Der Bundesrat schiebt in der Krise die anderen Dossiers nicht zur Seite, sondern bearbeitet schön eines nach dem anderen. Dazu gehört das Ruhegehalt von alt Bundesrat Christoph Blocher.
Im Sommer hat der Multimilliardär bei der Bundeskanzlei eine überraschende Forderung eingereicht: Er verlangt rückwirkend sein Ruhegehalt ein. Jede ehemalige Magistratsperson hat nach mindestens vier Jahren im Amt grundsätzlich Anspruch auf den halben Jahreslohn. Zur Zeit von Blochers Abwahl 2007 waren das 200'000 Franken. Er stellt deshalb 2.7 Millionen Franken in Rechnung.
Besteht dieser Anspruch auch rückwirkend? Diese Frage ist nicht geregelt und stellt sich zum ersten Mal. Nach langem Hin und Her hat der Bundesrat nun eine Antwort gefunden. Bis fünf Jahre nachträglich könnten Ruhegehälter eingefordert werden. Blocher soll also eine Million erhalten. Dies sei zwar nicht im Sinn der Regelung und solle künftig ausgeschlossen werden, entspreche aber der Rechtslage.
Der Bundesrat stützt sich in seinem Entscheid auf zwei externe Rechtsgutachten und eine Stellungnahme des Bundesamts für Justiz. Diese drei Dokumente hat der Bundesrat nun veröffentlicht. In der Corona-Aufregung sind diese bisher aber untergegangen. Dabei ist der Inhalt brisant. Ein Gutachten stützt den Entscheid nämlich nicht wie behauptet. Es stammt vom St. Galler Arbeitsrechtsprofessor Thomas Geiser.
Er schreibt, dass eine Magistratsperson keinen Anspruch auf Gelder habe, auf die sie verzichtet habe: «Der Verzicht lässt den Anspruch endgültig untergehen.» Der Verzicht sei unwiderrufbar. Eine Magistratsperson könne deshalb nicht verlangen, dass ihr das Geld nachträglich ausbezahlt werde. Sie könne aber verlangen, dass es ihr künftig ausbezahlt werde. Denn darauf habe sie nicht verzichtet.
Das Problem von Geisers Gutachten ist: Die Antwort mag richtig sein, aber die Frage ist falsch gestellt. Denn Blocher hat auf sein Ruhegehalt nie offiziell verzichtet. Er hat einfach bisher den Anspruch nicht geltend gemacht. Das ist ein bedeutender Unterschied.
Darauf geht der Zürcher Sozialversicherungsprofessor Ueli Kieser in seinem Gutachten ein, das länger ist als jenes von Geiser. Die Bundeskanzlei hat ihm die identische Frage gestellt, er antwortet darauf allerdings differenzierter. Im Fall eines Verzichts verneint er einen Anspruch ebenfalls. Im Fall einer unterlassenen Anmeldung sei eine nachträgliche Forderung aber für fünf Jahre rückwirkend zulässig. Dies entspreche nämlich den allgemeinen Bedingungen des Arbeitsrechts.
Die Bundeskanzlei hat ihren Fehler bemerkt. Als sie das Bundesamt für Justiz für eine dritte Einschätzung anfragt, formuliert sie die Frage besser. Sie verwendet nicht mehr den Begriff Verzicht, sondern schreibt von einer Nichtinanspruchnahme. Das Bundesamt für Justiz teilt in seiner Antwort das Fazit von Professor Kieser, kritisiert jedoch dessen Herleitung. Es gilt also tatsächlich: zwei Juristen, drei Meinungen.
Interessant ist ausserdem, dass die Bundeskanzlei den Gutachtern eine zweite Frage gestellt hat: Ist eine Rückzahlung auch in Tranchen möglich? Vermutlich wünscht Blocher dies, um Steuern zu sparen. Die Professoren verneinen die Frage. Das Bundesamt für Justiz hingegen sagt vorsichtig Ja. Falls Blocher klagen sollte, hat er bei dieser Ausgangslage gute Chancen.
So in etwa stelle ich mir zukünftig die Entscheide im Supreme Court vor.
Das selbe sollte übrigens für die kantonalen Regierungen gelten.