Der Brief, den der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf (CVP) im Namen des Regierungsrates an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga geschrieben hat, ist am Mittwoch auf der Homepage des Kantons publiziert worden.
Der enorme Anstieg der Asylgesuche bringe die in den vergangenen Monaten durch Bund, Kantone und Gemeinden erarbeitete korrekte und politisch mehrheitlich akzeptierte Unterbringung von Asylsuchenden in Gefahr, heisst es in dem Schreiben vom Dienstag.
Als besonderes Problem erachtet Graf Menschen, die aus Eritrea in die Schweiz gelangen. Der Hauptteil der dem Kanton Luzern zugewiesenen Asylsuchenden stamme aus diesem Land, schreibt er. Allein im Juni seien von 167 Asylsuchenden 122 Eritreer gewesen. Dieser «enorme Zulauf aus einem Land» führe dazu, dass das Asylwesen wieder vermehrt in Frage gestellt wird.
Gemäss Graf verlassen die jungen Leute wegen der wirtschaftlichen Lage und des drohenden Militärdienstes Eritrea. «Allerdings sind dies keine Asylgründe», schreibt er. Durch eine «zu grosszügige Asylpraxis» werde der «Massenexodus» gefördert. Diese Fluchtbewegung könne Eritrea langfristig schaden.
Die Asylbewerber aus Eritrea sind gemäss Graf keine echten Flüchtlinge. «Da diese Personen zum Zeitpunkt ihrer Flucht nicht an Leib und Leben bedroht waren, erachten wir die bisherige Praxis der Gewährung eines Flüchtlingsstatus in jedem Fall als falsch», schreibt er. Sollten die Eritreer bei einer Rückführung tatsächlich von Gewalt und Haft bedroht sein, wäre dies allenfalls ein Grund, Asylsuchenden vorläufig in der Schweiz aufzunehmen.
Der Luzerner Regierungsrat schätzt die Lage in Eritrea damit anders ein als die UNO. Mike Smith, der Präsident der UNO-Untersuchungskommission für Menschenrechte, hatte Ende Juni erklärt, wer glaube, Eritreerinnen und Eritreer würden ihrer Heimat nur aus wirtschaftlichen Gründen den Rücken kehren, missachte die schlechte Menschenrechtslage in dem Land. Eritrea sei ein totalitärer Staat, der seine Bevölkerung mit einem grossen Überwachungssystem unterdrücke.
«Welchen Schutz Asylsuchende aus Eritrea erhalten, ist kein politischer Entscheid, sondern eine rechtliche Frage», schrieb das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am Abend in einer auf Anfrage versandten Stellungnahme. Es verwies auf das Asylgesetz und die Flüchtlingskonvention.
Das Anliegen der Luzerner Regierung, eritreischen Asylbewerbern nicht in jedem Fall den Flüchtlingsstatus zu gewähren, sei gängige Praxis und somit längst Realität, schrieb das EJPD. «Rund der Hälfte der eritreischen Asylsuchenden, die in der Schweiz Schutz erhalten haben, wurde nicht Asyl gewährt, sondern eine vorläufige Aufnahme.»
Die Aussage der Luzerner Regierung, wonach Asylsuchenden aus Eritrea der «Flüchtlingsstatus in jedem Fall» gewährt werde, treffe also nicht zu. Auf die übrigen im Brief erwähnten Anliegen wird Bundespräsidentin und EJPD-Vorsteherin Simonetta Sommaruga auf dem ordentlichen Weg antworten.
Den Flüchtlingsstatus stuft der Luzerner Regierungsrat auch deshalb als problematisch ein, weil er den Familiennachzug ermögliche und fördere. Dies sei sowohl für die Emigration aus Eritrea wie auch für die Immigration in die Schweiz falsch, heisst es in dem Brief.
In der Sendung «Rendez-vous» von Schweizer Radio SRF sagte Graf, der Familiennachzug bereite dem Kanton «logistische Probleme». Er plädiere für eine vorläufige Aufnahme, weil dann der Familiennachzug nicht mehr möglich wäre. Es gehe ihm darum, dass der Kanton für die Flüchtlinge, die wirklich verfolgt seien, genügend Platz habe.
Ein finanzielles Problem für die Kantone sind gemäss Graf die minderjährigen Asylsuchenden aus Eritrea. Diese müssten in Pflegefamilien platziert werden. Die übliche Asylpauschale reiche dafür aber nicht aus. Es brauche eine «kostengerechte Entschädigung» durch den Bund.
Kritik an der Asylpraxis des Bundes äusserte am Mittwoch auch der Schwyzer Landammann und Vorsteher des Umweltdepartements, Andreas Barraud (SVP). In einem Interview mit dem «Boten der Urschweiz» sagte er, die Kantone müssten sich zusammentun und dem Bund ein «klares Signal» senden, dass «aus bestimmten Regionen» keine weiteren Asylbewerber mehr aufgenommen werden könnten.
Es dürfe nicht sein, dass die Kantone nur zuschauten, wie der Bund ihnen immer mehr Asylgesuche zuteile, und sonst passiere nichts, sagte Barraud gegenüber der Schwyzer Tageszeitung. Eine «Gelbe Karte» im Hinblick auf einen Aufnahmestopp einiger Kantone sei eine Möglichkeit, um mit den Bundesbehörden über eine Lösung verhandeln zu können. Die heutige Asylpraxis sei nicht mehr tragbar. (kad/sda)