Viola Amherds Amtszeit begann mit einem Unfall. So wie alle Amtszeiten von Schweizer Verteidigungsministern beginnen. Der Gesamtbundesrat zwang auch sie in das Departement, in das keiner will.
Doch dann gab da plötzlich eine Frau Gas, brach mit der «kä Lust»-Mentalität ihrer Vorgänger. Rasch setzte die Walliserin eigene Akzente: Im Männerbund Armee stellte sie Frauen in den Vordergrund. Sie fiel mit Mut und unkonventionellen Entscheiden auf. Ein gmögiger Banker wurde Armeechef (Thomas Süssli). Die Kampfjet-Beschaffung trieb sie erst voran, als Star- Astronaut Claude Nicollier das Geschäft geprüft und öffentlich seinen Segen gegeben hatte. Innert Kürze war Amherd – 58 und ledig, Oberwalliserin (und damit CVP) – eine der beliebtesten Bundesrätinnen.
Es ist wie verhext. In Bundesbern, dem Haifischbecken der Schweizer Politik, will niemand kritisieren. «Ich kann wirklich nichts Negatives sagen. Sie macht es hervorragend», sagt FDP- Ständerat Thierry Burkart. «Sie denkt sehr unabhängig und lässt sich nicht einschüchtern», heisst es bei er SP. Amherd werde «nie etwas vertreten, wenn sie die Materie nicht genau kennt», lobt CVP-Kollegin Ida Glanzmann. Von einer guten Zusammenarbeit spricht SVP- Ständerat Werner Salzmann.
Nun steht die erste Verteidigungsministerin der Schweiz vor der Bewährungsprobe. Am 27. September muss sie die Kampfjet-Vorlage durchbringen. Sonst droht das Ende der Luftwaffe. Warnt sie. Und so tourt sie durch die Schweiz. Denn stürzt der Jet-Kauf ab, droht auch ihrem Ruf die Bruchlandung.
Unterwegs mit Amherd. Der 5. September, ein Samstag, wird für die Bundesrätin zum Heimspiel. Niemand wird an ihren Argumenten für die Jets zweifeln, weder an der Versammlung der Schweizer Offiziersgesellschaft in Burgdorf noch später bei den CVP- Delegierten in Baden.
Kurz vor 10 Uhr fährt Amherds Mercedes in Burgdorf vor. In der Markthalle stehen Männer um Stehtischchen und trinken Kaffee. Wer keine Uniform trägt, steckt im Anzug. Örgeli-Musik spielt, Ehrendamen in Tracht als Zierde. Der Chef der Armee hat sich unter die Gäste gemischt. Nur Amherd fehlt. Sie wartet in ihrer Limousine. Erst als sich alle im Saal gesetzt haben und das Licht gedämpft ist, kommt sie hinein. «Saal auf!»: Die Offiziere erheben sich. So inszeniert man Macht.
Amherd hält eine kurze Rede, Handys werden gezückt. «Ein Lichtblick gegenüber ihren Vorgängern», raunt ein älterer Herr im Publikum. Später, bei der CVP-Versammlung in Baden, wird Parteipräsident Pfister sagen: Hätten Amherds Vorgänger so viel Elan gezeigt, hätte die Schweiz längst Kampfjets.
Ja, Ueli Maurer schoss gerne quer. Guy Parmelin fiel es zu Beginn schwer, frei auf Deutsch zu reden. Doch waren Amherds Vorgänger wirklich schlechter? Die Walliserin hat einen Vorteil: Erstmals seit Kaspar Villiger ist das VBS nicht mehr in SVP-Hand (abgesehen von Samuel Schmids BDP-Episode). Die parteipolitische Blockade ist gelöst. Amherd erhält einerseits Support aus dem bürgerlichen Lager: Dort ist man froh, dass sich dank ihr auch die Mitte hinter Rüstungsanliegen scharen muss.
Von Links hat Amherd so oder so Support. SP und Grüne haben sie 2018 ins Amt gewählt. Amherd, die rechts als «zu feministisch» galt, hielt ihr Versprechen: Sie fördert Frauennetzwerke, wo sie kann. Im vergangenen Dezember lud sie alle frisch gewählten Nationalrätinnen ein. Es gab nur Wein von Winzerinnen. Der Armeechef muss bis Ende Jahr aufzeigen, wie er Frauen fördern will. Bisweilen stellt sie Frauen so sehr in den Fokus, dass man meinen könnte, sie seien Normalität in der Armee. Dabei beträgt ihr Anteil 0,8 Prozent.
Dass Amherd selbst in die Politik ging, war nicht selbstverständlich. Die Briger Anwältin musste einst erst von ihrer Freundin Brigitte Hauser-Süess (zu ihr kommen wir noch) überzeugt werden, auf lokaler Ebene anzutreten. Sie wurde Stadtpräsidentin von Brig, 2005 rutschte sie in den Nationalrat nach. Irgendwann wurde sie Vizechefin der CVP-Fraktion. Wahrgenommen wurde sie von der Öffentlichkeit kaum, bis sie für den Bundesrat kandidierte.
Dabei beherrscht die einst so Unscheinbare alle Polittricks, wie sie in Burgdorf zeigt: Nicht nur ist ihr Abstimmungskampf durchorchestriert. Vor den Offizieren geht die Verteidigungsministerin in den Nahkampf über. Innert Kürze filetiert sie den Bericht der Kampfjetgegner, der leichtere Kampfjets für ausreichend hält. Welche Experten denn diesen Bericht geschrieben hätten, höhnt sie.
In der Fachwelt kenne niemand ihre Namen. Sogleich unterstellt sie, wenig Bundesrats-like, den Verfassern Käuflichkeit: Wären sie vom VBS bezahlt worden, wären sie wohl «nicht zu den gleichen Schlüssen gekommen», sagt Amherd.
Priska Seiler-Graf müsste die härteste Amherd-Kritikerin sein. Die SP-Nationalrätin führt das Lager der Kampfjet-Gegner an. Doch Seiler-Graf will partout nichts Negatives einfallen. Natürlich habe sie eine andere Meinung, natürlich hält Seiler-Graf die Jets für unnötig und überteuert. Aber sonst?
Wenn man eine kritische Stimme hören will, muss man in Brig anrufen. Dort, in Amherds Heimat, sitzt Polit-Tausendsassa Peter Bodenmann, einst SP-Präsident, bis heute nie um bissige Kommentare verlegen. Er tadelt zuerst einmal sein eigenes Lager, das es Amherd zu einfach mache. «Eine heftige Debatte ist etwas anderes.» Ihm fehlt der Biss. «6 Milliarden für die Katze im Sack durchzubringen, das ist eine reife Leistung», sagt er und blick zurück auf die Zeit, als Amherd Stadtpräsidentin von Brig war. «Eine innovative Macherin ist sie nicht gewesen.» In Bern aber habe sie sich als «gesellschaftspolitisch offen» geschickt positioniert.
Als Amherd den Saal in Burgdorf verlässt, bleibt sie im Vorraum stehen und dankt Saalmitarbeitenden. Dann geht es weiter an die CVP-Delegiertenversammlung in Baden. Wieder wartet ihr Wagen, wieder kommt sie erst kurz vor ihrem Auftritt in den Saal. Amherd spricht nur ein Grusswort. Sie liest einfache, aber einprägsame Sätze von Karten ab: «Wir wissen nicht, welches die nächste Krise ist. Den Zustand unserer Luftwaffe kennen wir genau.» Basisarbeit, keine sicherheitspolitische Vision. Es wäre übertrieben, Amherd als besonders gute Rednerin zu bezeichnen. Sie holt die Leute ab, weil sie glaubwürdig wirkt.
Vor allem ist Amherd für ihre Partei ein Glücksfall. Die serbelnde CVP klammert sich, wie schon bei Doris Leuthard, an die Strahlkraft ihrer Vorzeigemagistratin. Es ist das Widmer- Schlumpf-Prinzip der BDP. Da ist es wohl kein Zufall, dass Brigitte Hauser-Süess immer an Amherds Seite ist: Die einstige Präsidentin der CVP-Frauen hatte schon für Widmer-Schlumpf und Leuthard gearbeitet und beide ins richtige Licht gerückt. Die Walliserin gilt als einflussreiche Strippenzieherin in Bern: «Eine super Beraterin, die sogar die bessere Bundesrätin wäre», sagt gar Peter Bodenmann.
Die Umfragewerte sagen Amherd einen Sieg voraus. «Das ist trügerisch. Das Resultat zählt», hält sie im Gespräch fest. Klar ist: Sie will gewinnen. Derzeit ordne sie alles dem Kampfjet- Thema unter, heisst es in Bern. Offen ist, welche Pläne die Bundesrätin danach hat: Wird sie im VBS bleiben? Oder, wie ihre Vorgänger, die erstbeste Gelegenheit zum Absprung nutzen?
Der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft hofft, dass Amherd bleiben wird. «Es ist Zeit, die Armee der Zukunft zu gestalten. Dazu wäre Kontinuität sehr wichtig», sagt Stefan Holenstein.
Amherd hat Schwerpunkte gegen Cyberangriffe gesetzt, sie könnte im Ausland aktiver werden. Doch wie will sie die Armee wieder besser in der Bevölkerung verankern? Wo sieht sie die Schweiz in der europäischen Sicherheitsarchitektur? Wie will sie das drohende riesige Personalloch verhindern? «Ihre exakte sicherheits- und armeepolitische Handschrift kennen wir noch nicht im Detail», sagt Holenstein. Die Hoffnung ist, dass dies nach dem 27. September klarer wird.