Sie schüttelte jedem der 100 Delegationschefs und -chefinnen die Hand und hatte für jeden und jede ein freundliches Wort, stellte sich mit ihnen zuerst alleine zum Fotoshooting auf – und dann nochmals gemeinsam mit Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj. Dabei war auf dem Gesicht von Bundespräsidentin Viola Amherd jeweils ein scheues, fast verlegenes Lächeln zu sehen.
Eine Szene, die drei Dinge aussagt über die Bundespräsidentin: Erstens zeigt sie Demut im Umgang mit Staatschefs und Ministern. Zweitens hat sie Charme und gibt jedem Premierminister und jeder Staatschefin das Gefühl, willkommen zu sein. Und drittens strahlt sie intrinsische Motivation und Beharrlichkeit aus, wenn es um ihre Herzensangelegenheit geht: Frieden. Gerechtigkeit ist für sie als Juristin ein zentrales Anliegen. Das zeigt sich auch, wenn ihre Stimme jeweils leicht vibriert, wenn sie über die Kriegssituation spricht.
Bundespräsidentin Amherd, die am Samstag im hellblauen Hosenanzug optisch besonders auffiel und am Sonntag in diskreterem Dunkelblau erschien, ist der Dreh- und Angelpunkt der Bürgenstock-Konferenz. In ihrer Eröffnungsrede gab sie den Ton vor. «Wir alle haben ein existenzielles Interesse daran, dass die internationalen Beziehungen auf Regeln und auf Respekt vor dem Völkerrecht und den Menschenrechten beruhen», sagte sie. Und betonte: «Wir wollen einen Prozess inspirieren hin zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine auf der Grundlage des Völkerrechts und der UNO-Charta.» Fast alle Staatschefs folgten dieser Diktion – von US-Vizepräsidentin Kamala Harris über Ghanas Präsidenten Nana Akufo-Addo bis zu Ukraine-Präsident Selenskyj.
Am Sonntag konnte sie einen Erfolg vermelden: 84 von 100 Staaten und Organisationen unterzeichneten die Abschlusserklärung, darunter auch die Türkei. Südafrika, Indien und Saudi-Arabien hingegen stimmten nicht zu. Die offene Frage sei, hielt Amherd fest, wann Russland in den Friedensprozess integriert werden solle. Und die Bundespräsidentin betonte:
Schon am Samstag hatte Amherd in ihrer Eröffnungsansprache betont, für die Schweiz sei ein friedliches Zusammenleben der Völker «nicht bloss ein hehres Ziel», sondern vielmehr «ein Auftrag unserer Verfassung». In diesem Sinne wies sie auf die Friedens- und Vermittlungstradition auf dem Bürgenstock und seiner Umgebung bis ins 15. Jahrhundert hin.
Der Verweis auf das 15. Jahrhundert bezog sich auf das Stanser Verkommnis vom 22. Dezember 1481. Er gilt als Schicksalstag für die Eidgenossenschaft, als die acht alten Orte einen Staatsvertrag schlossen und gleichzeitig einen Bündnisvertrag mit den Stadtorten Freiburg und Solothurn unterzeichneten. Diese Verträge beendeten einen schweren inneren Konflikt, eine «Verfassungskrise» in der Eidgenossenschaft.
Als Bundesrätin drängte Amherd schon immer auf stärkere Hilfe für die angegriffene Ukraine als der Gesamtbundesrat. Ihre grosse Stunde kam als Bundespräsidentin. Der ukrainische Präsident Selenskyj rief sie vor seinem Besuch vom 16. Januar in Bern an und bat sie darum, dass die Schweiz eine hochrangige Friedenskonferenz durchführe.
Während das Aussendepartement ein langsameres und diskreteres Vorgehen bevorzugt hätte, ging Amherd am 16. Juni in die Offensive und schaffte in der Öffentlichkeit Fakten.
In der Folge legte sie eine Parforceleistung hin. Sie besuchte über 60 Staatsoberhäupter und erhielt dabei viel Lob für die Initiative der Schweiz. Wie vom österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer, den Amherd im April in Wien besuchte. Die Friedenskonferenz sei «ein wichtiges Zeichen» aus der Schweiz, sagt Nehammer gegenüber CH Media. «Bundespräsidentin Amherd macht das sehr, sehr gut.» Sie hätten in Wien über die Vorbereitungen der Konferenz gesprochen.
Interessant ist, dass es Amherd aber auch immer wieder gelingt, einen Draht zu Staatschefs und Ministerpräsidentinnen zu finden, die politisch überhaupt nicht auf ihrer Linie – Mitte-links – liegen. Ein Beispiel dafür ist Ungarns russenfreundlicher Präsident Viktor Orban, den sie Mitte April in Budapest besuchte. Ein anderes Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Diese gehört der als postfaschistisch klassifizierten Partei Fratelli d'Italia an. Als Amherd Meloni am 3. Mai in Rom besuchte, verstanden sich die beiden Frauen auf einer menschlichen Ebene so gut, dass Meloni der Bundespräsidentin Kusshändchen schickte.
Schon vor dem Präsidialjahr war Amherd international gut vernetzt. Als Verteidigungsministerin besuchte sie internationale Konferenzen wie das WEF und die Münchner Sicherheitskonferenz. Und als Mitte-Politikerin ist sie in Europa über die Europäische Volkspartei ebenfalls gut eingebunden und kennt etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sehr gut, eine CDU-Politikerin. Die herzliche Umarmung auf dem Bürgenstock spricht Bände.
Amherd wird oft unterschätzt. Sie drängt sich nicht in den Mittelpunkt, arbeitet gerne aus dem Hintergrund und kann, auf den ersten Blick, unscheinbar wirken. Wer sie, wie viele Sportfunktionäre, unterschätzt, kann aber sein blaues Wunder erleben. Die Walliserin weiss bestens Bescheid über ihre Gesprächspartner, bereitet sich inhaltlich akribisch vor und weiss, was sie will.
Dass sie auch hart im Nehmen sein kann, bewies sie im Vorfeld der Bürgenstock-Konferenz. Das russische Staatsfernsehen verunglimpfte sie in einer Sendung massiv. Amherd sei luxussüchtig und nicht besonders attraktiv, hiess es da. Sie wurde als «Babymörderin» und «Satanistin» beschimpft.
Amherd konterte die russische Diffamierungskampagne trocken: «Die Vorwürfe sind so daneben, dass es offensichtlich ist, dass es um Desinformation geht.» Und lakonisch fügte sie hinzu:
(aargauerzeitung.ch)
Andere arbeiten beharrlich an einer besseren CH in einer besseren Welt.
Welche andere Nation wäre imstande gewesen, innerhalb weniger Monate eine solche Konferenz mit hochkarätiger Beteiligung zu organisieren?
Amherd und Cassis gaben dem Gipfel zusammen ein professionelles und sympathisches Gesicht.
Zusammen mit den Spezialisten des Auswärtigen Amtes, dem diplomatischen Corps, und den Verantwortlichen des Sicherheitsdispositives haben sie das souverän bewerkstelligt.