Am 13. Dezember schlägt für Viola Amherd zweimal die Stunde der Wahrheit. Ihre Wiederwahl als Bundesrätin ist kaum gefährdet, denn keine der anderen Parteien will es sich mit der Mitte verscherzen. Bei der Wahl zur Bundespräsidentin für 2024 aber könnte es einen Denkzettel absetzen. Die Oberwalliserin hat in Bern derzeit nicht sehr viele Freunde.
Im Gesamtbundesrat hat sich die Verteidigungsministerin vergeblich dafür eingesetzt, das Neutralitätsrecht flexibel zu interpretieren, um die Weitergabe von Waffen an die von Russland angegriffene Ukraine zu ermöglichen. Offenbar war dies auch beim geplanten Verkauf der 96 Leopard-1-Panzer der Fall, die dem Rüstungskonzerns Ruag gehören.
Dieser ist mit dem am Montag verkündeten Abgang der bisherigen Chefin Brigitte Beck selber zum Problemfall geworden. Zuständig für ihre Anstellung und die Freistellung ist der Verwaltungsrat. Doch die Ruag gehört zu 100 Prozent dem Bund, und damit liegt die Verantwortung für die Personalie zumindest indirekt auch bei Viola Amherd.
Die 61-jährige Mitte-Politikerin ist dadurch auf mehreren Baustellen gefordert:
Offiziell verlässt Brigitte Beck ihren Posten freiwillig. Doch es gilt als ausgemacht, dass sie ihrer Entlassung zuvorkam. Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie die Rüstungsbranche nicht kannte und nie eine hohe Führungsposition bekleidet hatte. Vor allem aber fehlte ihr das Gespür für die politische Dimension ihres Jobs, die sich mit dem Ukraine-Krieg akzentuierte.
Im Umgang mit den Medien besass Beck keine Erfahrung. «Sie hatte vorher noch nie ein Interview gegeben», sagte der Kommunikationsberater Kaspar Loeb, der sie zu Beginn in Medienfragen beraten hatte, den Tamedia-Zeitungen. Dennoch entschied sie im April, mit der «CH Media»-Redaktion ohne Medientraining ein Interview zu führen.
Es geriet prompt zum Desaster. So kritisierte sie gemäss «CH Media» die Neutralitätspolitik des Bundesrats unverblümt, obwohl sie Chefin eines faktischen Bundesbetriebs war. Weil die Ruag-Medienstelle nachträglich massive Änderungen vornehmen wollte, blieb das Interview unveröffentlicht. Brigitte Beck zog die Lehren daraus nicht, im Gegenteil.
Nur wenige Tage nach dem Eklat forderte sie an einem Podium Länder wie Deutschland und Spanien auf: «Liefert doch dieses Zeug in die Ukraine.» Sie sollten sich also über die offizielle Haltung der Schweiz hinwegsetzen. Damit sprach Beck zwar nur aus, was viele dachten. Doch angesichts ihrer exponierten Position war eine solche Aussage ein No-Go.
Die Fehlbesetzung auf dem Chefposten ist nicht das einzige Problem des Rüstungsbetriebs. Die NZZ bezeichnet die Ruag in einem Kommentar als «Fehlkonstruktion». Sie solle als privatrechtliches Unternehmen Gewinne für den Bund abwerfen (wie beim gescheiterten Verkauf der Leopard 1) und gleichzeitig als «Werkstatt» für die Schweizer Armee dienen.
In diesem Bereich möchte die Ruag expandieren, etwa mit dem Aufbau eines europäischen Kompetenzzentrums für Unterhalt und Reparatur des Kampfjets F-35 auf dem Flugplatz Emmen LU. Doch welches NATO-Land will auf einen Partner setzen, der durch den «sturen Neutralitätskurs» des Bundesrats im Ernstfall nur beschränkt oder gar nicht verfügbar ist?
Die NZZ postuliert, ein «privater Betrieb mit mehr operativen Möglichkeiten» könne das «Filetstück» in Emmen übernehmen. Doch selbst dies würde am Neutralitäts-Dilemma nichts ändern. Die Hybrid-Rolle der Ruag als Rüstungskonzern und Werkstattbetrieb kann nicht aufgelöst werden, solange Bundesrat und VBS keine stringente Strategie entwickeln.
Das Hauptproblem für Viola Amherd bleibt, dass der Bundesrat sich einer Neuinterpretation der Neutralität verweigert. Er hält an der Gleichbehandlung der Kriegsparteien fest, obwohl die Charta der Vereinten Nationen eindeutig zwischen Angreifer und Opfer unterscheidet. Erschwerend kommt das vom Parlament verschärfte Kriegsmaterialgesetz hinzu.
Der Bundesrat hat deshalb alle Gesuche für eine Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine abgelehnt. Gleiches gilt für den Verkauf der Leopard-1-Panzer, obwohl sie sich niemals auf Schweizer Boden befunden haben und der einzige Bezug zu unserem Land darin besteht, dass sie der Ruag gehören. Entsprechend gross ist der Unmut im Ausland.
Kein Mitglied der Landesregierung bekommt ihn so direkt zu spüren wie Amherd. Im März sprach die Verteidigungsministerin vor der Offiziersgesellschaft Klartext: «Keine meiner Amtskolleginnen und Amtskollegen hat Verständnis dafür, dass wir andere Länder daran hindern, die Ukraine mit dringend benötigten Waffen und Munition zu versorgen.»
Die bisherige Politik der Landesregierung bezeichnete Amherd unverblümt als «nicht hilfreich», weshalb Kritiker ihr eine Verletzung des Kollegialitätsprinzips vorwarfen. Dabei kann man ihren Auftritt selbst als Hilferuf interpretieren. Denn es ist fraglich, ob die vom Bundesrat angestrebte engere Zusammenarbeit mit der NATO so zustande kommen wird.
Eine einfache Lösung gibt es nicht. Das Parlament laboriert an einer Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes, und solange der Bundesrat an einer strikten Interpretation des Neutralitätsrechts festhält, wird ohnehin kaum etwas gehen. In diesem Fall aber könnte das lose Mundwerk der Ruag-Chefin bald das kleinste Problem für die Schweiz sein.
Es ist höchste Zeit, den Neutralitätsbegriff in diesem Sinne anzupassen, denn bei Unrecht ist es nie recht, neutral zu bleiben. Opportun vielleicht, aber nie recht.