In den Schweizer Alpen sind in den vergangenen Tagen mehrere Bergsteiger von abbrechenden Eismassen mitgerissen worden. Bei Saas-Fee im Wallis kam ein 61-jähriger Alpinist ums Leben, in Grindelwald im Berner Oberland werden zwei Personen vermisst. Ob die Unfälle auf die aktuelle Hitzewelle zurückzuführen sind, ist laut einem Experten schwer zu sagen.
Gletscherabbrüche seien komplexe Vorgänge und passierten nicht nur bei hohen Temperaturen, sagte Matthias Huss der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf Anfrage. Huss ist Glaziologe an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Man könne deshalb nicht sagen, dass der Klimawandel und die heisseren Sommer direkt für mehr Gletscherabbrüche verantwortlich sind.
«Auch gibt es relativ wenig Ereignisse, die eine genaue wissenschaftliche Auswertung erlauben würden. Von einer systematischen Zunahme von Gletscherabbrüchen im Zusammenhang mit dem Klimawandel kann man nicht sprechen», sagte der Forscher weiter.
Die hohen Temperaturen können im Verbund mit anderen Faktoren jedoch zu schnelleren und stärkeren Veränderungen der Eisoberfläche führen. Dadurch könne sich Gefahr von Gletscherabbrüchen während Hitzewellen durchaus etwas erhöhen.
Angestiegen ist dagegen vermutlich das Risiko von Spaltenstürzen. Durch die höheren Temperaturen und den schmelzenden Firn öffnen sich laut Experten immer mehr und grössere Spalten. Für Alpinistinnen und Alpinisten werden diese Spalten zu einer tückischen Gefahr, wenn sie nur von einer dünnen Schneedecke überdeckt sind. Auch vor Steinschlägen müssen sich Bergsteigerinnen und Bergsteiger wegen des schmelzenden Permafrosts zunehmend in Acht nehmen.
Nach Ansicht von Rita Christen, der Präsidentin des Schweizer Bergführerverbandes, wird das Bergsteigen wegen der Hitze und der steigenden Nullgradgrenze nicht grundsätzlich wesentlich gefährlicher. Wichtig sei aber, dass man die Temperaturen genau im Auge behalte und die Route oder das Programm entsprechend wähle, um das Unfallrisiko möglichst kleinzuhalten. So sei zum Beispiel bei der Begehung von Gletschern wegen der wachsenden Gefahr von Spaltenstürzen erhöhte Vorsicht angebracht.
Eine Zunahme von Gletscherabbrüchen habe sie persönlich in den vergangenen Jahren nicht festgestellt, sagte Christen weiter. Dagegen habe sie unterwegs im Gebirge in vergangenen Jahren eher öfter als früher grössere Felsstürze beobachten können.
Ein Trend zu mehr tödlichen Bergsportunfällen wegen Gletscherabbrüchen, Spaltenstürzen und Steinschlägen in der Schweiz in den vergangenen Jahren ist laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) bislang nicht festzustellen. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der tödlichen Bergsportunfälle insgesamt etwa stabil geblieben. Rund 80 Menschen kamen in dieser Periode pro Jahr im Durchschnitt ums Leben.
Bei der Zahl der Bergtoten spielt das jeweilige Wetter eines Jahres eine entscheidende Rolle. «Je nachdem, wie gut oder schlecht das Wetter sei, sind mehr oder weniger Menschen in den Bergen unterwegs, und das schlägt sich entsprechend auf die Unfallstatistik nieder», sagt BFU-Sprecher Christoph Leibundgut.
Auch bei den Unfallursachen hat es in den Jahren 2000 bis 2021 keine signifikante Verschiebung gegeben. Ohnehin machen Gletscherabbrüche, Steinschläge und Spaltenstürze nur einen kleinen Teil des Unfallgeschehens aus. Mehr als 80 Prozent aller Berggänger kommen durch Abstürze ums Leben und lediglich 3 Prozent durch Steinschläge, 2 Prozent durch Lawinen und 1 Prozent durch Spaltenstürze.
Oberhalb von Saas-Fee war am vergangenen Sonntag eine Dreierseilschaft beim Abstieg vom Allalinhorn von einem Gletscherabbruch überrascht worden. Ein 61-jähriger Schweizer wurde vollständig verschüttet. Der Alpinist verstarb noch auf der Unglücksstelle, wie die Walliser Kantonspolizei am Dienstag mitteilte.
Eine weitere Person erlitt leichte Verletzungen und wurde per Helikopter ins Spital nach Sitten geflogen. Der dritte Alpinist, welcher ebenfalls leicht verletzt wurde, begab sich in ärztliche Untersuchung.
In Grindelwald waren am Montag vor einer Woche eine Frau und ein Mann mutmasslich bei einem Eisabbruch mit Lawinenniedergang verschüttet worden. Die österreichischen Alpinisten befanden sich auf dem Zustieg zur Mittellegihütte, als es zum Eisabbruch kam, wie die Kantonspolizei Bern am Montagabend mitteilte. Die Suchtrupps fanden Ausrüstungsgegenstände.
Danach musste die Suche aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden, weil weitere Eisabbrüche drohen. Die Suche werde wieder aufgenommen, sobald die Verhältnisse vor Ort dies zuliessen, sagte Sarah Wahlen, Sprecherin der Berner Kantonspolizei, am Dienstag gegenüber Keystone-SDA.
Zwei weitere tödliche Bergunfälle ereigneten sich am Sonntagmorgen im Kanton Wallis. Ein Alpinist stürzte am Bietschhorn wegen eines abgebrochenen Steins rund 150 Meter in die Tiefe. Der Verunglückte war mit einem weiteren Bergsteiger unterwegs.
Ein anderer Bergsteiger kam beim Aufstieg zum Weissmies auf einer Höhe von etwa 3900 Metern aus bislang ungeklärten Gründen zu Fall. Er stürzte rund 250 Meter in die Südostflanke hinunter. (saw/sda)
(hah/sda)