Schweizer Armeemusik spielt Stück von Nazi-Komponist – Orchestermitglied verweigert sich
Der Liedtext ist harmlos. Das Soldatenlied «Lili Marleen» handelt von einem Liebespaar, das vom Krieg getrennt wurde. Doch der Mann, der das Stück geschrieben hat, ist umstritten. Der deutsche Komponist Norbert Schultze hat während des Zweiten Weltkriegs im Auftrag Josef Goebbels nationalsozialistische Propagandalieder vertont, in denen Hitler verehrt und der Krieg verherrlicht wird. Er war Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP).
Darf, vor diesem Hintergrund, so ein Lied heute noch gespielt werden? In der Schweizer Militärmusik hat diese Frage eine Kontroverse ausgelöst.
«War nicht damit einverstanden, das Stück zu spielen»
Vergangene Woche fanden im solothurnischen Riedholz zwei grosse Konzerte der Militärmusik statt. Gleich vier Formationen traten auf – und spielten unter anderem Schultzes Hit «Lili Marleen».
Ein Armeemusikant allerdings weigerte sich, wie CH Media weiss. Sie hätten die Noten erst wenige Tage vor dem Konzert erhalten, sagt er. Als er auf dem Heimweg von der Probe den Namen des Komponisten googelte, sei er erschrocken. «Ich war nicht damit einverstanden, dieses Stück zu spielen.»
Der Musiker meldete sich beim Kommandanten, der Verständnis für seine Vorbehalte gezeigt habe. Ein anderer Musiker konnte gefunden werden, der ihn für dieses Lied ersetzte. Trotzdem ist laut dem Mann dann auch der Oberst eingeschalten worden. Er soll sich zwar ebenfalls kooperativ gezeigt haben – doch er habe ihn dazu angehalten, den Bandkollegen nicht zu erzählen, weshalb er das Stück nicht spielt, und auch nicht an die Medien zu gelangen.
Armee dementiert Maulkorb-Vorwurf
Die Armee widerspricht dieser Darstellung. Man habe dem Armeeangehörigen keinen Maulkorb erteilt, teilt die Medienstelle mit. Vielmehr habe man sich darum bemüht, vor dem Konzert in gegenseitigem Einvernehmen eine Möglichkeit zu finden – damit die Vorbereitung reibungslos verlaufe und der Fokus auf dem Konzert habe bleiben können. Danach habe man «innerhalb des Orchesters offen darüber gesprochen und alle trugen diesen Entscheid mit». Ein anderer Militärmusiker, der an den Konzerten spielte, sagt jedoch, nichts von einer solchen Diskussion mitbekommen zu haben.
Laut der Armee hat die Militärmusik das Stück schon mehrfach an Konzerten gespielt. Es sei international bei Militärorchestern beliebt. «Die Militärmusik ist sich bewusst, dass es durchaus Werke gibt, die beispielsweise aufgrund ihres Bezugs zum Zweiten Weltkrieg kontrovers sind», sagt eine Sprecherin. Bei der Programmgestaltung achte man darauf und bei «Unklarheiten bezüglich Literatur oder Komponisten erfolgt eine sorgfältige Abklärung».
Bei Komponist Norbert Schultze sieht die Armee offensichtlich trotz dessen Nazi-Hintergrund kein Problem. Schultze, 2002 verstorben, hatte seine Auftragsarbeiten fürs Hitler-Regime später damit gerechtfertigt, dass die Alternative gewesen wäre, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Laut Berichten hat er in seinem Testament verfügt, dass sämtliche Urheberrechts-Gebühren für während der Kriegsjahre komponierte Stücke ans deutsche Rote Kreuz fliessen – darunter auch «Lili Marleen». Das soll bis heute gelten.
(aargauerzeitung.ch)
