Nein. Punkt. Schluss. Die Antwort des Bundespräsidenten Alain Berset auf die Frage, ob der Bundesrat am Mittwoch seine Neutralitätspolitik weiterentwickelt hat, fiel sec aus. Sehr sec sogar. Bundesratssprecher André Simonazzi fühlte sich genötigt, die Antwort des Bundespräsidenten noch etwas auszuführen. Die Medienkonferenz war eigentlich dem Tabakproduktegesetz gewidmet.
Was war denn derart Aussergewöhnliches geschehen? Der Bundesrat hatte an seiner Sitzung entschieden, das Ansinnen der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SIK) zu unterstützen, dass 25 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 ausser Dienst gestellt werden sollen. Der Nationalrat wird diesen Antrag seiner vorberatenden Kommission in der Sommer-Session beraten – im Rahmen der Armeebotschaft 2023. Verteidigungsministerin Viola Amherd hat sich von ihren Regierungskolleginnen und -kollegen das Plazet geholt, mit Verve dafür einzustehen.
«Das gibt uns Rückenwind», sagt FDP-Nationalrätin Maja Riniker im fernen Brasilien, wo sie mit einer Parlamentsdelegation unterwegs ist. Für sie kam die bundesrätliche Stellungnahme unerwartet. Umso erfreuter zeigte sich Riniker, deren Vater einst Kommandant eines Panzerbataillons war.
Sie verfolgt die Idee seit Januar, dass die «Leos», wie sie von Kennern liebevoll genannt werden, weiterverkauft werden können. Nämlich an Länder, die selbst Panzer an die Ukraine geliefert haben und deshalb Lücken im Arsenal aufweisen. «Wenn diese Länder ihre Bestände mit Schweizer Material auffüllen möchten, sollten wir dafür Hand bieten», sagte sie Anfang Jahr zur «NZZ am Sonntag».
Mit dieser ersten Idee lief die Aargauerin noch auf. Sie suchte nach einem anderen Weg, der Ukraine zumindest indirekt zu helfen. Im Frühling fand sie die Formel, die mehrheitsfähig sein könnte: Die Schweiz stellt die Panzer ausser Dienst und verkauft sie nicht an den deutschen Staat, sondern an die deutsche Herstellerfirma.
Das sei üblich, heisst es im Verteidigungsdepartement. Wird Armeematerial ausgemustert, werde es in der Regel dem Hersteller wieder angeboten. Dann könne dieser entscheiden, ob er das Material zurückwill, um es etwa als Ersatzteillager zu nutzen. Zudem hat Deutschland bereits garantiert, dass die Panzer nicht in die Ukraine geliefert werden, sondern in Deutschland oder bei Nato- und EU-Ländern bleiben werden, um Lücken in den eigenen Beständen zu füllen.
Bundesratssprecher André Simonazzi betonte an der Medienkonferenz, dass es eben nicht um die Wiederausfuhr von Waffen gehe, sondern um die Ausserdienstsetzung von Panzern. «Wir sind voll auf Linie», sagte Simonazzi. Und meinte dabei die Neutralitätspolitik. Bundespräsident Berset sagte dann doch noch vier Sätze, die ähnlich tönten: «Wir halten ruhig die Linie. Die kann sich auch weiterentwickeln. Dafür braucht es Entscheidungen am richtigen Ort. Und dieser kann auch einmal das Parlament sein.»
Berset und Simonazzi reagieren damit auch auf die Vorwürfe der SVP. Diese schrieb in einer Medienmitteilung von einem Ringtausch-Geschäft, das einen «Tabu-Bruch» darstelle. Die Schweiz liefere modernste, schwere Waffen an eine Kriegspartei. Damit werde die Schweizer Neutralität weiter untergraben. «Offenbar bringt die Mehrheit des Bundesrats nicht mehr das nötige Rückgrat für eine glaubwürdige Neutralitätspolitik auf», urteilt die Volkspartei.
Die SVP lehnt die Ausserdienststellung der Leopard 2 aber auch noch aus einem anderen Grund ab. Die Schweiz brauche diese Panzer für die Verteidigung. Aktuell hat die Schweizer Armee 96 Leopard 2 in ihrem Bestand. Sie sind allerdings stillgelegt, eingemottet in einer Halle in der Ostschweiz. Einmal im Jahr werden sie bewegt. Alt Bundesrat Ueli Maurer hätte sie gerne schon vor Jahren verkauft.
Die Schweizer Armee hat berechnet, dass sie von diesen 96 Panzern deren 71 für den Eigengebrauch benötigt. Denn der Armee fehlen derzeit tatsächlich Panzer. Deshalb wird nun geprüft, ob ein Teil der «Leos» wieder reaktiviert wird.
Dass die SVP den neutralitätspolitischen Tabu-Bruch wittert, ist klar. Und dass der Bundesrat nach unten temperiert ebenso. Doch welchen Stellenwert hat der Entscheid?
Im Departement von Verteidigungsministerin Viola Amherd wittert man Morgenluft. Amherd kämpft seit Monaten dafür, dass die Schweiz ihre restriktive Position bei der Wiederausfuhr von Waffen ändert und die Ukraine im Krieg gegen den russischen Aggressor stärker unterstützt. Immer wieder hat sie zu verstehen gegeben, dass das Ausland die Haltung der Schweiz nicht verstehe.
Insofern hat Amherd tatsächlich einen ersten Punktesieg errungen. Die Mitte-Magistratin hat den Bundesrat geschickt zu einer Positionierung gezwungen – die rein institutionell nicht nötig gewesen wäre. Die Armeebotschaft ist nämlich bereits im Parlament. Dass der Bundesrat während einer laufenden parlamentarischen Beratung zu einem Antrag einer Kommission Stellung nimmt, ist bemerkenswert. Es zeigt auch, welche politische Dimension das Geschäft hat.
Diese Bedeutung lässt sich noch an einem anderen Punkt ablesen. Der Bundesrat hält in der Medienmitteilung fest, dass er selbst über ein allfälliges Gesuch für eine Exportbewilligung entscheiden wird. Falls die Bundesversammlung beschliessen wird, dass die 25 Panzer ausser Dienst gestellt werden, wird wahrscheinlich das Verteidigungsdepartement und/oder die Ruag ein Exportgesuch an das Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin stellen.
Dieses wird das Gesuch beurteilen und schliesslich dem Bundesrat zum Entscheid vorlegen. Dass der Bundesrat entscheidet, ist vorgesehen bei «Gesuchen mit erheblicher aussen- oder sicherheitspolitischer Tragweite», wie es im Kriegsmaterialgesetz heisst. (aargauerzeitung.ch)
Mit Ihrer jetzigen Argumentation können wir alle Rüstungsbetriebe ja gleich einstampfen, da jeglicher Export verboten sein müsste. Verkehrte Welt...
Gut sie wollen wohl einfach das Neutralitätsthema ein wenig melken 🙄
Schön, wenn wenigstens eine Person im Bundesrat Courage und Willensstärke zeigt.