Der Tag begann wie gewohnt früh, denn ich wurde vom Pflegepersonal geweckt. Anschliessend bekam ich mein Morgenessen. Wie schon in den vergangenen Tagen wollte ich keine Experimente eingehen und bestellte Gipfeli mit Nutella. Ich bemerkte, dass ich in eine Routine geriet. Jeder Tag fing gleich an, hörte gleich auf. Zwischen 10 und 11 Uhr betrat der Arzt das Zimmer für die tägliche Visite. Später kam eine Frau, um das Zimmer zu reinigen. Am Mittag brachte mir jemand das Mittagessen. Am Nachmittag lieferte mir die Pflege Wasser und Tee, am Abend das Nachtessen. Nachher noch die tägliche Fieber- und Blutdruckmessung, und der Tag war beendet.
An diesem Freitag war ich besonders gut drauf, denn ich wusste, dass heute ein Abstrich genommen werden sollte, um mich erneut auf die Corona-Viren zu testen. Da ich mich gesund fühlte, hatte ich grosse Hoffnungen daraufgesetzt, dass der Test negativ ausfallen würde. Dies wäre gleichbedeutend mit einer Entlassung aus dem Unispital. Diesmal war es glücklicherweise nicht notwendig, meine Nasenschleimhaut auf ihre Widerstandskraft zu testen: Der Abstrich verlief völlig schmerzfrei. Die Wartezeit auf das Ergebnis verbrachte ich damit, für die Uni zu lernen, dieses Tagebuch zu schreiben und mit Freunden zu telefonieren.
Am späten Nachmittag erreichte mich das Telefon vom Arzt, der mir mitteilte, dass der Test positiv ausgefallen war – eine negative Nachricht für mich. Meine ganze Vorfreude auf eine baldige Entlassung brach in sich zusammen. Dabei war ich mir relativ sicher gewesen, dass der Test bei mir negativ ausfallen würde. Ich fiel in meine erste grosse Krise, seitdem ich eingeliefert worden war. Das Schlimmste war, dass mir niemand sagen konnte, wie lange ich bleiben musste. Ich hatte Angst, möglicherweise noch ewig lange in diesem Isolationszimmer eingesperrt zu bleiben. Ich fühlte mich eingesperrter denn je und dadurch auf eine Art unerwünscht in der Gesellschaft. Objektiv betrachtet war ich ja das in diesem Moment auch.
Auf der anderen Seite ist eine Quarantäne-Massnahme doch auch ein «Dienst» an der Gesellschaft, weil dadurch die Ansteckung von weiteren Leuten verhindert werden kann. Es fiel mir jedoch schwer, mich auf diesen positiven Aspekt zu konzentrieren. Mein milder Krankheitsverlauf spielte da sicher eine Rolle. Ich dachte mir, dass dieses Corona-Virus ja nur halb so schlimm sein könne, wenn dies alles war, was es zu bieten hatte. Gleichzeitig war ich mir bewusst, dass die Erkrankung für Menschen einer Risikogruppe schlimm ausgehen kann.
In meiner Verzweiflung rief ich die Kantonsärztin an, die zuständig für die Verordnung von Isolationsmassnahmen war. Und tatsächlich gab sie mir einen Hoffnungsschimmer. Falls ich eine leere Wohnung zur Verfügung hätte, dürfte ich nach Hause verschoben werden. Dies bedeutete natürlich eine immense Verbesserung meiner Situation. Zu Hause würde ich mich weniger eingesperrt fühlen. Ausserdem wäre kein medizinisches Personal mehr nötig, um mir das Essen zu liefern. So freundlich alle auch waren: Ihre Isolationsanzüge liessen mich kränker fühlen, als ich war.
Daraufhin habe ich also meine Mutter angerufen, um ihr von der Möglichkeit zu berichten, in eine leere Wohnung ziehen zu dürfen. Glücklicherweise ist meine Familie im Allgemeinen sehr flexibel und verstand meine Situation. Ausserdem weilten die Eltern sowieso noch im Engadin, was es ihnen einfacher machte, mir ihre Wohnung zu überlassen. Natürlich waren sie besorgt, doch es protestierte niemand allzu heftig gegen den verlängerten Aufenthalt in den Bergen.
Und täglich grüssen Maskenmenschen mit Gipfeli und Nutella. Ich hatte mich von meiner gestrigen Krise einigermassen erholt, ausserdem stimmte mich die Aussicht auf meine baldige Verlegung zuversichtlich. Bald kam die definitive Zustimmung des Spitals für meine Heimkehr. Es musste nur noch abgeklärt werden, wie ich nach Hause komme. Ich konnte ja nicht einfach in das nächste Tram steigen, da noch immer die Gefahr bestand, dass ich andere Leute ansteckte. Es wurde also beschlossen, dass ich mit meinem Fahrrad nach Hause fahren solle. Natürlich mit Schutzmaske und Handschuhen ausgerüstet. Ein guter Freund brachte mir mein Fahrrad zum Unispital. Und er verfrachtete mein Hab und Gut aus dem Zimmer zu mir nach Hause. Zur Sicherheit wurde alles in Plastiksäcke verpackt, da das Auto sonst für zwei Tage in Quarantäne hätte gehen müssen. Armes Auto!
Das unaufgeregte, normale Verhalten meines Freundes tat mir gut. Ich fühlte mich dadurch weniger als eine Krankheit und wieder mehr als ein Mensch. Ich war glücklich, dass ich mich auf meine Freunde und Familie verlassen konnte.
Die Fahrt nach Hause war merkwürdig. Einerseits wegen der Maske in meinem Gesicht, andererseits wegen der bestehenden Quarantäne. Ich verspürte nicht die gleiche Freiheit wie normalerweise, wenn ich mit meinem Fahrrad durch die Stadt radle. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit Leuten umgehen soll, die mich erkennen. Meine Familie und meine besten Freunde waren zwar in das Corona-Schlamassel eingeweiht, doch viele meiner Bekanntschaften wussten nichts.
Es kam, wie es kommen musste: Ich traf zwei Freunde. Aufgrund meiner Maske merkten sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich bin in meinem Freundeskreis sonst eher nicht als Hypochonder bekannt. Ich behielt Abstand. Wir sprachen aber kurz miteinander, ich klärte sie auf. Sie nahmen es erstaunlich ruhig zur Kenntnis. Trotzdem, es war eine angespannte Situation. Wir wussten alle nicht, wie wir uns verhalten sollten. Und natürlich, auch eine Angst war spürbar.
Zu Hause angekommen, fühlte ich mich wieder normaler, weil ich nun in einer gewohnten Umgebung war. Ich genoss den Gedanken, von nun an wieder selbstständiger zu sein. Ich konnte wieder selber kochen und selber entscheiden, wann ich aufstehe. Aber das Wichtigste war, dass ich nicht mehr eingesperrt war. Hier hatte ich eine ganze Wohnung, in der ich mich frei bewegen konnte. Keine Security stand vor der Türe, die mich bewachte.
Das erste Mal seit einer Woche wurde ich nicht vom Pflegepersonal geweckt. Trotzdem bin ich Punkt 7.30 Uhr aufgewacht. Die Sonne schien, und ich fühlte mich unglaublich gut. Endlich wieder zu Hause! Das Erste, was ich gegessen habe, war – Achtung Überraschung – kein Gipfeli mit Nutella, sondern ein Rührei. Wie ich dies vermisst hatte! Auch konnte ich statt des Plastikgeschirrs wieder normale Teller verwenden. Die kleinen Unterschiede holten mich in die Normalität zurück.
Den Nachmittag verbrachte ich mit dem Schauen von Dokus auf YouTube sowie meinen verpassten Vorlesungen. Mein Programm unterschied sich nicht gross zu jenem der vergangenen Woche. Wie sollte es auch? Ich durfte ja meine Wohnung nicht verlassen. Dies sollte sich aber bald ändern, denn am Nachmittag erhielt ich einen Anruf vom BAG. Der nette Herr klärte mich über meine Situation auf. Offenbar war die Dauer der Quarantäne auf zehn Tage ab Symptombeginn verkürzt worden. Dazu muss man die letzten zwei Tage symptomfrei sein. Dies bedeutete, dass ich tatsächlich bereits am nächsten Tag frei sein werde.
Ich war ungläubig und gleichzeitig unglaublich erleichtert. Ungläubig, weil ich am Freitag nicht mal gewusst hatte, wann ich das Spital überhaupt verlassen konnte. Erleichtert, weil ich nun wieder Teil der Gesellschaft sein durfte. Da alles plötzlich so schnell ging, konnte ich es gar nicht wirklich fassen. Dazu blieben einige Fragen offen. Eine davon war, weshalb mir so viele verschiedene Informationen kommuniziert wurden. Eine andere, ob ich wirklich nicht mehr ansteckend war, da der Test am Freitag ja positiv ausgefallen war.
Die erste Frage liess sich durch das Chaos der derzeitigen Situation beantworten. Bei der zweiten konnte mir vielleicht das BAG helfen. Ich rief, wenn auch widerwillig, noch einmal die Kantonsärztin an. Widerwillig, da ich Angst hatte, dass dadurch meine Quarantäne doch noch verlängert wird. Sie meinte, dass der Test extrem sensibel sei und die Viren auch dann noch nachweisen könne, wenn man bereits nicht mehr ansteckend ist. Viel entscheidender seien die Symptome. Ich könne also beruhigt sein. Da ich schon lange keine Symptome mehr hatte, sei ich nicht mehr ansteckend. Ich nahm mir trotzdem vor, meine Grosseltern aus Vorsicht nicht zu besuchen. Der positive Test hatte ein flaues Gefühl hinterlassen.
An diesem Morgen stand ich auf und fühlte mich das erste Mal frei. Auch wenn das Gefühl wahrscheinlich nicht lange anhalten wird, merkte ich, dass ich einen neuen Bezug zu normalerweise alltäglichen Aktivitäten gewonnen hatte. Kleine Dinge wie das Einkaufen fühlten sich nicht selbstverständlich an. Ich dachte an die Leute in China, die seit Monaten in Quarantäne sitzen und nur mit Ausgangschips das Haus verlassen dürfen. In einem Land, wo es Apps gibt, um Infizierte auf der Karte ausfindig zu machen, und die Regierung Menschen ausspionieren darf. Deswegen fühlte ich mich trotz der teilweise unklaren Kommunikation zu meiner Aufenthaltsdauer im Spital, trotz meiner Erfahrungen im Isolationszimmer unglaublich dankbar, in einem Land wie der Schweiz leben zu dürfen. Ich werde nun meine Freiheit umso mehr geniessen und wünsche allen Betroffenen viel Kraft und eine schnelle Genesung. Auch hoffe ich, dassdie Veröffentlichung meines Tage-buchs ihren Teil dazu beiträgt, die Angst gegenüber dem Virus zu verringern.
(bzbasel.ch)
Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass es auch Menschen gibt, bei denen es nicht so einfach verlaufen kann. Diese gilt es zu schützen.
Erfreulich also, dass Nummer 3 so schnell wieder weg davon durfte. Vielen Dank für den Erlebnisbericht.