Die Tat geschieht an einem heissen Sommertag in Basel. Martin P.*, 39 Jahre alt, streift am 26. Juni 2022 wie so oft durch den Bahnhof, über die angrenzenden Plätze und den Bahnhofspark.
Er wurde in Kenia geboren, kam mit drei Jahren in die Schweiz und wurde eingebürgert, weil seine Mutter einen Schweizer heiratete. Sein Lebenslauf ist ein Auf und Ab. So absolvierte er das kaufmännische Handelsdiplom, brach ein Studium der Wirtschaftsinformatik aber nach sechs Semestern ab. In Zürich arbeitete er danach als Informatiker beim US-Konzern IBM. Doch mit 31 wurde er arbeitslos, weil er zu viel kiffte.
An diesem Sonntagnachmittag steht er allerdings weder unter Drogen- noch Alkoholeinfluss, wie die Untersuchungen zeigen werden.
Wer sich an diesem Junitag beim Bahnhof aufhält, merkt, dass in der Bank für internationalen Zahlungsausgleich etwas Spezielles vor sich geht. Leute in dunklen Anzügen und mit Aktenkoffern gehen ein und aus. Bewaffnetes Sicherheitspersonal steht vor dem Turm.
Martin P. will wissen, was da vor sich geht, holt sein iPhone hervor und googelt. Dreimal besucht er gemäss den Ermittlungen die Website der Bank für internationalen Zahlungsausgleich. Hier erfährt er, dass gerade die Jahresversammlung stattfindet. Er schaut sich die Liste der Notenbanker an, welche den Verwaltungsrat bilden. Zum Gremium gehören der US-Notenbankchef Jerome Powell, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde, der Schweizer Nationalbankpräsident Thomas Jordan und als Vorsitzender der französische Zentralbankchef François Villeroy de Galhau. Von ihm schaut er sich auch Bilder an.
Normalerweise sieht man die Notenbanker nicht auf der Strasse, weil sie in der Tiefgarage in eine Limousine steigen und sich direkt zum Flughafen chauffieren lassen. François Villeroy de Galhau ist eine Ausnahme, weil er mit dem Zug schneller zu Hause ist. Um 18.34 fährt der letzte TGV nach Paris. Doch sein Abend wird in der Notfallstation enden.
Um circa 18.20 Uhr schreitet Villeroy de Galhau über den Bahnhofplatz und zieht einen Rollkoffer hinter sich her.
Gemäss den Ermittlungen der Basler Staatsanwaltschaft passiert Folgendes: Martin P. erblickt den prominenten Franzosen in der Menschenmenge und holt aus seinem Rucksack einen Hammer der Marke Lux-Tools hervor, 500 Gramm schwer, 31 Zentimeter lang. Mitten auf dem Centralbahnplatz nähert er sich dem Notenbankchef von hinten. Dann nimmt er einen Sprung und verpasst dem 63-Jährigen einen gezielten Schlag auf den Hinterkopf. Der Angegriffene fällt auf die Tramgleise und prallt mit dem Kopf auf den Boden. Der Angreifer schlägt danach nochmals gegen den Kopf, wobei sich das Opfer mit Händen und Armen zu schützen versucht.
Zum Glück ist der Notenbankchef nicht alleine unterwegs. Ein Begleiter, der vor ihm gegangen ist, packt Martin P. am Arm. Dieser kann den Hammer aber in die andere Hand nehmen und versucht nun, den Begleiter zu schlagen. Dann kommen Passanten dazu und können Martin P. festhalten. Nach einer kurzen Rangelei gibt dieser auf und behauptet, er habe gar nichts getan.
Villeroy de Galhau liegt blutüberströmt am Boden. Er steht auf und geht auf Martin P. zu, der immer noch von Passanten festgehalten wird. Er will nur eines wissen: Warum er das getan hat? Doch eine Antwort erhält er nicht.
Um 18.27 trifft die Polizei ein und nimmt Martin P. fest.
Der französische Notenbankchef hat Glück. Er hat zwar eine tiefe Wunde hinter dem linken Ohr, einen Knochenbruch hinter der Ohrmuschel, eine Verletzung an der linken Schulter und eine Schwellung am Oberkopf. Aber er erholt sich rasch. Schon wenige Tage später kann er wieder öffentliche Auftritte bestreiten. Er lässt mitteilen, es habe sich für ihn um einen «isolierten Einzelfall ohne Konsequenzen» gehandelt.
Doch es hätte auch anders enden können. Sasha Stauffer, der erste Staatsanwalt von Basel-Stadt, hat den Fall zur Chefsache erklärt. Er wirft Martin P. vor, er habe den Notenbankchef töten wollen. Mit den gezielten Schlägen gegen den Kopf habe er tödliche Gehirnverletzungen beabsichtigt.
Warum Martin P. den prominenten Franzosen angegriffen haben soll, kann die Staatsanwaltschaft nicht exakt ermitteln. Die Untersuchungen zeigen aber, dass er kein Zufallsopfer war. Der Staatsanwalt nimmt an, dass der Beschuldigte «aus einem wahnhaften Groll gegen die Finanzwelt» gehandelt und den Notenbankchef aus den Medien gekannt habe.
Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Soeben hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag für eine stationäre psychiatrische Behandlung des Beschuldigten beim Basler Strafgericht eingereicht, der CH Media vorliegt. Ihm wird eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Deshalb sei er schuldunfähig, habe also das Unrecht seiner Tat nicht erkennen können.
Hinweise dafür gab es schon früh. Als Martin P. vor sieben Jahren seinen Job als Informatiker aufgab, nannte er dafür ein Burn-out als Grund, ausgelöst durch übermässigen Cannabis-Konsum. Damals versuchte er, sich Hilfe zu holen. Er ging auf die Notfallstation des Basler Universitätsspitals und gab an, er habe das Gefühl, seine Knochen würden sich auflösen. Es fühle sich an, als sei er verstrahlt worden. Damals diagnostizierten die Ärzte eine Vorphase einer paranoiden Schizophrenie, ausgelöst durch Cannabinoide.
Martin P. war finanziell ruiniert. Er lebte von der Sozialhilfe und wurde von Krankenkassen und der Steuerverwaltung auf mehr als 150'000 Franken betrieben. 100'000 Franken waren bereits als Verlustscheine verbucht. Er gab an, an Asthma zu leiden und trotzdem täglich eine Packung Zigaretten zu rauchen. Die Tage habe er oft im Gebiet um den Bahnhof verbracht.
Nun sitzt er im Untersuchungsgefängnis. Voraussichtlich im nächsten Jahr wird das Strafgericht über die beantragte Verlegung in eine Psychiatrie entscheiden. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.
Martin P. hat im bisherigen Verfahren alles bestritten: die Tat und die Diagnose. Er sei von einer unbekannten Person von hinten gestossen worden und zu Boden gefallen, wo er den Hammer ergriffen habe. So habe er das Pech gehabt, diesen in der Hand zu halten, als sich die Augen der Zeugen auf ihn gerichtet hätten. (aargauerzeitung.ch)