Rösti im Erklärungsmodus: Güterwagen-Streit mit Berlin und Rom
Ein Radscheibenbruch an einem Güterwagen sorgte am 10. August 2023 im Gotthard-Basistunnel für einen folgenschweren Unfall: Dreizehn Monate lang war der Betrieb auf der wichtigsten Nord-Süd-Bahnverbindung der Schweiz eingeschränkt. Wäre der Zug auf offener Strecke, einem Tunnel mit Gegenverkehr oder in einem Bahnhof entgleist, hätte es laut Experten Todesopfer gegeben. Die Gesamtkosten für die aufwendigen Reparaturarbeiten sowie die Einnahmeausfälle betrugen 150 Millionen Franken.
Über zwei Jahre nach dem Unfall werden dessen Folgen nächste Woche zum Gesprächsthema auf höchster Ebene: Verkehrsminister Albert Rösti (SVP) besucht nacheinander seine Amtskollegen in Deutschland, Patrick Schnieder (CDU), und Italien, Matteo Salvini (Lega). In Berlin und Rom wird er darlegen, weshalb für den Schienengütertransport durch die Schweiz künftig strengere Vorschriften gelten.
Die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle (Sust) machte in ihrem Abschlussbericht vom Juni dieses Jahres ein «systematisches Phänomen» als Ursache des Zwischenfalls aus. Sie empfahl der Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) und dem Bundesamt für Verkehr (BAV) deshalb, die Sicherheitsanforderungen zu erhöhen. Für die als Risikofaktoren identifizierten Radtypen soll ein grösserer Mindestdurchmesser gelten. Und Halter sollen ihre Güterwagen häufiger und genauer kontrollieren müssen.
EU-Kommission spricht von «schwerem Schlag»
Die ERA ging bislang trotz entsprechender Bestrebungen der Schweiz nicht auf die Empfehlungen ein. Deshalb beschloss das Bundesamt für Verkehr im September in Eigenregie Massnahmen, «um die Sicherheit des Schienengüterverkehrs in der Schweiz zu gewährleisten». Diese sollten bereits per Anfang 2026 umgesetzt werden.
Das sorgte in der Gütertransportbranche für einen Aufschrei: Die Frist sei zu knapp bemessen, es drohten Kapazitätseinbussen und Verteuerungen, weil ein Grossteil des Rollmaterials die Ansprüche nicht erfülle. Auch die EU-Kommission bezeichnete die neuen Regeln als «schweren Schlag für den ohnehin schon anfälligen Güterverkehr». Damit drohten weitere Verlagerungen von der Schiene auf die Strasse. Nach Gesprächen mit der Branche krebste das BAV zurück und gewährt den Wagenhaltern nun eine Umsetzungsfrist bis Ende 2026.
Bundesrat Rösti werde bei den Gesprächen mit seinen Ministerkollegen in Berlin und Rom die Hintergründe der verschärften Schweizer Sicherheitsregeln erläutern, erklärt dessen Kommunikationschefin Franziska Ingold. Dieses Thema stehe in gegenseitiger Absprache auf der Traktandenliste.
Doch der Berner will nicht nur den Erklärbären geben, der umstrittene Sicherheitsmassnahmen erläutert. Sowohl beim Treffen mit Verkehrsminister Patrick Schnieder in Berlin als auch mit Matteo Salvini in Rom wird Rösti laut Franziska Ingold auf die Bedeutung der Nord-Süd-Achse hinweisen, gerade für den europäischen Transitgüterverkehr.
Rösti erinnert Deutschland an Pflichten
Die Zusammenarbeit mit beiden Nachbarländern läuft zwar gut, die Schweiz schaut aber mit Sorge auf die Instandsetzungs- und Ausbauarbeiten in Deutschland, dessen Eisenbahninfrastruktur gewaltigen Aufholbedarf hat.
Die Achillesferse der Nord-Süd-Achse ist die Rheintalbahn in Deutschland, die wichtigste NEAT-Zubringerstrecke im Norden. Hier stehen umfangreiche, teilweise schon angelaufene Ausbauarbeiten zwischen Karlsruhe und Basel an, die in den nächsten Jahren für Kapazitätsengpässe sorgen werden.
«Bundesrat Rösti wird den deutschen Verkehrsminister darum bitten, dass während der Bauarbeiten international koordiniert Ausweichweichstrecken mit genügend Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden sollen und der Güterverkehr gegenüber dem Personenverkehr nicht benachteiligt werden darf», erläutert Franziska Ingold. (aargauerzeitung.ch)
