Gerüchte über Bundesrats-Rücktritte gehören zum medialen Sommerloch wie der Gotthard-Stau. Nun ist Viola Amherd an der Reihe. Die Freiburger «La Liberté» schreibt am Donnerstag über einen möglichen Abgang der Bundespräsidentin und Verteidigungsministerin. Der Artikel ist spekulativ, aus Amherds Departement VBS gibt es ein klares Dementi.
Handfeste Anhaltspunkte gibt es nicht. Die einzige halbwegs konkrete Aussage gegenüber «La Liberté» stammt von einem namentlich nicht genannten Mitglied der Mitte-Partei: «Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bundesrätin nach ihrem Präsidialjahr zurücktreten wird.» Mehrere Mitglieder der Bundeshausfraktion würden sich entsprechend in Stellung bringen.
Das kann alles und nichts bedeuten. Und doch: Spekulationen über einen Rücktritt der 62-jährigen Oberwalliserin per Ende 2024 kursieren seit Monaten. In ihren sechs Amtsjahren hat sie einiges erreicht. Sie hat das Bundesamt für Cybersicherheit ins VBS geholt und ein Staatssekretariat für Sicherheitspolitik geschaffen, wenn auch mit Nebengeräuschen.
Dabei profitierte Amherd von der Aufwertung des einstigen Mauerblümchens VBS durch den Ukraine-Krieg. Nach ihrer Wahl Ende 2018 wurde sie widerwillig Verteidigungsministerin, doch diese Chance packte sie resolut. Bisheriger Höhepunkt ihres Präsidialjahres war die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock, obwohl inhaltlich wenig Zählbares resultierte.
Gleichzeitig bekam Viola Amherd den Unmut in westlichen Ländern über die rigide Neutralitätspolitik der Schweiz besonders stark zu spüren. Damit verbunden war der peinliche Abgang der früheren Chefin des Rüstungskonzerns Ruag. Auch der Rückzug von Jean-Daniel Ruch als designierter Staatssekretär für Sicherheit ist ein Tolggen im Reinheft.
Die zusammengesparte Armee soll nach dem Willen der Bürgerlichen deutlich mehr Geld erhalten, doch im Parlament wird heftig darüber gestritten, wie das bezahlt wird. Die zuständige Bundesrätin wirkt in dieser Debatte seltsam passiv. Ein Beobachter verglich sie gegenüber «La Liberté» mit einem Murmeltier: «Wenn Gefahr aufzieht, versteckt sie sich.»
Das schlägt sich im Bundesrats-Ranking nieder. Lange war Viola Amherd top, doch in einer Tamedia-Umfrage vom März landete sie nur noch auf dem fünften Platz. Wenig hilfreich ist auch das Foto, das sie seltsam lächelnd vor der durch das kürzliche Unwetter zerstörten Brücke im Maggiatal zeigt. Es gibt Gründe für, aber auch gegen einen baldigen Rücktritt:
Der wichtigste Grund trägt einen Namen: Brigitte Hauser-Süess. Sie ist persönliche Mitarbeiterin und engste Vertraute von Viola Amherd. Im September wird sie 70 Jahre alt und muss gemäss dem Personalreglement des Bundes definitiv in Pension gehen. Ohne ihre Oberwalliser «Zwillingsschwester» wolle Amherd nicht weitermachen, glauben manche.
Im VBS zeichnen sich zudem weitere Probleme ab. Mit dem Flugabwehrsystem Patriot wollen die USA die Ukraine prioritär beliefern. Die Schweiz muss hinten anstehen. Auch beim Kampfjet F-35 sind Verzögerungen absehbar, vor denen Kritiker schon lange warnen. Amherd könnte diese Baustellen einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger überlassen.
Viola Amherd könnte jedoch mindestens ein Jahr anhängen, etwa wegen der Fussball-EM der Frauen, die vom 2. bis 27. Juli 2025 in der Schweiz stattfinden wird. Sie ist für die Sportministerin eine Herzenssache. Und ein Abgang aus dem Verteidigungsdepartement könnte in dieser Zeit des Umbruchs auch als Fahnenflucht interpretiert werden.
Lange wird Viola Amherd nicht im Bundesrat bleiben. Sie ist keines jener «Animaux politiques», die sich an die Macht klammern. Namen von möglichen Nachfolgern aus der Mitte-Partei kursieren bereits. Dazu gehören der St.Galler Ständerat Benedikt Würth, der Graubündner Nationalrat Martin Candinas oder die Freiburger Ständerätin Isabelle Chassot.
Ein Thema ist auch Parteipräsident Gerhard Pfister. Für den bald 62-jährigen Zuger wäre ein Amherd-Rücktritt per Ende 2024 die vielleicht letzte Chance, um Bundesrats-Ambitionen zu realisieren. Doch vorerst sind das alles nur Spekulationen. Mitte August ist der Bundesrat aus den Ferien zurück. Danach wird sich zeigen, ob sie mehr sind als ein Sommerloch-Füller.
Aber mit Martin Candinas, Geri Pfister und Beni Würth (Isabelle Chassot kenne ich nicht), hätte die Mitte wenigstens gleich mehrere geeignete Nachfolger in Petto.
Ein Luxusproblem, im Vergleich zu den Demokraten in den USA.