Nur die Hälfte der Fussgängerstreifen in der Schweiz sind sicher
«Über die Hälfte der mindestens 50'000 Schweizer Fussgängerstreifen entsprechen nicht den wichtigsten Sicherheitsanforderungen», sagt Gianantonio Scaramuzza von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU). Falsch ausgeführte Fussgängerstreifen vermittelten den Fussgängern eine falsche Sicherheit. «Sobald ein Mensch die gelben Streifen sieht, denkt er, dass dieser sicher ist.»
Der BfU-Experte kritisiert, dass «man früher viel zu häufig und unüberlegt zum Pinsel griff». Gefährliche Streifen müssten saniert werden. «Am wirksamsten wäre es, sämtliche Fussgängerstreifen mit einer Fussgänger-Schutzinsel auszustatten.» Dies würde rund 1,5 Milliarden kosten. Fussgängerunfälle wiederum verursachten jährlich Kosten von 250 Millionen Franken.
Damit ein Fussgängerstreifen wirklich sicher ist, müssen fünf Bedingungen erfüllt sein. Verkehrssicherheitsexperten nennen diese die «Big Five» für Fussgängerstreifen.
- Genügende Sichtdistanz: «Ein sicherer Fussgängerstreifen hat zuallererst einmal eine genügende Sichtdistanz nach links zwischen Fahrzeug und Fussgänger», sagt Gianantonio Scaramuzza von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU). «Ideal sind 100 Meter.»
- Schutzinsel: Wichtig sei auch eine sogenannte Fussgänger-Schutzinsel in der Mitte. Eine solche halbiere das Risiko für die Fussgänger.
- Beleuchtung: Weil die meisten Fussgängerunfälle in der Dämmerung oder nachts geschähen, müsse drittens ein Fussgängerstreifen gut beleuchtet sein. Doch die Beleuchtung sei oft mangelhaft. So sei die Sicht bei den vielerorts noch gebräuchlichen rötlich scheinenden Kandelabern deutlich schlechter.
- Anzahl Fahrspuren: Als vierten Punkt nennt Scaramuzza die Anzahl Fahrspuren. Sicher sei maximal eine Spur pro Richtung. «Sobald es mehr als eine Spur hat, steigt die Zahl der Unfälle.»
- Genügend Fussgänger: Bedingung Nummer fünf ist eine genügend grosse Fussgängermenge. «Eine Vortrittsregel funktioniert nur, wenn der vortrittsberechtigte Verkehrsstrom eine gewisse Grösse hat.» Für einige wenige Fussgänger einen Streifen zu malen auf einer stark befahrenen Strasse, sei gefährlich.
Seit 20 Jahren ohne Handzeichen
«Namentlich wenn sie ein Handzeichen geben.» Dieser Halbsatz wurde vor 20 Jahren aus der Verkehrsregelnverordnung gestrichen. Fussgänger müssen seitdem nicht mehr mit der Hand anzeigen, wenn sie über einen Fussgängerstreifen wollen. Mit dieser Änderung begann der Ärger.
Das Handzeichen wurde damit dank seiner Abschaffung zum Politikum. Zuletzt vor zwei Jahren verlangte die SVP im Nationalrat erfolglos, es wieder einzuführen. «Immer nach einem schweren Unfall rufen einige Politiker nach dem Handzeichen», sagt Jean-Marc Thévenaz, Leiter Verkehrssicherheit beim TCS. Doch gehe diese Forderung in die falsche Richtung.
Weniger Verkehrstote
In den vergangenen 20 Jahren ist – trotz Bevölkerungszunahme und mehr Verkehr – die Zahl der Verkehrstoten stark gesunken. Weil die Autos sicherer wurden, sterben vor allem weniger Autoinsassen. Bei den Fussgängern war der Rückgang weniger stark. 2013 starben gemäss dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) 69 Fussgänger, 21 davon auf einem Fussgängerstreifen. 1994 starben mit 126 Fussgängern – 39 davon auf Fussgängerstreifen – noch fast doppelt so viele. 1980 waren es gar noch 261 tote Fussgänger; 69 davon wurden auf einem Streifen überfahren.
Die Statistik zeige keine Zunahme nach Abschaffung der Handzeichen-Pflicht, sagt Scaramuzza. Allerdings sinkt seit zehn Jahren die Anzahl getöteter Fussgänger nicht mehr weiter. Zu hoch bleibt auch die Anzahl Schwerverletzter. 2013 waren es auf Fussgängerstreifen 301. (whr/sda)
