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«Kä Luscht»: Wie Ueli Maurer vom Reisemuffel zum Vielflieger wurde

Diktatoren-Freund oder Finanz-Chef? Wie Ueli Maurer vom Reisemuffel zum Vielflieger wurde

Als SVP-Präsident bekämpfte er den UNO-Beitritt. Als Finanzminister reiste er um die Welt und öffnete dem Finanzplatz manche Türe. Eine Bilanz über Ueli Maurers internationales Wirken – zwischen umstrittenen Reisen und der Wirkung von vergorener Stutenmilch.
20.12.2022, 20:40
Christoph Bernet / ch media
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Staatsbesuche, rote Teppiche abschreiten, Händeschütteln und Höflichkeiten austauschen: Einst hatte Ueli Maurer «kä Luscht» darauf. Vor seinem ersten Präsidialjahr 2013 erklärte er, er werde nur dann ins Ausland reisen, wenn es der Bundesrat als absolut notwendig erachte. Ansonsten werde er dem Aussenminister, dannzumal Didier Burkhalter (FDP), den Vortritt lassen.

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Ueli Maurer wird von Wladimir Putin im Kreml begrüsst, Moskau am 21. November 2019.Bild: keystone

Gut neun Jahre später tritt ein Staatsmann ab, der sich zum Dauergast auf internationalen Gipfeltreffen gewandelt hat, Abertausende Kilometer im Bundesratsjet zurückgelegt hat, der als guter Freund willkommen geheissen wird in Singapur, Taschkent oder Washington. Einer, der dem Schweizer Finanzplatz Türen geöffnet hat, von Südamerika über die Golfstaaten bis nach China. Der von Xi Jinping, Wladimir Putin und Donald Trump mit allen Ehren empfangen worden ist.

President Donald Trump welcomes Switzerland's Federal President Ueli Maurer to the White House in Washington, Thursday, May 16, 2019. (AP Photo/Manuel Balce Ceneta)
Ueli Maurer wird vom damaligen US-Präsident Donald Trump empfangen, Washington am 16. Mai 2019.Bild: AP/AP

Wie ist das passiert? Wie wurde aus dem früheren SVP-Präsident, der an vorderster Front gegen den UNO-Beitritt gekämpft hatte, der internationale Ueli? Es ist die Geschichte einer Wandlung durch Einsicht - und einer wachsenden Freude am Tanz auf dem internationalen Parkett.

In seiner Zeit an der Spitze des Verteidigungsdepartements VBS (2008 bis 2015) reiste Maurer selten ins Ausland. Lediglich in seiner Funktion als Sportminister nahm er gerne an internationalen Grossanlässen wie Fussballweltmeisterschaften oder Olympischen Spielen teil.

«Mit Maurer gab es kein Blabla»

Als Vorsteher des Finanzdepartements EFD (2016-2022) änderte sich das - und zwar gewaltig. Am Ende seiner Bundesratszeit hat Maurer 43 Staaten dieser Welt in offizieller Mission bereist. Die grosse Mehrheit besuchte er in den sieben Jahren als Finanzminister.

Einer, der Maurer auf seinen Auslandreisen oft begleitete, ist Jörg Gasser. Kurz nach seinem Umzug in den Bernerhof, den Sitz des EFD, machte Maurer Gasser im April 2016 zum Staatssekretär für internationale Finanzfragen. Bis Ende Februar 2019 war Gasser damit quasi Maurers rechte Hand auf dem internationalen Parkett. Kurz darauf heuerte er als CEO bei der Schweizerischen Bankiervereinigung an.

Der saudische Koenig Salman ibn Abd al-Aziz, rechts, empfaengt Bundesrat Ueli Maurer, Mitte, Staatssekretaer Joerg Gasser, 3.v.l. und Herbert Scheidt, links, Praesident der Schweizerischen Bankiervere ...
«Fast schon ein Freund»: Ueli Maurer (l.) über den saudischen Finanzminister Mohammed al Dschadan, Riad am 18. Februar 2018.Bild: SPA

«Ueli Maurer hat das gern gemacht», sagt Gasser über die internationalen Verpflichtungen, die das Amt als Schweizer Finanzminister mit sich bringt. Zu Beginn seiner Zeit im EFD betrachtete Maurer die Finanzdiplomatie im eigenen Haus mit einer grossen Portion Skepsis, ist in Bundesbern zu hören. Ex-Staatssekretär Gasser formuliert diplomatisch: «Er hat rasch die Vorteile erkannt, wenn sich die Schweiz auf Ministerebene in diesen Gremien einbringt.»

Maurer sei ein sehr offener, interessierter Mensch, der mit grosser Empathie auf sein Gegenüber eingehe: «Es gelang ihm leicht, Zugang zu Ministerkolleginnen oder Präsidenten zu finden», so Gasser.

Die so entstandenen Beziehungen habe Maurer intensiv gepflegt. Gerade zu den Amtskollegen aus den Nachbarländern, etwa dem langjährigen deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, seien laut Gasser Freundschaften mit gelegentlichem SMS-Kontakt entstanden. Aber trotz gegenseitiger Sympathien habe sich Maurer immer auf die Inhalte und die Interessen der Schweiz fokussiert, sagt Jörg Gasser: «Mit ihm gab es kein Blabla.»

Switzerland's President Ueli Maurer, right, and China's President Xi Jinping review an honor guard during a welcome ceremony at the Great Hall of the People, Monday, April 29, 2019, in Bejin ...
Ueli Maurer schreitet mit Chinas Präsident Xi Jinping die Ehrengarde ab (Peking, 29. April 2019).Bild: AP/Pool Kyodo News

Auch in Maurers engster Entourage im Finanzdepartement streicht man die Hartnäckigkeit und das grosse Engagement des EFD-Chefs bei der internationalen Beziehungspflege heraus. Dass die Schweiz seit acht Jahren ununterbrochen zu den Finanzministertreffen der G20 eingeladen wird, sei nicht zuletzt Maurers persönlicher Verdienst.

Maurers «Switzerland First»-Ideologie

Dazu beigetragen haben dürfte eine Eigenschaft, die ihm links viel Kritik und den Vorwurf eingebracht hat, er sei ein «Diktatorenfreund»: Maurer besuchte eine Reihe von Regimes mit miserablem Ruf und erschreckender Menschenrechtsbilanz - in Zentralasien, im Nahen Osten oder die Schwergewichte China und Russland. Öffentlich geäusserte Kritik an den Potentaten war von ihm nie zu hören.

«Ueli Maurer war in dieser Beziehung ein typischer SVP-Vertreter», sagt Dominik Gross, Experte für Steuer- und Finanzpolitik von Alliance Sud, dem von sieben Schweizer Hilfswerken betriebenen Kompetenzzentrum für Entwicklungspolitik. Maurer und seine Partei erzählten im Inland ein «folkloristisches Narrativ von Unabhängigkeit und Volksnähe». In der Aussenwirtschaftspolitik hingegen stünden die Interessen des Finanzplatzes, der grossen Unternehmen und des internationalen Kapitals im Vordergrund.

«Sobald er sich der Bedeutung der multilateralen Foren bewusst geworden ist, liess sich Maurers ?Switzerland First?-Ideologie problemlos mit der pragmatischen Vertretung der Wirtschaftsinteressen vereinbaren», sagt Gross. Wobei er hier in Übereinstimmung mit der bürgerlichen Mehrheit im Parlament und Bundesrat gehandelt habe. Für den Grundwiderspruch der Schweizer Aussenpolitik - Betonung der Menschenrechte, Neutralität und der guten Dienste einerseits und Aussenwirtschaftspolitik andererseits, die auf möglichst profitable Auslandsgeschäfte für Schweizer Konzerne und Grossbanken fokussiert - habe sich Maurer nie interessiert.

Aus Maurers Entourage ist derweil zu hören, dass man bei Besuchen im Ausland stets pflichtbewusst auf die Menschenrechtsdialoge verwiesen habe, die die Schweiz mit den entsprechenden Ländern geführt habe. Doch die inhaltliche Verantwortung dafür liege beim Aussendepartement, nicht beim Finanzdepartement.

Für Ex-Staatssekretär Jörg Gasser gehört es zu den Pflichten des Finanzministers, sich auch mit Vertretern von autokratisch regierten Ländern zu treffen. Die Schweiz unterhalte grundsätzlich mit allen Ländern Beziehungen, auch solchen mit anderer politischer Kultur: «Ueli Maurer hat sich nie Illusionen darüber gemacht, wem er gegenüber sitzt», sagt Gasser.

Guter Draht zur Trump-Regierung

Maurer erteilte keine Belehrungen mit dem erhobenem Zeigefinger. Diese – im Inland durchaus umstrittene – Zurückhaltung hat man insbesondere am Golf geschätzt. Den saudischen Finanzminister Muhammad al-Dschadan bezeichnete Maurer 2019 als «schon fast einen Freund». Regelmässig reiste er begleitet von grossen Delegationen aus Bankern und anderen Finanzplatzvertretern nach Riad, Dubai oder Doha. Hier half Maurer Schweizer Unternehmen Türen zu einem Wachstumsmarkt zu öffnen, der immer bedeutender wird - wie zuletzt die milliardenschwere Beteiligung der Saudi National Bank an der kriselnden Credit Suisse zeigte.

Einen besonders engen Draht pflegte Maurer auch zu Steve Mnuchin, dem Finanzminister von Donald Trump. Die beiden trafen sich im Rahmen von hochrangigen Treffen der Weltbank, des internationalen Währungsfonds oder der OECD mindestens sechsmal pro Jahr persönlich. Das gute Einvernehmen mit Trump-Intimus Mnuchin habe den Empfang von Maurer im Mai 2019 im Oval Office durch Donald Trump ermöglich, heisst es in Bundesbern. Hilfreich gewesen sei auch der Hinweis nach Washington von Trumps Botschafter in Bern, Edward McMullen: Maurer und seine SVP seien politisch dem Trumpismus zugeneigt.

In Mauers EFD-Entourage werden solche Zusammenhänge in Abrede gestellt. Für die Staatsbesuche, die ein Bundespräsident in seinem Amtsjahr erfülle, gebe es eine laufende Planung unter Führung des Aussendepartements. Bei den Besuchen handle es sich um den krönenden Abschluss von langfristig aufgegleisten Projekten, die unabhängig vom jeweiligen Bundespräsidenten realisiert werden.

Weniger glamourös als im Weissen Haus war der Besuch Maurers in Kirgisiens Hauptstadt Bischkek im Sommer 2017. Ex-Staatssekretär Jörg Gasser erinnert sich: «Es war sehr heiss und uns wurde die lokale Spezialität Kumys aus vergorener Stutenmilch serviert.» Mehreren Mitglieder der Delegation sei davon schlecht geworden. Nicht so Ueli Maurer: «Er hat einen robusten Magen und eine insgesamt sehr ausdauernde Konstitution.» Das ist auf Reisen immer hilfreich. Nicht nur für einen Finanzminister. (bzbasel.ch)

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Firefly
20.12.2022 22:03registriert April 2016
Ja der Ueli hat gerne Verbrecherhände Geschüttelt. Für mich DAS Beispiel von einem Antidiplomat und Opportunist wie er im Buche steht. Vor der Macht und Korruption wird der Bückling gemacht und Minderheiten werden runtergemacht. Typisch SVP halt, gegen oben Bückling, gegen unten treten.

Menschen mit Rückgrat machen genau das Gegenteil.
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Fisherman
20.12.2022 23:53registriert Januar 2019
Zitat:
«Ueli Maurer hat sich nie Illusionen darüber gemacht, wem er gegenüber sitzt»

Natürlich nicht. Maurer als der geborene Opportunist, wusste immer wessen dreckige Hände er schüttelte.
Kein Diktator zu peinlich, dass Maurer nicht den Bückling macht. Das hat er ja schließlich in Herrliberg gelernt.
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Philguitar
20.12.2022 22:08registriert Dezember 2018
„ Er hat einen robusten Magen und eine insgesamt sehr ausdauernde Konstitution.“
Braucht’s auch bei der SVP
Der Rest hat Christoph.
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