Der Chronist kennt sich im eidgenössischen Strassen- und Verkehrswesen nicht aus. Er kennt nur die Verkehrszeichen. Er ist zudem politisch neutral und gestaltet unsere politische Landschaft lediglich als Basisparlamentarier durch die Abgabe der ausgefüllten Stimm- und Wahlzettel aktiv mit. Es geht hier also nicht um Polemik gegen die Obrigkeit oder die Staatsgewalt. Da sei Gott davor!
Die Episode, die ihn beschäftigt hat: Am 17. Juli wird hochoffiziell Stau am Gotthard gemeldet (und als Ausweichroute der San Bernadino empfohlen). Das Navigationsgerät im Auto weist aber nicht auf die verkehrsfreie Strasse durchs Land Uri über den Pass hin. Was zur Annahme führt, dass wohl auch die Hauptstrasse verstopft ist und es sich keinesfalls lohnt, die Autobahn zu verlassen, um dem Stau auf der alten Gotthard-Passtrasse zu entgehen.
In einem spontanen Akt der Aufmüpfigkeit verlässt der Chronist trotzdem die Autobahn schon unten bei Amsteg – und hat an diesem wunderbaren Sonntagmorgen freie Fahrt Richtung Süden durchs Unterland und über den Gotthard.
Das Rätsel: Wieso verheimlicht das Navigationsgerät, das sonst unverzüglich bei Staus Alternativrouten anzeigt, ausgerechnet hier, wo es so nützlich wäre, die offen daliegende Alternative über den Pass?
Der alte Kumpel Chico (der bürgerliche Name ist dem Chronisten bekannt) hat die Geschichte gelesen und meldet sich zur Sache. Er ist Insider und Fachmann und seine Worte über Staulagen sind Gospel.
Chico arbeitet nämlich bei Viasuisse, unserem «Verkehrs-Politbüro» in Biel. Ein Unternehmen, als Aktiengesellschaft konstituiert, das mit einer Belegschaft von 27 Personen (darunter Chico) alle Verkehrsinformationen auf Strasse und Schiene sammelt, auswertet, bündelt und unter vielem anderen letztlich auch uns aufs Navi liefert. Eigenwerbung der Firma: «Wir leben Verkehrsinformation in allen Facetten.»
Wenn sich irgendwo eiserne oder bereifte Räder nicht mehr drehen – Chico weiss es und er kennt die Gründe.
Er klärt mich per WhatsApp auf: «Die Kantonspolizei Uri erstellt ab Stauanfang auf der Autobahn eine Meldung für die H2 (Hauptstrasse, Passstrasse), die dort Stau meldet. Die Navis schlucken diese Meldung.» So kommt es also, dass die freie Fahrt durchs Urnerland vom Navigationsgerät nicht erkannt wird. Weil die Urner Kantonspolizei einen «Phantomstau» auf der Hauptstrasse meldet.
Aber warum? Chico weiss es: «Die HS (die Hauptstrasse durch den Kanton Uri und über den Pass – die Red.) muss für Einsatzfahrzeuge von Kapo, Sanität und Feuerwehr frei sein.»
Da haben wir zwar strenggenommen den Beweis, dass die Polizei lügt. Aber diese Lüge macht wahrlich Sinn: Wenn es in Andermatt oben brennt oder sonst ein Rettungseinsatz am Gotthard erforderlich ist, wäre eine verstopfte Hauptstrasse fatal. Und wenn Samih Sawiris mal Andermatt besuchen will, kann es ja sein, dass er nicht mit dem Helikopter einschwebt, sondern mit einer noblen Benzinkutsche anrollt und freie Fahrt zu schätzen weiss.
Es gibt nun neben der gemeinen Lüge, der Notlüge, den offiziellen Erklärungen der Politikerinnen und Politiker, der Wetterprognose, den aktuellen Flugplänen sowie der Statistik also noch eine siebte Form der vorsätzlichen Verbreitung von Unwahrheit: die polizeiliche Gotthardlüge.
Sie ist, da sinnvoll, eine lässliche Sünde und verlängert den Aufenthalt im Fegefeuer nicht. Und der grosse Nietzsche sagte ja einst: «Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist.“