossquote» rechtfertigten den aktuellen Kontrollanteil der meldepflichtigen Dienstleistungserbringer. Man werde die Empfehlung der EFK, die Kontrollen zu reduzieren, «nicht umsetzen», folgerte das Seco.
Auch die Sozialpartner kritisierten den Befund der Finanzkontrolle. Man könne ihre Empfehlung «nicht nachvollziehen und daher nicht unterstützen», schrieben Arbeitgeber- und Gewerbeverband sowie die Gewerkschaften in einer gemeinsamen Mitteilung. Das treffe besonders auf die Empfehlung zu, «die Kontrollen von Entsendebetrieben zu reduzieren».
Die Sozialpartner @arbeitgeber_ch @GewerkschaftSGB @gewerbeverband @TravailsuisseCH unterstützen die Empfehlungen der @EFK_CDF_SFAO nicht:https://t.co/m8UnD4vPwF
— Arbeitgeberverband (@arbeitgeber_ch) June 22, 2022
«Bei jeder fünften und in gewissen Branchen sogar bei jeder dritten Firma wird ein zu tiefer Lohn aufgedeckt», sagte Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), gegenüber SRF. Allerdings wird den Sozialpartnern, die an den Kontrollen beteiligt sind, vorgeworfen, sie würden auch eigene Interessen verfolgen.
Bei den Gewerkschaften betrifft dies finanzielle und auf Seiten der Wirtschaft – vor allem beim Gewerbe – protektionistische Motive. Trotz den FlaM ist die Schweiz für ausländische Anbieter attraktiv, sie verzeichnet viele Entsendungen. Dennoch ärgert sich die Europäische Union über die Massnahmen, vor allem über zwei Aspekte.
So müssen sich Firmen acht Tage vorher anmelden, wenn sie in der Schweiz arbeiten und Aufträge erledigen wollen. Ausserdem müssen sie eine Kaution entrichten, um zu verhindern, dass sie sich bei aufgedecktem Lohndumping aus dem Staub machen. In den Verhandlungen über das Rahmenabkommen kamen diese Punkte auf den Tisch.
Als Aussenminister Ignazio Cassis im Juni 2018 in einem Radiointerview Konzessionen andeutete, etwa eine Verkürzung der Anmeldefrist auf vier Tage, war Feuer im Dach. Die Gewerkschaften stiegen auf die Barrikaden und erklärten die FlaM für nicht verhandelbar. Der Widerstand trug dazu bei, dass der Bundesrat den Rahmenvertrag beerdigte.
Der Bilaterale Weg kann nur in die Zukunft geführt werden, wenn sich alle bewegen. Die FLAM sind gemäss EFK ineffizient, intransparent und teuer. Wir brauchen einen effizienten Lohnschutz, nicht einen Schutz des Kontrollsystems. #MehrEuropawagen https://t.co/cm25HpfbPL
— Tiana Angelina Moser (@tiana_moser) June 23, 2022
Dessen Befürworter sehen sich durch den kritischen Bericht der Finanzkontrolleure bestätigt. «Wir brauchen einen effizienten Lohnschutz, nicht einen Schutz des Kontrollsystems», hielt die Zürcher GLP-Nationalrätin und Aussenpolitikerin Tiana Angelina Moser auf Twitter fest. Offen für solche Debatten zeigt man sich auch im bürgerlichen Lager.
«Um das Lohnniveau zu schützen, braucht es einen Ausbau der flankierenden Massnahmen», sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister letzte Woche gegenüber SRF. Denkbar wären demnach etwa deutlich höhere Bussen bei Verstössen oder ein noch strengeres Kontrollregime auf Baustellen. Dies würde sich mit dem Befund der EFK «beissen».
Dennoch könnten sich neue Möglichkeiten eröffnen, denn auch in der EU werden die Bemühungen in Sachen Lohnschutz verstärkt. Anfang Jahr trat die neue Entsenderichtlinie in Kraft. Sie orientiert sich am Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» und hat somit die gleiche Stossrichtung wie die flankierenden Massnahmen in der Schweiz.
Anfang Juni einigten sich die EU-Staaten und das Europaparlament zudem auf einheitliche Standards für Mindestlöhne. Der Kompromiss wurde gegenüber den Plänen der EU-Kommission abgeschwächt. So darf die EU keine konkreten Lohnhöhen vorgeben, sondern nur Leitlinien erlassen, wie Mindestlöhne festgelegt, aktualisiert und durchgesetzt werden.
Kritik von rechts blieb dennoch nicht aus: Die EU greife beim Mindestlohn «weiter in ein Feld aus, das zurecht für die Nationalstaaten reserviert ist», monierte etwa die «FAZ». Diese Debatte dürfte auf die Schweiz ausstrahlen, denn in Gesprächen mit der EU über einen Neustart der Beziehungen wird der Lohnschutz unweigerlich wieder zum Thema werden.
Allerdings kritisiert die EFK ja andere Punkte der FLAM-Umsetzer: Ineffizienz der Abläufe, Seriosität der Kontrollen, und dem mangelnden Fokus auf gefährdete Brachnen. Und da, denke ich, ist die Kritik vlt durchaus angebracht. Das monieren die Gewerkschaften schon länger. Lustigerweise sind aber gerade diejenigen gegen Verstärkung der FLAM, die jeweils das Lohndping als Anti-EU Argument anführen.