
Ein eritreischer Staatsangehöriger muss in seine Heimat zurückkehren.Bild: EPA/EPA
Reisen Flüchtlinge für einen Besuch freiwillig in ihre Heimat zurück, kann der Bund ihnen den Asylstatus entziehen. Neue Zahlen zeigen: Im Jahr 2017 haben 231 Personen so ihre Aufenthaltsbewilligung verloren.
08.04.2018, 05:3408.04.2018, 08:05
Lorenz Honegger / schweiz am wochenende
Der Fall ist aus Sicht der Migrationsbehörden exemplarisch: Ein irakischer Flüchtling reist in sein Heimatland, um Verwandte zu besuchen.
In jenen Staat, in dem er nach eigenen Angaben verfolgt wird. Er fliegt auf, die Schweiz widerruft seinen Asylstatus, denn freiwillige
Reisen in die Heimat sind nicht erlaubt. Der Mann rekurriert, doch das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde ab. Die Richter
sehen es als erwiesen an, dass er sich freiwillig in den Irak und unter die Obhut der dortigen Behörden begeben hat.
Der Gerichtsfall liegt acht Jahre zurück, die Problematik besteht bis heute. Neue Zahlen zeigen: Im Jahr 2017 hat das Staatssekretariat für
Migration (SEM) 231 Personen den Asylstatus entzogen, weil sie in ihr Heimatland gereist sind. Das entspricht einem Anstieg um 60
Prozent gegenüber 2016.
Die meisten Widerrufe betrafen Flüchtlinge aus Vietnam (71), Irak (60) und Bosnien-Herzegowina (30). Ein
wahrscheinlicher Grund für den Anstieg ist die 2015 geschaffene «Meldestelle Heimatreisen» des SEM: Die Grenzkontrollbehörden und
kantonale Ämter übermittelten ihr vergangenes Jahr 101 Verdachtsfälle, die 137 Personen betrafen. Mehr als dreimal so viele Meldungen
wie 2016.
Um in die Heimat reisende Flüchtlinge zu entlarven, dürfen die Grenzbehörden unter anderem auf die Passagierdaten von
Fluggesellschaften zurückreifen. Ein SEM-Sprecher sagt, der Anstieg der Verdachtsfälle sei auch mit dem gestiegenen Bekanntheitsgrad
der Meldestelle zu erklären
SVP fordert Automatismus
Aus Sicht der bürgerlichen Parteien gibt es dringenden Handlungsbedarf. Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) hat diesen Frühling
eine Anpassung des Asylrechts vorgeschlagen: Neu soll das Verbot von Heimatreisen explizit im Asylgesetz festgehalten werden.
Doch
Sommaruga will Ausnahmen. Nur wer wie der Iraker im Eingangsbeispiel freiwillig in sein Heimatland reist, den «heimatlichen Schutz» in
Anspruch nimmt (sich zum Beispiel beim Grenzübertritt einer Passkontrolle unterzieht) und von den dortigen Behörden effektiv nicht mehr
verfolgt wird, soll seinen Asylstatus verlieren.
In einem Punkt verschärft die SP-Bundesrätin die bisherige Praxis: Neu müssen die Flüchtlinge beweisen, dass sie zur Reise gezwungen
wurden. Ansonsten geht der Gesetzgeber automatisch davon aus, dass die Kriterien zur Aberkennung des Flüchtlingsstatus erfüllt sind.
Heute liegt die Beweislast aufseiten der Behörden.
«Wer von seinem Herkunftsland verfolgt ist, soll generell nicht in diesen Staat zurückreisen.»
Gregor Rutz, SVP-Nationalrat
Der SVP und Politikern anderer bürgerlicher Parteien gehen Sommarugas Gesetzesänderungen zu wenig weit. Ende nächster Woche
behandelt die staatspolitische Kommission des Nationalrates eine parlamentarische Initiative von Gregor Rutz (SVP/ZH), die einen
Automatismus verlangt: Wer als Flüchtling in sein Heimatland reist, dessen Asylstatus soll in jedem Fall erlöschen. «Ich will diese
Ausnahmen nicht. Wer von seinem Herkunftsland verfolgt ist, soll generell nicht in diesen Staat zurückreisen», sagt Rutz.
Flüchtlingshilfe will Ausnahmen
Widerstand kommt von links. Michael Flückiger von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sagt, der Automatismus in der
parlamentarischen Initiative von Rutz sei abzulehnen: «Ein Betroffener muss die Möglichkeit haben, sich gegen eine entsprechende
Verfügung zu wehren. Es geht schliesslich um Leib und Leben.»
«Reist eine Person ins Heimatland, heisst das nicht automatisch, dass sich diese Person freiwillig unter den Schutz dieses Staates stellt.»
Schweizerische Flüchtlingshilfe
Die Flüchtlingshilfe ist auch dagegen, dass die Beweislast – wie vom Departement Sommaruga vorgeschlagen – umgekehrt wird. «Reist
eine Person ins Heimatland, heisst das nicht automatisch, dass sich diese Person freiwillig unter den Schutz dieses Staates stellt.» Es könne
zum Beispiel sein, dass ein Flüchtling unter dem Radar der Behörden in sein Herkunftsland reise, um an einer Beerdigung eines
Familienangehörigen teilzunehmen. «Wenn diese Person alles unternimmt, um nicht mit den Behörden in Kontakt zu kommen, soll dies
nicht zum Asylwiderruf führen.»
Sommaruga auf der griechischen Flüchtlingsinsel Lesbos
Video: srf
Das könnte dich auch interessieren:
Das könnte dich auch noch interessieren:
Betrüger haben sich am Donnerstag in St. Gallen als Polizisten ausgegeben und eine 86-jährige Frau um 30'000 Franken gebracht. Dem Opfer wurde vorgegaukelt, der Sohn sei in einen schweren Unfall verwickelt und müsse eine Kaution bezahlen. Die richtige Kantonspolizei warnt.